Adolf von Harnack

Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft 1911 - 1930

„Adolf v. Harnack war einer der am meisten bewunderten, gleichzeitig einer der am heftigsten befehdeten Theologen seiner Epoche“, beginnt der Hanack-Biograph Kurt Nowak seine Lebensskizze über den Kirchenhistoriker und Wissenschaftsorganisator. Ein hohes protestantisches Arbeitsethos gepaart mit einer gewaltigen Arbeitskraft und stupendem Wissen ließen Harnack sowohl im Kaiserreich als auch der Weimarer Republik eine exzeptionelle Stellung im Wissenschaftsbetrieb einnehmen. 1911 wurde Harnack erster Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Das Amt übte er bis zu seinem Tod 1930 im Nebenamt aus. Harnack lehrte bis 1921 Kirchen- und Dogmengeschichte an der Berliner Universität. Parallel dazu modernisierte als Generaldirektor der Preußischen Staatsbibliothek das preußische Bibliothekswesen und beriet als gesuchter Gutachter das preußische Kultusministerium in Hochschul- und Schulfragen. Außerdem spielte er in der Weimarer Republik eine entscheidende Rolle beim Aufbau der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, der Vorläuferin der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft hätte für ihre Aufbauphase kaum einen besser geeigneten Präsidenten finden können. Auf Grund seiner Herkunft aus dem baltischen Großbürgertum und seiner weitläufigen Verwandtschaft mit den Delbrücks, Liebigs und Thiersch verkehrte er ebenso selbstverständlich bei Hof wie er mit den führenden Wissenschaftlern seiner Zeit befreundet war. Harnack führte in Berlin-Grunewald – nicht zuletzt durch seine sieben Kinder-  ein offenes Haus. Im Kaiserreich von Wilhelm II. persönlich gefördert, begriff er die Republik als natürliche politische Weiterentwicklung. In der Weimarer Republik tendierte er zu den Liberalen, ohne sich politisch vereinnahmen zu lassen. „Meine Stellung als Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und im Dienste der Not der deutschen Wissenschaft machen mir Zurückhaltung in politicis zur obersten Pflicht“, war sein Grundsatz.

Das Präsidentenamt übte er souverän wie autoritär mit dem ihm eigenen Wortwitz aus. Als Kirchenhistoriker war er über jeden Zweifel erhaben, in der naturwissenschaftlich-geprägten Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft sein eigenes Fach zu profilieren. Vielmehr verkörperte er gewissermaßen den „elder statesman“ der Wissenschaft. In einer Rede anlässlich der Einweihung des Harnack-Hauses in Berlin-Dahlem bezeichnete Fritz Haber 1929 Harnack als „unser natürliches Oberhaupt“. Unter Harnacks Präsidentschaft wuchs die Institutszahl auf mehr als dreißig an, wobei zunächst die Ausrichtung auf industrielle Erfordernisse im Mittelpunkt stand. So wurde die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft vor allem vom wohlhabenden Bürgertum, dem Handel und der Bankenwelt großzügig unterstützt – ein Novum für die damalige Zeit.

Harnacks unangefochtenen Stellung im Wissenschaftsbetrieb war es dabei zu verdanken, dass Wissenschaftler der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft dennoch zunächst weitgehend frei von politischen und wirtschaftlichen Einflüssen ihrer Forschung nachgehen konnten. Dafür sprach auch das später genannte Harnacksche Prinzip, wonach nur dann ein neues Kaiser-Wilhelm-Institut gegründet werden sollte, wenn ein herausragender Wissenschaftler mit einem innovativen Forschungsgebiet als Leiter gefunden wurde. Mit dem 1929 geschaffenen Wissenschaftlichen Rat erhielten die Direktoren durch die drei Sektionen gegenüber dem Präsidenten ein stärkeres politisches Gewicht. Während der Weltwirtschaftskrise und der einsetzenden Kritik des preußischen Kultusministeriums gelang es Harnack in seinen letzten Lebensmonaten die KWG in ihrer Struktur zu erhalten. 

Forschungsinstitute brauchen wir, nicht eins, sondern mehrere zusammengefasst als Kaiser-Wilhelm-Institute für naturwissenschaftliche Forschung“ hatte Harnack in seiner Denkschrift an den Kaiser 1909 notiert, in der er verschiedene Ideen führender Wissenschaftspolitiker seiner Zeit gekonnt zusammengeführt hatte. Als „Geburtshelfer“ der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft kam ihm dabei seine langjährige herausragende Funktion in der Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Gute. Für sie übernahm er die Leitung der Ausgabe der griechischen Kirchenväter und gab bis 1915 27 Bände heraus. Außerdem hatte er von 1903 bis 1911 den Vorsitz des Evangelisch-Sozialen Kongresses inne. Mit der Berufung Harnacks stellte sich die Preußische Akademie demonstrativ hinter Harnack. Denn der junge baltische Theologe hatte nicht nur eine akademische Blitzkarriere hinter sich, die ihn über Professuren in Leipzig, Gießen und Marbach führte. Sein dreibändiges „Lehrbuch der Dogmengeschichte“ hatte in Teilen der konservativen protestantischen Kirche einen Sturm der Entrüstung entfacht, der auch als protestantischer Kulturkampf bezeichnet wurde. 1888 erhielt Harnack auf Grund einer Intervention Kaiser Wilhelm II. den renommiertesten Lehrstuhl für Theologie im Kaiserreich. In seinem Lehrbuch stellte Harnack die kirchliche Dogmengeschichte auf historische und philologische Füße und kam damit zu Einsichten, die zumindest dem Verständnis der orthodoxen protestantischen Kirche zu wieder liefen.

Dogmen entstehen, entwickeln sich und werden neuen Absichten dienstbar gemacht“, schrieb Harnack in seinem ersten Band, Ideen, die er in seinem vielbeachteten Buch „Wesen des Christentums“ Jahre später auf allgemeinverständliche Weise weiter ausführte. Theologische Richtungskämpfe haben Harnack als Theologe der Alten Kirche lange Jahre begleitet, sei es im Apostolikumsstreit 1892 oder in der Auseinandersetzung mit Karl Barth. Die Öffentlichkeit nahm Harnack in erster Linie als Kirchenhistoriker und Theologe wahr, was ihn unter den Gelehrten seiner Zeit eine Sonderstellung zukommen ließ. Harnacks „weltläufige Frömmigkeit ohne Glaubenszweifel“ hatten ihren Ursprung in seinem tiefprotestantischen Elternhaus in Dorpat. 1851 als zweites von fünf Kindern eines bekannten Luther-Forschers und Theologieprofessors geboren, entschied sich Harnack früh für ein Theologiestudium. Harnack studierte 1869 bis 1872 Theologie in Dorpat und Leipzig, promovierte 1873 in Leipzig, wo er bereits 1874 mit nur 23 Jahren eine glanzvolle Karriere als Theologie-Professor startete.

Als er 1930 in Heidelberg starb, geadelt und hochgeehrt u.a. mit dem Orden Pour le mérite ging für die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft eine wichtige Epoche zu Ende. „Aus der Kraft der Konzentration in die Geschichte der Alten Kirche erwuchs die Fähigkeit zum Begreifen, Darstellen und Organisieren des Geistigen überhaupt. So konnte dieser Kirchenhistoriker der Gesamtwissenschaft dienen, ohne der eigenen Wissenschaft untreu zu werden. So konnte er sich ein Arbeitsfeld erwerben, so weitgesteckt, wie es keinem modernen Gelehrten sonst zuteil wird“, fasste Harnacks Schüler Martin Dibelius das umfassende Lebenswerk zusammen.

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