Forschungsbericht 2004 - MPI für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht

Die Patentierung von Krankheitsgenen

Autoren
Herrlinger, Karolina Anna
Abteilungen

Geistiges Eigentum und Wettbewerbsrecht (Prof. Dr. Dres. h.c. Joseph Straus)
MPI für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht, München

Zusammenfassung
Die Patentierung von Krankheitsgenen ist mit Bedenken hinsichtlich einer Behinderung von Forschung und Entwicklung sowie der medizinischen Versorgung konfrontiert. Ein Forschungsprojekt am Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht untersucht, inwieweit diese Befürchtungen berechtigt sind, analysiert rechtliche Möglichkeiten der Sicherung der Freiheit von Forschung und Entwicklung und zeigt auf, dass die Lizenzierungspolitik der jeweiligen Patentinhaber ein entscheidender Faktor im Interessenkonflikt zwischen Investitionsförderung und Freiheit der Forschung ist.

Die Patentierung der BRCA-Gene, deren Mutationen Brustkrebs begünstigen, hat weltweit Bedenken hinsichtlich einer Behinderung der Forschung, einer Beschränkung des Zugangs zu genetischen Tests sowie einer Verschlechterung der Qualität der medizinischen Versorgung hervorgerufen. Doch weniger die Patentierung human-genomischer Erfindungen schlechthin gibt Anlass zu diesen Befürchtungen als vielmehr die Lizenzierungspolitik der jeweiligen Patentinhaber. Dies zeigen die Ergebnisse eines Forschungsprojekts am Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht.

Wie kann man negative Implikationen der Patentierung genetischer Erfindungen auf Forschung und Entwicklung vermeiden? Naheliegend ist zunächst eine strenge Auslegung der Patentierungsvoraussetzungen sowie die Einschränkung des Schutzumfangs von Patenten auf human-genomische Erfindungen. Angesichts der zunehmenden Automatisierung der Sequenzierungsverfahren sollte insbesondere das Erfordernis einer erfinderischen Tätigkeit im Zusammenhang mit biotechnologischen Erfindungen betont werden.

Statt absoluten Stoffschutz auf genetische Erfindungen zu gewähren, sollte der Gesetzgeber des Weiteren den Schutzumfang auf die Funktionen des Gens, die dem Patentinhaber im Zeitpunkt der Patentanmeldung bereits bekannt waren und von ihm offenbart wurden, begrenzen – sofern nicht die erfinderische Leistung ausnahmsweise gerade in der erstmaligen Bereitstellung der betreffenden Gensequenz zu sehen ist. Ob der Gesetzesentwurf zur Umsetzung der Biopatentrichtlinie mit der Möglichkeit der Gewährung absoluten Stoffschutzes auf den Teil des Gens, der für die in der Patentanmeldung beschriebene Funktion wesentlich ist, den vorgebrachten Bedenken hinreichend gerecht werden kann, bleibt abzuwarten.

Artikel 99 Absatz 1 des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) sieht für jede natürliche oder juristische Person vor, dass sie ein erteiltes europäisches Patent innerhalb von neun Monaten nach der Bekanntmachung des Hinweises auf die Patenterteilung mit einem Einspruchsverfahren angreifen kann. In Fällen, in denen ein Patent unter Berücksichtigung der Patentierungsvoraussetzungen nicht oder nicht so hätte erteilt werden dürfen, bietet sich hier die Möglichkeit, die Entscheidung der Patentprüfer zu korrigieren. Am Beispiel der Patentierung der BRCA-Gene wird die Bedeutung des Einspruchsverfahrens im Patentsystem deutlich: Gegen alle vier europäischen Patente des Unternehmens Myriad Genetics auf die Gene BRCA1 und BRCA2 wurden zahlreiche Einsprüche eingelegt, und eines der Patente wurde im Rahmen des Einspruchsverfahrens in der mündlichen Verhandlung vom 18. Mai 2004 bereits widerrufen.

Patentrechtsimmanente Schranken der Schutzwirkung und Zwangslizenzierung

Hat das auf ein Krankheitsgen erteilte Patent Bestand, sind die dem Patentinhaber damit gewährten Rechte nicht schrankenlos. Die Freiheit des Patentinhabers in der Ausübung seiner Rechte unterliegt innerhalb und außerhalb des Patentrechts Beschränkungen, die eine (Nicht-)ausübung der patentierten Erfindung, die den Interessen der Allgemeinheit zuwiderläuft, verhindern können.

Durch die Patentierung von Krankheitsgenen entstehen Konflikte, die die patentrechtlichen Instrumente des Interessenausgleichs zwischen Patentinhaber und Allgemeinheit in einem bislang unbekannten Ausmaß fordern. Dabei stehen die Belange der medizinischen Versorgung, denen naturgemäß eine der höchsten Prioritäten innerhalb der Gesellschaft zukommt, im Vordergrund. Um den wachsenden Interessenkonflikten Rechnung tragen zu können, müssen die patentrechtlichen Ausgleichsregelungen adäquat ausgelegt und angewendet werden.

Besondere Aufmerksamkeit ist der dem Patentrecht innewohnenden Zielsetzung der Förderung der Forschung und Entwicklung zu widmen. Sowohl im deutschen als auch im US-amerikanischen Patentrecht ist eine Differenzierung zwischen Versuchshandlungen zu Forschungszwecken und einer kommerziellen Nutzung der patentierten Erfindung oftmals – wenn überhaupt – nur schwer möglich. Diese Problematik verschärft sich erheblich im Bereich der molekulargenetischen Diagnostik. Hier ist die Durchführung von Gentests oftmals gleichzeitig eine Benutzung der Erfindung in einer dem Patentinhaber vorbehaltenen Weise und eine Benutzung der Erfindung zu Forschungszwecken.

Eine Auslegung der Vorschrift des Paragraphen 11 Nr. 2 des Patentgesetzes (PatG) derart, dass Versuchshandlungen unabhängig von ihrer letztendlichen Zielrichtung von der Patentverletzung freigestellt sind, ist unerlässlich. Nur so kann eine dem Sinn und Zweck des Patentsystems angemessene Behandlung von Benutzungshandlungen zu Forschungs- und Entwicklungszwecken gewährleistet werden.

Dabei gilt es jedoch zu vermeiden, dass die Rechte des Patentinhabers unverhältnismäßig beeinträchtigt werden. Versuchshandlungen, die aufgrund der Art und Weise ihrer Durchführung oder aufgrund ihres Umfangs die wirtschaftlichen Interessen des Patentinhabers an der Verwertung seiner Erfindung während der Patentlaufzeit maßgeblich verletzen, können nur dann zugelassen werden, wenn der Patentinhaber angemessen entschädigt wird. Dabei wird die Vorschrift des Artikels 30 des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) nicht verletzt.

Die Vorschriften der Artikel 8 und 31 des TRIPS ebnen in Verbindung mit der Ministererklärung von Doha den Weg für eine umfassende Berücksichtigung der Belange des Gesundheitsschutzes im Rahmen des Paragraphen 24 des Patentgesetzes. Die jüngsten Entwicklungen im Bereich der Biotechnologie mit ihren direkten Implikationen auf das Gesundheitswesen geben Anlass, dem vernachlässigten Institut der patentrechtlichen Zwangslizenz wieder Leben einzuhauchen. Gelingt es dem Patentinhaber nicht, den Interessen der Allgemeinheit an einer optimalen Gesundheitsversorgung gerecht zu werden, und unterbindet er durch seine Lizenzierungspolitik die Ausübung der Erfindung durch Dritte, kann der Gesetzgeber eine patentrechtliche Zwangslizenz erteilen.

Wettbewerbsrechtliche Schranken

Auch außerhalb des Patentrechts finden sich im Interesse der Allgemeinheit wirksame Schranken der Befugnisse des Patentinhabers. Die Ausübung von Immaterialgüterrechten durch marktbeherrschende Unternehmen unterliegt der Verhaltenskontrolle des Wettbewerbsrechts. Verweigert ein marktbeherrschendes Unternehmen die Lizenzierung eines Schutzrechts mit dem Hinweis auf den Vorbehalt eines abgeleiteten Marktes, kann dies unter besonderen Umständen als Missbrauch im Sinne des Artikels 82 des EG-Vertrags angesehen werden.

Der Vorbehalt eines abgeleiteten Marktes durch einen Patentinhaber ist im Sinne des Patentrechts allerdings nur dann als Missbrauch zu bewerten, wenn durch das Verhalten des Patentinhabers den Verbrauchern ein neues Produkt vorenthalten wird, für das eine potentielle Nachfrage besteht, die der Patentinhaber selbst nicht befriedigen kann oder will. Erforderlich ist daher eine eigene erfinderische Leistung eines Dritten. Dagegen beeinträchtigt ein für Dritte mit kartellrechtlichen Mitteln erzwungener Zugang zu dem Markt, auf dem der Patentinhaber selbst wirtschaftlich tätig ist, dessen Rechtsposition in einem unverhältnismäßigen Ausmaß, wenn die Produkte des Dritten den vom Patentinhaber vertriebenen Produkten gleichen.

Wettbewerbsrechtliche Schranken werden dem Patentinhaber darüber hinaus auch in der Gestaltung seiner Preispolitik und seiner Lizenzvereinbarungen gesetzt. Unverhältnismäßig hohe Produktpreise, Lizenzgebühren oder unverhältnismäßig starke Beschränkungen der Rechte des Lizenznehmers können im Einzelfall einen wettbewerbsrechtlichen Missbrauchstatbestand erfüllen und somit auf Grundlage des Wettbewerbsrechts unterbunden werden.

Entschärfung der Interessengegensätze durch Patentpools und Selbstregulierung

Durch die Bildung eines Patentpools oder Clearinghouses durch die Inhaber von Patenten auf Krankheitsgene und hierauf basierenden Gentests kann die aufgezeigte Problematik entschärft werden. Ohne in die Rechtsposition der Patentinhaber unverhältnismäßig einzugreifen, lässt sich ein solches Modell jedoch nur auf freiwilliger Basis der Patentinhaber verfolgen.

Auf der Eigenverantwortung der Patentinhaber basiert auch der Ansatz einer regulierten Selbstregulierung. Im Rahmen dieses Systems unterwerfen sich die Patentinhaber einer Selbstverpflichtung hinsichtlich gewisser Lizenzierungsprinzipien und -leitlinien. Der Vorteil von Richtlinien zur Lizenzierung human-genomischer Erfindungen ist, dass hier auch Fragen der Patientenaufklärung, datenschutzrechtliche Aspekte sowie die Zulässigkeit der Vereinbarung von Geheimhaltungsverpflichtungen, Durchgriffsrechten und Ähnliches berücksichtigt werden können.

Originalveröffentlichungen

K.A. Herrlinger:
Die Patentierung von Krankheitsgenen – dargestellt am Beispiel der Patentierung der Brustkrebsgene BRCA1 und BRCA2.
Schriftenreihe zum gewerblichen Rechtsschutz, Band 137-l, Carl-Heymanns, Köln 2005.
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