Forschungsbericht 2008 - Max-Planck-Arbeitsgruppen für strukturelle Molekularbiologie am DESY
Zytoskelett: Architektur und Bewegung der Zelle
Zytoskelett (Prof. Dr. Eckhard Mandelkow)
MP Arbeitsgruppen für strukturelle Molekularbiologie am DESY, Hamburg
Das Zytoskelett – ein plastisches Korsett für die Zelle
Das Zytoskelett ist für die Form der Zellen, für die Bewegung, für Materialtransport, für Zellteilung und Zelldifferenzierung verantwortlich. Es besteht aus drei Fasersystemen, den Aktinfilamenten, den Intermediärfilamenten und den Mikrotubuli. Diese Fasern können sich aus Protein-Untereinheiten selbständig auf- und wieder abbauen, das heißt. sie sind dynamisch, und sie haben die Fähigkeit der "„Selbstorganisation“. Hinzu kommen zahlreiche Proteine, die an die Fasern andocken, Fasern miteinander verbinden oder Verbindungen mit anderen Zellkomponenten, z. B. der äußeren Zellmembran oder der Kernmembran, herstellen können. Eine wichtige Klasse dieser assoziierten Proteine sind die „Motorproteine“. Sie können chemische Energie in Form von Adenosintriphosphat (ATP) in mechanische Energie umwandeln und dadurch Lasten transportieren. Die Mikrotubuli werden durch verschiedene „Mikrotubuli-Assoziierte Proteine“ (MAP) stabilisiert. Ein bekanntes Beispiel für das Zusammenspiel verschiedener Zytoskelett-Proteine ist die Zellteilung; dabei bilden Mikrotubuli einen Spindelapparat aus, der die Chromosomen mithilfe von Motorproteinen auseinanderziehen kann. Bei den Nervenzellen stellen Mikrotubuli die „Gleise“ für den Transport in den Zellfortsätzen (Axone, Dendriten) dar, wo Lasten über weite Entfernungen zu den Nervenendigungen (Synapsen) geliefert werden müssen.
Der Schwerpunkt der Arbeiten der Abteilung „Zytoskelett“ liegt auf der Untersuchung der Selbstorganisation der Mikrotubuli, der Struktur Mikrotubuli-abhängiger Motorproteine, dem Mikrotubuli-assoziierten Tau-Protein und seiner Rolle in der Alzheimerkrankheit. Dabei wurden biochemische, molekularbiologische, zellbiologische und biophysikalische Methoden kombiniert. Die Intensität der Synchrotronstrahlung erlaubt es, Wachstum und Zerfall von Mikrotubuli in Echtzeit durch Beugung des Röntgenlichts zu verfolgen, Röntgenbilder von sehr kleinen Proben von Alzheimer-Fasern aufzunehmen oder die Struktur von kristallisierten Proteinen mit hoher Auflösung zu bestimmen. Durch Ankoppeln von fluoreszierenden Molekülen und Einschleusen in Nervenzellen kann die Verteilung von Tau-Protein in lebenden Nervenzellen dargestellt werden und so seine mögliche Fehlfunktion in der Alzheimerkrankheit untersucht werden. Transgene Zell- und Mausmodelle bestätigen die pathologische Wirkung der Tau-Proteins und zeigen, welche Eigenschaften seiner Struktur dafür verantwortlich sind. Es folgen einige Beispiele aus der Arbeit des vergangenen Jahres.
MARK – Struktur und Regulation einer Familie von Proteinkinasen
Proteinkinasen sind Enzyme, die Phosphatgruppen auf Proteine übertragen und damit die Funktion der Zielproteine verändern (z. B. Aktivierung oder Hemmung). Dieser Mechanismus wird in Zellen häufig für die Übertragung von Signalen verwendet. Im Fall des Tau-Proteins führt die Phosphorylierung an bestimmten Stellen zur Ablösung von den Mikrotubuli. Die Konsequenzen sind, dass Mikrotubuli destabilisiert werden und somit als Gleise für den intrazellulären Transport ausfallen, und dass das abgelöste Tau-Protein in den neuronalen Zellen anomal aggregieren kann und die „Neurofibrillenbündel“ der Alzheimerkrankheit bildet. Die Suche nach der verantwortlichen Proteinkinase führte zur Entdeckung von MARK („MAP-Mikrotubuli-affinitätsregulierende Kinase“). Es handelt sich um eine Familie von vier Isoformen (MARK1-4), die zur Gruppe der AMP-Kinasen gehört. Die Hamburger Wissenschaftler haben mithilfe der Proteinkristallographie die Strukturen von mehreren Isoformen und Varianten der Kinase aufgeklärt (Abb. 1). Die katalytische Domäne ist ähnlich aufgebaut wie bei anderen Kinasen, aber eine Besonderheit ist die Ubiquitin-assoziierte Domäne (UBA), die vermutlich einen Ubiquitin-abhängigen Regulationsmechanismus ermöglicht. Die katalytische Domäne kann durch verschiedene Kinasen phosphoryliert werden, was entweder zur Aktivierung (MARKK, LKB1) oder Inaktivierung (GSK3β) führt [1]. Weiterhin kann MARK oder seine Aktivatoren durch direkte Bindung an andere Proteinkinasen reguliert werden, z. B. TESK1, PAK5, was zu einer wechselseitigen Kontrolle der zwei wesentlichen Zytoskelett-Netzwerke führt (Aktinfilamente und Mikrotubuli) [2].
Die physiologische Wirkung der Kinase lässt sich durch Transfektion von primären neuronalen Zellen oder von Maus-Embryonen nachweisen. So kann z. B. der axonale Transport in Neuronen durch das Wechselspiel zwischen Tau-Protein und seiner Kinase MARK verändert werden; die Wanderung von Neuronen bei der Ausformung des Gehirns wird von MARK gesteuert (Zusammenarbeit mit der Gruppe von Orly Reiner, Weizmann Institut, Israel, [3]). Bei der krankhaften „Hyperphosphorylierung“ des Tau-Proteins in Maus-Modellen der Alzheimerkrankheit findet man MARK zusammen mit dem Tau-Protein angereichert vor (Abb. 2).
Tau-Protein – ein nativ entfaltetes Protein mit pathologischer Wirkung
Tau-Protein stabilisiert normalerweise die Mikrotubuli in Nervenzellen, kann sich aber bei der Alzheimer-Demenz krankhaft verändern. Dasselbe geschieht in anderen sog. „Tauopathien“, z. B. bei frontotemporalen Demenzen oder Morbus Pick. Die Folge ist, dass das Zytoskelett zusammenbricht, sodass das Tau-Protein zu unlöslichen Fasern verklumpt. Es bilden sich die „paarigen helikalen Filamente“ der Alzheimerkrankheit, die die Nervenzellen verstopfen und sie absterben lassen (Übersicht: [4]). Eine Besonderheit des Tau-Proteins ist es, dass es keine kompakt gefaltete Struktur besitzt, in der Zelle weitgehend entfaltet und flexibel ist und trotzdem seine physiologische Funktion erfüllt (Stabilisierung von Mikrotubuli in neuronalen Axonen). Die Struktur des Proteins lässt sich deshalb nicht mit Proteinkristallographie lösen, sondern man muss auf spektroskopische und andere biophysikalische Methoden zurückgreifen. Die globale Faltung wurde untersucht, indem verschiedene Paare von Aminosäuren jeweils markiert wurden mit Fluoreszenz-Donor- und -Akzeptor-Gruppen, so dass ihr Abstand mithilfe des sog. FRET-Effekts bestimmt werden konnte. Es zeigte sich, dass das Tau-Protein in Lösung ähnlich wie eine Büroklammer gefaltet ist, sodass der N- und C-Terminus sich auf die Mitte des Proteins zurückfalten. Wenn Tau-Protein in einen phosphorylierten Zustand versetzt wird, wird die Struktur kompakter – es entsteht eine „pathologische Konformation“, wie sie auch durch bestimmte Antikörper gegen Tau-Protein in der Alzheimerkrankheit typisch ist. Auf diese Weise lässt sich die Konformationsänderung des Proteins im Frühstadium der Krankheit in vitro nachstellen und untersuchen [5]. Ein zweiter Untersuchungsansatz war die Röntgenbeugung in Lösung (SAXS; Zusammenarbeit mit der Gruppe Dmitri Svergun, EMBL, [6]). Hier zeigt es sich, dass das Tau-Protein wesentlich mehr Raum einnimmt (ca. 20fach), als es einem kompakt gefalteten Protein gleicher Länge entsprechen würde (Streumassenradius 6.5 nm statt 2.4 nm, Abb. 3). Es scheint, dass das Protein sich wie ein beweglicher „Puffer“ über die Oberfläche eines Mikrotubulus verteilt.
Neben der Strukturaufklärung mit Röntgenstrahlung hat in den letzten Jahren die Kernresonanzmethode (NMR) eine zunehmende Bedeutung erlangt. In Zusammenarbeit mit dem MPI für biophysikalische Chemie Göttingen (Christian Griesinger, Marc Baldus, Marcus Zweckstetter u.a.) wurden verschiedene Domänen des Tau-Proteins separat und in Kombination mit Lösungs- und Festkörper-NMR untersucht (z. B. [7]). Die Ergebnisse zeigen, dass Tau zwar insgesamt den Charakter eines entfalteten Proteins besitzt, trotzdem gibt es eine Reihe von begrenzten Elementen der Sekundärstruktur (α-Helix, Poly-Prolin-Helix, β-Struktur). Die β-Struktur ist von besonderer Bedeutung, weil hierauf die pathologische Aggregation des Proteins beruht. Die NMR-Ergebnisse zeigen außerdem, an welchen Stellen des Tau-Proteins die Wechselwirkung mit anderen Partnerproteinen oder Liganden stattfindet (z. B. Mikrotubuli, Kupferionen oder Aggregationsinhibitoren).
Transgene Mausmodelle der Tau-Pathologie in der Alzheimerkrankheit
Die auslösenden Faktoren der Alzheimerkrankheit und der pathologischen Proteinablagerungen im Gehirn sind bis heute nur in Ansätzen bekannt. Deswegen spielen transgene Tiermodelle eine wesentliche Rolle bei der Ursachenforschung. Die Gruppe von Eckhard Mandelkow hat transgene Mausmodelle entwickelt, in denen mehrere Elemente neu kombiniert wurden [8]: (1) Die Mäuse exprimieren das humane Tau in einer regulierbaren Weise, das heißt das Protein kann zu bestimmten Zeitpunkten an- und wieder abgeschaltet werden. Auf diese Weise kann man den Einfluss des Alterns auf die Pathologie des Tau-Proteins sowie die Regenerationsfähigkeit des Gehirns beobachten. (2) Das Protein wird nur in den Gehirnregionen exprimiert, in denen auch die Neurofibrillen der Alzheimerkrankheit erscheinen. (3) Es werden verschiedene Varianten des Tau-Proteins exprimiert, die sich systematisch voneinander unterscheiden, vor allem in ihrem Aggregationsverhalten („Wildtyp“, „Pro-Aggregations-Mutante“, und „Anti-Aggregations-Mutante“). Dadurch wird es möglich, den Effekt der Tau-Expression von dem Effekt der Aggregation zu unterscheiden.
Die Ergebnisse zeigen, dass die Neurofibrillen-Pathologie eindeutig von der Aggregationsfähigkeit abhängt, nicht von der Expression von Tau an sich. Diese Aggregationsfähigkeit wird wiederum von kurzen Elementen in der Tau-Sequenz bestimmt, die fähig sind, eine β-Struktur auszubilden. So zeigen beispielsweise Pro-Aggregations-Mutanten schon nach 3 Monaten ausgeprägte Neurofibrillen, während Anti-Aggregations-Mutanten auch nach 2 Jahren noch völlig frei davon sind (Abb. 4). Dass die Aggregation des Tau-Proteins tatsächlich toxisch ist, zeigt sich am Verlust von Synapsen und am Absterben von Neuronen genau in den Regionen, die auch in der Alzheimerkrankheit des Menschen betroffen sind, z. B. im Hippokampus, der für die Speicherung des Gedächtnisses verantwortlich ist (Abb. 5). Überraschend waren die Befunde, dass die Aggregate im Gehirn reversibel sind (d.h. sich nach Abschalten der Expression von Tau wieder zurückbilden können), und dass das exogene humane Tau-Protein auch das endogene Maus-Tau zur Aggregation bringen kann, so als ob ein „toxisches“ Tau-Molekül ein gesundes „infizieren“ kann.
Therapeutischer Ansatz: Suche nach Wirkstoffen gegen die Tau-Aggregation
Aufgrund der genannten Befunde liegt es nahe, die Degeneration der Neuronen durch Hemmstoffe der Aggregation zu verlangsamen oder rückgängig zu machen. Eine Suche nach geeigneten Wirkstoffen wurde bereits eingeleitet, mehrere Klassen von möglichen Hemmstoffen wurden identifiziert und durch kombinatorische Chemie weiterentwickelt (Zusammenarbeit mit den Gruppen Herbert Waldmann, MPI Dortmund und Boris Schmidt, TU Darmstadt, vgl. [9]). Es konnte gezeigt werden, dass diese Substanzen die Aggregation und Toxizität des Tau-Proteins in neuronalen Zellen verhindern und einmal gebildete Aggregate wieder auflösen können. Ziel der weiteren Arbeit ist es, die Wirksamkeit der Substanzen an Mäusen nachzuweisen und sie zum Einsatz in der Klinik weiterzuführen.