Forschungsbericht 2012 - Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie

Konkurrenz, Kooperation und Hormone bei Schimpansen und Bonobos

Autoren
Deschner, Tobias
Abteilungen
Abteilung Primatologie
Zusammenfassung
Die Erforschung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden im Verhalten und in der Physiologie von Menschen und Menschenaffen verhilft zu einem immer besseren Verständnis der menschlichen Evolution. Forscher der Abteilung Primatologie am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig untersuchen anhand von Verhaltensbeobachtungen und der Messung physiologischer Parameter im Urin frei lebender Menschenaffen, wie sich Konkurrenz und Kooperation auf die Exkretion verschiedener Hormone auswirken.

Konkurrenz der Männchen um Weibchen, Bonobos machen es anders

Gängige Theorien zur Evolution des Menschen basieren überwiegend auf der Annahme, dass sich der Mensch aus einem schimpansenähnlichen Vorfahren entwickelt hat. Dass Bonobos, die Schwesternart der Schimpansen, genauso eng mit uns verwandt sind wie diese, wird dabei oft außer Acht gelassen. Bonobos unterscheiden sich jedoch in einer Reihe grundlegender Faktoren in ihrer Sozialstruktur und ihrem Verhalten von Schimpansen. Um eine genauere Vorstellung davon zu entwickeln, wie die menschliche Evolution verlaufen sein könnte, ist es daher notwendig, ein detailliertes Bild von dem Verhalten wild lebender Bonobos zu erhalten, um dieses mit den bekannten Verhaltensmustern von Schimpansen und derzeit lebenden Menschengruppen zu vergleichen.

Bei Schimpansen sind Männchen dominant über Weibchen und konkurrieren mit aggressivem Verhalten um empfängnisbereite Weibchen. Diese Aggression richtet sich nicht nur gegen andere Männchen, sondern wird auch häufig dazu benutzt, um Weibchen gefügig zu machen. In einem solchen Paarungssystem zahlt es sich für Männchen aus, in Verhaltensweisen und Physiologie zu investieren, die ihre körperliche Konkurrenzfähigkeit maximieren. Dies kann zum Beispiel über den Testosteronspiegel geschehen. Testosteron hat eine anabole Wirkung, was bedeutet, dass es zu einem Zuwachs an Muskelmasse führt. Diese bietet dem Tier einen Vorteil in einer aggressiven Konkurrenzsituation. Außerdem steigert Testosteron allgemein die Bereitschaft, sich auf aggressive Auseinandersetzungen einzulassen. In einem Paarungssystem wie dem der Schimpansen, in dem sich das Durchsetzungsvermögen in aggressiven Interaktionen mit anderen Männchen direkt in einen gesteigerten Paarungs- und Reproduktionserfolg überträgt, wäre es also nur folgerichtig, wenn der Testosteronspiegel der Männchen im Beisein empfängnisbereiter Weibchen ansteigen würde. Tatsächlich hat man das bei wilden Schimpansen gefunden [1]. Zum anderen haben höherrangige Männchen, welche die höchsten Paarungs- und Fortpflanzungserfolge erzielen, einen höheren Testosteronspiegel als niederrangige. Es stellt sich natürlich die Frage, warum nicht alle Männchen in hohe Testosteronspiegel investieren. Die Antwort ist, dass Testosteron auch negative Effekte haben kann. Ein hoher Testosteronspiegel wirkt sich nachteilig auf das Immunsystem aus, und gesteigerte Aggressivität führt auch zu einem erhöhten Verletzungsrisiko.

Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie untersuchten das Verhalten von Bonobos an einer Gruppe, die in LuiKotale in der Nähe des Salonga Nationalparks in der Demokratischen Republik Kongo beheimatet ist, und haben sich dabei für einige Zeit auf die Fortpflanzungsstrategien der Männchen konzentriert.

Welches Bild ergibt sich in diesem Zusammenhang nun für Bonobos? Bei den Bonobos sind die Männchen nicht dominant über die Weibchen, und in den meisten Gruppen werden sogar die höchsten Rangplätze von Weibchen belegt [2]. Die bei Schimpansen verbreitete Strategie, aggressiv um Weibchen zu konkurrieren, könnte sich daher für Bonobo-Männchen als weniger erfolgreich erweisen, da das Weibchen immer in einer Position sein könnte, in der es sich dem Männchen verweigern kann. Wie gestalten sich nun männliche Fortpflanzungsstrategien und die korrespondierenden Testosteronspiegel bei Bonobos? Die Ergebnisse unterschieden sich erheblich von den bei Schimpansen gewonnenen Erkenntnissen. Obwohl ranghohe Männchen ebenfalls aggressiver waren als rangniedere und die Anwesenheit empfängnisbereiter Weibchen zu einem Anstieg von Aggression führte, richtete sich diese nie gegen das attraktive Weibchen. Außerdem gab es bei den Männchen keinen positiven Zusammenhang zwischen Rang und Testosteronspiegel [3].

Im Gegenteil, in Anwesenheit empfängnisbereiter Weibchen passierte etwas Verblüffendes: Während der Testosteronspiegel bei rangniederen Männchen leicht anstieg, fiel er bei ranghohen Männchen sogar ab, was zu einem negativen Zusammenhang zwischen Rang und Testosteron führte. Trotzdem erzielten ranghohe Männchen einen höheren Paarungserfolg. Anstatt sich aggressiv gegen andere Männer durchzusetzen und Weibchen einzuschüchtern, suchen erfolgreiche Bonobo-Männer die Nähe der Weibchen und bemühen sich, mit diesen eine enge Beziehung aufzubauen. Männchen, die noch eine Mutter in der Gruppe haben, werden zudem von dieser in ihren Bemühungen tatkräftig unterstützt [4]. Diese Nähe zu empfängnisbereiten Weibchen ist allerdings nicht ohne Kosten zu haben. Hochrangige Männchen, die sich häufiger in der Nähe empfängnisbereiter Weichen aufhalten, haben höhere Cortisolspiegel als andere Männchen, was auf ein erhöhtes Stressniveau hindeutet [5].

Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass beim Bonobo, einem der nächsten Verwandten des Menschen, nicht aggressives Verhalten bei der Maximierung des Fortpflanzungserfolgs im Vordergrund steht, sondern dass Bonobo-Männchen erfolgreicher sind, wenn sie in enge Beziehungen zu Weibchen investieren. Diese neu gewonnenen Einsichten eröffnen eine neue Perspektive auf die Evolution der menschlichen Paarbeziehung. Wie die Weibchen nun auf diese Situation reagieren und nach welchen Kriterien sie ihre Fortpflanzungspartner auswählen, ist Thema einer Folgestudie, die zurzeit an den Bonobos in LuiKotale durchgeführt wird.

Sozialbeziehungen: Lausen ist nicht gleich Lausen und warum ein gemeinsames Essen so wichtig sein kann

Was sind die physiologischen Grundlagen für den Aufbau von Beziehungen? Es ist bekannt, dass bei einer der grundlegendsten Beziehungen bei Säugetieren, der Mutter-Kind-Beziehung, das Hormon Oxytocin, ein Neuropeptid, eine wichtige Funktion für den Aufbau dieser Beziehung hat [6]. Kann Oxytocin aber auch das Verhalten gegenüber nicht verwandten Individuen beeinflussen? Hier zeigen zum Beispiel experimentelle Studien beim Menschen, dass die Anwendung eines oxytocinhaltigen Nasensprays dazu führt, dass Teilnehmer in einem Spiel erhöhtes Vertrauen, aber auch Großzügigkeit zeigen [7].

Wissenschaftler am MPI für evolutionäre Anthropologie untersuchten, wie sich die Qualität von Beziehungen bei Interaktionen zwischen wild lebenden Schimpansen auf die Oxytocinausschüttung auswirkt, und machten sich dabei zunutze, dass Oxytocin nun auch im Urin von Menschen und Menschenaffen gemessen werden kann. Sie beobachteten das Fellpflegeverhalten und seine Auswirkungen auf die Oxytocinausschüttung bei wild lebenden Schimpansen im Budongo-Forest Reserve, Uganda. Einige Minuten an Fellpflege führten tatsächlich zu einer erhöhten Oxytocinkonzentration im Urin [8]. Allerdings war der Effekt stark von der Identität des Fellpflegepartners abhängig. War der Fellpflegepartner ein Tier, mit dem eine enge Beziehung unterhalten wurde, dann kam es zu einem stärkeren Oxytocinanstieg. Dieser Effekt war unabhängig davon, ob das Tier mit dem Partner verwandt war oder nicht. Das bedeutet, dass bei Schimpansen die Qualität der Partnerbeziehung auch zwischen nicht verwandten Tieren einen Einfluss auf die Oxytocinausschüttung hat.

Wie kann es aber überhaupt zu der Bildung von engen, kooperativen Beziehungen zwischen nicht verwandten Tieren kommen? Eine weitere Studie könnte darauf erste Hinweise geben: Hier zeigte sich, dass Oxytocin im Vergleich zu Kontrollsituationen bei Tieren ansteigt, die das Futter miteinander teilen, und zwar unabhängig davon, ob das Tier der Geber oder Nehmer ist [9]. Es könnte also sein, dass Bindungsmechanismen, die sich ursprünglich zwischen Mutter und Kind entwickelt haben, bei einigen Tierarten, darunter Mensch und Schimpanse, so generalisieren ließen, dass sie nun auch zwischen nicht miteinander verwandten Tieren funktionieren.

Physiologische Messmethoden angewandt bei wild lebenden Tieren

Die Erforschung physiologischer Vorgänge bei frei lebenden Menschenaffen stellt eine große Herausforderung dar. Ein Großteil der etablierten Messmethoden wurde für die Verwendung an menschlichem Blut entwickelt. Die Aufgabe besteht nun darin, die Methoden zum einen für die Verwendung bei einer anderen Art und dann noch für Urin oder Kot anzupassen. Für diese Art von Methodenvalidierung werden oft Proben benötigt, die unter standardisierten Bedingungen von Zootieren gesammelt wurden. Neben vielen anderen haben vor allem die Zoos in Frankfurt und Leipzig die Forscher am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in den letzten Jahren hervorragend unterstützt.

Die Schwerpunkte bei der Methodenentwicklung liegen in den Bereichen Ernährung und Energiebilanz [10], Modulierung von Sozialbeziehungen, Stress und Ontogenese. In Zusammenarbeit mit der Abteilung „Human Evolution“ am Institut wurden Methoden entwickelt, die es gestatten, Nahrungsknappheit durch Messung von stabilen Isotopen von 13C und 15N im Urin und von Fleischverzehr in Haaren von Menschenaffen nachzuweisen.

Literaturhinweise

Muller, M. N.; Wrangham, R. W.
Dominance, aggression and testosterone in wild chimpanzees: A test of the 'challenge hypothesis'
Animal Behaviour 67, 113–123 (2004)
Hohmann, G.; Fruth, B.
Intra- and inter-sexual aggression by bonobos in the context of mating
Behaviour 140, 1389–1413 (2003)
Surbeck, M.; Deschner, T.; Schubert, G.; Weltring, A.; Hohmann, G.
Mate competition, testosterone and intersexual relationships in bonobos, Pan paniscus
Animal Behaviour 83, 659–669 (2012)
Surbeck, M; Mundry, R.; Hohmann, G.
Mothers matter! Maternal support, dominance status and mating success in male bonobos (Pan paniscus)
Proceedings of the Royal Society B 278, 590–598 (2011)
Surbeck, M.; Deschner, T.; Weltring, A.; Hohmann, G.
Social correlates of variation in urinary cortisol in wild male bonobos (Pan paniscus)
Hormones and Behavior 62, 27–35 (2012)
Carter, S.; Boone, E.; Grippo, A. J.; Rusico, M.; Bales, K. L.
The endocrinology of social relationships in rodents
In: Endocrinology of social relationships, 121–137 (Eds. Ellison, P. T.; Gray, P. B.). Harvard University Press, Cambridge (2009)
Kosfeld, M.; Heinrichs, M.; Zak, P. J.; Fischbacher, U.; Fehr, E.
Oxytocin increases trust in humans
Nature 435, 673–676 (2005)
Crockford, C.; Wittig, R.; Langergraber, K.; Ziegler, T.; Zuberbuhler, K.; Deschner, T.
Oxytocin and social bonding in unrelated chimpanzees
Proceedings of the Royal Society B 280: 20122765, DOI http://dx.doi.org/10.1098/rspb.2012.2765 (2013)
Wittig, R. M.; Crockford, C.; Deschner, T.; Langergraber, K.; Ziegler, T.; Zuberbühler, K.
Food sharing is linked to urinary oxytocin levels and long-term cooperation in unrelated chimpanzees
(in press)
Deschner, T.; Kratzsch, J.; Hohmann, G.
Urinary C-peptide as a method for monitoring body mass changes in captive bonobos (Pan paniscus)
Hormones and Behavior 54, 620–626 (2008)
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