Forschungsbericht 2005 - Max-Planck-Institut für Nachhaltige Materialien GmbH

Neue Hochtemperaturwerkstoffe auf der Basis intermetallischer NiAl-(Cr,Mo,Re)-Legierungen für zukünftige Energiewandlungssysteme

Autoren
Frommeyer, Georg; Rablbauer, Ralf
Abteilungen

Werkstofftechnik (Prof. Raabe, kommissarisch) (Prof. Dr.-Ing. Dierk Raabe)
MPI für Eisenforschung GmbH, Düsseldorf

Zusammenfassung
Neue hochwarmfeste Werkstoffe auf Basis der intermetallischen Phase NiAl werden für Anwendungen als Strukturkomponenten in Energiewandlungssystemen entwickelt und charakterisiert. Die intermetallische Verbindung NiAl mit B2-Übergitter weist eine Kombination ausgezeichneter physikalischer und mechanischer Eigenschaften auf. Aufgrund der geordneten Kristallstruktur sind Duktilität und Zähigkeit bei Raumtemperatur eingeschränkt. In unverstärktem NiAl sind Warmfestigkeit und Kriecheigenschaften bei Temperaturen oberhalb 800 °C noch nicht ausreichend. Die Refraktärmetalle Cr, Mo und Re bilden mit NiAl quasibinäre eutektische Systeme und gestatten die Herstellung von in situ faserverstärkten NiAl-Basislegierungen mit thermisch stabilen Mikrostrukturen. Im Vergleich zu einphasigem NiAl zeichnen sich die mit Refraktärmetallen verstärkten NiAl-(Cr,Mo,Re)-Legierungen durch verbesserte Duktilität und höhere Kriechfestigkeiten aus.

Einleitung

Die Forschungsarbeiten zu Nickelaluminiden am Max-Planck-Institut für Eisenforschung weisen eine lange Tradition auf und datieren zurück auf das Jahr 1937, in dem grundlegende thermodynamische Untersuchungen zur Konstitution der isotypen Systeme NiAl, CoAl und FeAl von W. Oelsen [1] durchgeführt wurden. Die atomare Fehlordnung in NiAl und deren Einfluss auf die elektrischen Transporteigenschaften wurden von H.J. Engell und Mitarbeitern von 1969 bis 1971 [2, 3] aufgeklärt. Grundlegende Arbeiten zur Bruchzähigkeit erfolgten von P. Neumann und H. Vehoff 1995 [6]. Beachtliche Beiträge zur Hochtemperaturoxidation wurden von H.-J. Grabke und Mitarbeitern von 1991 bis 1998 [5] geleistet. Legierungsentwicklung von NiAl mit verstärkenden Laves-Phasen sowie Untersuchungen zur Hochtemperaturverformung erfolgten von Sauthoff und Mitarbeitern von 1992 bis 2003 [7]. Systematische Charakterisierungen der Platzpräferenzen von Legierungselementen und mechanischen Eigenschaften von NiAl-Basislegierungen mit verstärkenden Refraktärmetallen werden von G. Frommeyer und Mitarbeitern seit Anfang der 1990er-Jahre durchgeführt [8, 9].

Heißere Energiewandlungssysteme sind effektiver und sauberer

Zukunftsweisende Entwicklungskonzepte für thermisch hoch beanspruchte Strukturkomponenten in Energiewandlungssystemen, wie stationäre Gasturbinen in Kraftwerksanlagen, Verbrennungsmaschinen, Wärmeaustauscher und Strahltriebwerke, verlangen nach der Erhöhung des thermischen Wirkungsgrades bei signifikanter Reduzierung des Brennstoffverbrauches und der Verminderung der Abgasemission. Dies erfordert den Einsatz von Hochtemperaturlegierungen mit verbesserten thermophysikalischen und mechanischen Eigenschaften sowie guter Oxidations- bzw. Heißgaskorrosionsbeständigkeit. Potenzielle Werkstoffe für Hochtemperaturanwendungen in der zukünftigen Energiekonversionstechnologie sind neu entwickelte, mit Refraktärmetallen verstärkte NiAl-Basislegierungen.

Die intermetallische Phase NiAl weist eine Kombination ausgezeichneter Eigenschaften auf

Die intermetallische Phase NiAl der hochschmelzenden Aluminide der „Eisenmetalle“ des Periodensystems zeichnet sich durch eine hohe elastische Steifigkeit von E = 188 GPa, gute Wärmeleitfähigkeit von λ = 92 W/mK und ein relativ niedrige Dichte von ρ = 5,9 g/cm3 sowie eine exzellente Oxidationsbeständigkeit bis zu 1300 °C und darüber hinaus aus [4, 5]. Die hohe Schmelztemperatur von Tm = 1676 °C und die durch die strukturelle Ordnung begünstigte Warmfestigkeit sind wesentliche werkstoffphysikalische Voraussetzungen für eine Steigerung der Einsatztemperaturen von NiAl-Basislegierungen im Vergleich zu konventionellen Nickel- und Kobaltbasissuperlegierungen; die Metalle Ni und Co weisen niedrigere Schmelztemperaturen von Tm = 1455 °C und 1495 °C auf.

Die Valenzelektronen bestimmen die Gitterstruktur von NiAl

Die elektronisch stabilisierte intermetallische NiAl-Phase des Zweistoffsystems Aluminium-Nickel weist ein ausgedehntes Homogenitätsgebiet auf (Abb. 1a). Im kubisch raumzentrierten B2-Überstrukturgitter besetzen die Ni-Atome die Ecken der würfelförmigen Elementarzelle und die Al-Atome nehmen den innenzentrierten Gitterplatz ein (Abb. 1b). NiAl zählt zur Klasse der Hume-Rothery-Verbindungen mit der Valenzelektronenkonzentration e/a = 3:2. ,e’ ist die Anzahl der an der Verbindungsbildung beteiligten Valenzelektronen und ,a’ repräsentiert die Anzahl der Atome pro Verbindung.

Nach der Hume-Rothery-Regel werden zur Ermittlung der Valenzelektronenkonzentration der intermetallischen Verbindung nur die Valenzelektronen des Hauptgruppenelements Al, nicht aber die vollständig besetzten d-Energiebänder von Ni berücksichtigt. Quantenmechanische Rechungen bestätigen das Kriterium der Valenzelektronenkonzentration. In Legierungen, die von der stöchiometrischen Zusammensetzung Ni50Al50 abweichen, treten unterschiedliche strukturelle Defekte in der streng geordneten NiAl-Struktur auf atomarer Skala auf. In nickelreichen Legierungen werden Ni-Antistrukturatome ins Al-Teilgitter eingebaut und in aluminiumreichen Legierungen werden Leerstellen im Ni-Teilgitter erzeugt. Antistrukturatome und Leerstellen haben einen großen Einfluss auf die physikalischen und mechanischen Eigenschaften von NiAl. Im Allgemeinen üben konstitutionelle Leerstellen im Ni-Teilgitter einen stärkeren Einfluss als Ni-Antistrukturatome auf die physikalischen und mechanischen Eigenschaften aus. Dieser Sachverhalt spiegelt sich z.B. im asymmetrischen Verlauf der Gitterparameter in Abhängigkeit von der Ni- bzw. Al- Konzentration wider (Abb. 2a). Ähnliche Konzentrationsabhängigkeiten weisen die elektrische Leitfähigkeit auf. Die Härte- und Fließspannungskurven zeigen einen inversen Verlauf (Abb. 2b).

Das Überstrukturgitter schränkt die Verformbarkeit ein, aber Chrom verbessert die Duktilität

Notwendig für ein duktiles Verhalten ist die Möglichkeit der Versetzungsbewegung auf kristallografisch definierten Gleitebenen in ausgezeichnete Gleitrichtungen (Abb. 1b). Das von-Mises-Kriterium fordert fünf linear unabhängige Gleitsysteme für eine allgemeine plastische Formänderung. Für ungeordnete Metalle wie z.B. Al, Cu, Fe, Ni oder Co und deren Legierungen steht eine ausreichende Anzahl an Gleitsystemen zur Verfügung. In der streng geordneten Gitterstruktur von NiAl können lediglich drei unabhängige Gleitsysteme aktiviert werden. Die wirkenden Verformungsmechanismen in NiAl reichen nicht aus, um die erforderliche Duktilität und Zähigkeit für technisch einsetzbare Komponenten zu bewirken. Bei Abweichungen von der stöchiometrischen Zusammensetzung nimmt zwar die Festigkeit durch den Einbau von Leerstellen oder Antistrukturatomen zu, die Duktilität der Legierungen nimmt dagegen ab.

Chrom verbessert die Duktilität

Theoretische Berechnungen sagen voraus, dass im NiAl-Gitter gelöste Cr-Atome mit hoher Platzpräferenz für das Al-Teilgitter die Energie der Antiphasengrenzen deutlich absenken. Zudem besetzen Cr-Atome auch das Ni-Teilgitter und „lockern“ die strenge Ordnung des NiAl-Gitters auf. Dadurch wird die Duktilität von NiAl(Cr)-Mischkristalllegierungen deutlich verbessert, was in der Tat experimentell beobachtet wird. Die detaillierte Kenntnis der Platzpräferenzen der Legierungsatome Cr, Mo, Re im NiAl-Gitter ist von großer Bedeutung für die plastische Verformbarkeit der NiAl-(Cr, Mo, Re)-Basislegierungen.

Einbau von hochfesten Refraktärmetallfasern

Das gezielte Werkstoffsdesign durch Mikro- und Makrolegieren auf der Basis der Mischphasenthermodynamik sowie die Aktivierung metallphysikalischer Verformungs- und Verfestigungsmechanismen in Kombination mit werkstoffwissenschaftlichen Kunstgriffen, wie der Faserverstärkung und/oder Dispersionshärtung die Erhöhung der Warmfestigkeit zu realisieren, ist die wesentliche Zielsetzung der innovativen Legierungsentwicklung. Die hochschmelzenden Übergangsmetalle V, Cr, Mo, W und Re bilden thermisch stabile quasibinäre eutektische Systeme, die die Herstellung gerichtet erstarrter Eutektika mit unidirektional verstärkenden Hochmodulfasern ermöglichen. Die Mikrostrukturen und mechanischen Eigenschaften quasibinärer eutektischer Legierungen der Systeme NiAl-Cr, NiAl-Mo und NiAl-Re weisen im Vergleich zu NiAl-Basislegierungen verbesserte Eigenschaften hinsichtlich der Raumtemperaturzähigkeit als auch der Warmfestigkeit auf, was im Folgenden detailliert beschrieben wird.

Repräsentativ für die quasibinären eutektischen Systeme der untersuchten ternären Legierungen zeigt Abbildung 3 das NiAl-Mo-Phasendiagramm. Auf der NiAl-reichen Seite existiert eine moderate temperaturabhängige Löslichkeit von ca. 3,5 At.% Mo bei der eutektischen Temperatur von 1580 °C.

Die eutektische Konzentration beträgt 9,5 At.% Mo. Mit zunehmender Mo-Konzentration erstreckt sich die Eutektikale, die die 3 Phasengebiete miteinander verbindet, bis zur molybdänreichen Seite mit steil ansteigender Liquidustemperatur bis zu 2610 °C, der Schmelztemperatur des Molybdäns.

Die Systeme NiAl-Cr und NiAl-Re haben unterschiedliche eutektische Konzentrationen von c = 34 At.% Cr und c = 1,25 At.% Re bei den eutektischen Temperaturen T = 1450 °C und 1668 °C. Die Schmelztemperaturen der Refraktärmetalle Cr und Re werden mit 1880 °C und 3180 °C angegeben.

Mit zunehmender Schmelztemperatur der Refraktärmetalle nehmen die eutektischen Temperaturen zu und die Konzentrationen werden zur NiAl-reichen Seite verschoben. Die unterschiedlichen Randlöslichkeiten der Legierungselemente im NiAl-Mischkristallgitter sind im Wesentlichen durch die Atomradiendifferenzen der gelösten Atome und Wirtsgitteratome und elektronische Einflüsse sowie die Platzpräferenzen der gelösten Legierungsatome in den Ni- und Al-Teilgittern bestimmt. Mit zunehmenden Atomradien und steigender d-Elektronenzahl von Cr über Mo zu Re nimmt deren Löslichkeit im NiAl-Gitter ab.

Die mittels ALCHEMI – Atom Location by Enhanced Channeling Micro Analysis – im Transmissionselektronenmikroskop und der Atomsonden-Feldionenmikroskopie (APFIM) durchgeführten Platzpräferenzanalysen ergaben nahezu übereinstimmende lokale Löslichkeiten von Cr, Mo und Re in den Ni- und Al-Teilgittern der B2-Struktur. Cr- und Mo-Atome zeigen eine bevorzugte Besetzung von Al-Gitterplätzen von 75 bis 80 At.%, während Re-Atome eine eindeutige Präferenz von 80 bis 85 At.% für das Ni-Teilgitter aufweisen [10].

Im Gusszustand weisen die untereutektischen NiAl-X(Cr, Mo, Re)-Legierungen ähnliche Mikrostrukturen, dargestellt in den Abbildungen 4a-c, auf. Diese bestehen aus primären NiAl-Mischkristallen mit feinstrukturierten Cr-, Mo- oder Re-Ausscheidungen, eingebettet in mikrokristallinen Eutektika von stäbchenförmiger Morphologie der Cr-, Mo- und Re-Kristalliten von 0,2 bis 1,2 μm Durchmesser. Die Mikrostrukturen der gerichtet erstarrten Eutektika (Abb. 4d-f) zeigen gitterförmige Anordnungen der Cr-, Mo- und Re- Fasern mit elliptischen (NiAl-Cr) bis rechteckigen sowie quadratischen Querschnitten (NiAl-Mo, NiAl-Re). Mittlere Durchmesser oder Kantenlängen der Faserquerschnitte variieren zwischen 0,3 bis 1,8 μm.

Die Stöchiometrie bestimmt die Festigkeit und zugleich die Sprödigkeit

Härte und Festigkeit binärer NiAl-Legierungen sind im Wesentlichen durch die Stöchiometrie, d. h. die dominanten atomaren Defektstrukturen, bestimmt. Dieses zeigen die asymmetrischen Verläufe der Fließspannungskurven bei Raumtemperatur von reinem NiAl bzw. der NiAl-Cr5-Legierungen als Funktion der Al-Konzentration in Abbildung 2. Ni-Antistrukturatome und Leerstellen im Ni-Teilgitter bewirken eine quasi Mischkristallhärtung des NiAl, d. h. einen moderaten Anstieg der Fließspannung in an Ni- reichen überstöchiometrischen Legierungen. Entsprechend tritt mit zunehmender Leerstellenkonzentration im Ni-Teilgitter auf der aluminiumreichen Seite, d. h. unterstöchiometrisch an Ni-Atomen, ein steiler Anstieg der Fließspannungskurve auf (Abb. 2b). In der mit Cr mischkristallverfestigten und teilchengehärteten NiAl-Cr5-Legierung weist das Spannungsniveau im Konzentrationsbereich der Stöchiometrie X(Al)/X(Ni) ≈ 1 ein Minimum von 300 MPa auf, während sich beidseitig die Kurvenäste auffächern. Maximale Fließspannungen von 650 MPa werden bei X(Al)/X(Ni) = 0,87 erreicht.

Mechanische belastete Komponenten müssen elastisch steif und fest sein

Die Elastizität von Strukturwerkstoffen ist für die Bauteilauslegung eine wichtige Größe. Die elastischen Eigenschaften der intermetallischen Verbindung NiAl sind im Wesentlichen durch die relativ hohe Gitterenergie von ca. 470 kJ/Mol und die interatomaren Abstände der Ni- und Al-Atome bestimmt. Der Elastizitätsmodul repräsentiert den Widerstand gegen elastische Verformungen, d. h. Scherung und/oder Dehnung bzw. Kompression. Die Elastizitätsmoduli der gerichtet erstarrten NiAl-X(Cr, Mo, Re)-Legierungen werden durch die Hochmodulfasern der Refraktärmetalle Cr, Mo bzw. Re unter Berücksichtigung ihrer Volumenanteile ,VF’ nach dem Modell der Parallelschaltung von Matrix und Fasern Eeut = E(NiAl)•V(NiAl) + E(Fasern)•[1 - V(NiAl)] deutlich erhöht. In Abbildung 5a sind die Verläufe der temperaturabhängigen E-Moduli von Raumtemperatur bis 1000 °C im Vergleich zu reinem NiAl wiedergegeben, wobei letztere mit dem temperaturabhängigen Verlauf der E-Modulkurven der NiAl-Re-Legierung aufgrund des geringen Re-Gehaltes nahezu identisch ist.

Durch den stärker werdenden Einfluss anharmonischer Gitterschwingungen nehmen die E-Moduli nahezu linear mit steigender Temperatur ab. Die spezifischen, d. h. auf die Dichte ρ bezogenen E-Moduli von refraktärmetallverstärkten NiAl-Basislegierungen weisen Werte von E/ρ ≈ 33 GPa/(g/cm3) auf. Die spezifischen elastischen Steifigkeiten dieser Legierungen sind deutlich höher als die Werte von konventionellen Nickel- oder Kobalt-Superlegierungen von E/ρ ≈ 25 GPa/(g/cm3).

Thermisch und mechanisch hoch belastete Komponenten müssen fest sein

Die Fließspannungen gerichtet erstarrter NiAl-X(Cr, Mo, Re)-Eutektika als Funktion des reziproken Faserdurchmesser sind für zwei ausgewählte Temperaturen T1 = 20 °C und T2 = 1000 °C in Abbildung 5b dargestellt. Die linearen Verläufe der Fließspannungen der gerichtet erstarrten Eutektika werden durch die Beziehung: σ(0) = σ(NiAl) + k/d quantitativ beschrieben. Die Fließspannung des NiAl-Refraktärmetall-Komposits σ(0) ist die Summe aus der Fließspannung von NiAl und dem Quotienten des Faktors k und dem Durchmesser d der Refraktärmetallfasern. Die Fließspannungen der NiAl- Matrixphase sowie der kubisch-raumzentrierten Cr- und Mo-Fasern und der hexagonalen Re-Fasern sind unterschiedlich temperaturabhängig, was in den verschiedenen Steigungen der Kurven bei Raumtemperatur und 1000 °C zum Ausdruck kommt.

Maßgefertigte Komponenten müssen kriechstabil sein

Bei höchsten Einsatztemperaturen muss die Festigkeit von mechanisch belasteten Komponenten so hoch sein, dass keine Verformung über die vorgegebenen Maßtoleranzen auftritt. Zum Beispiel muss eine Turbinenschaufel so ausgelegt werden, dass während ihrer gesamten Einsatzdauer von mehreren Jahren eine Formänderung durch Kriechen von ca. 1 % nicht überschritten wird.

Die grundlegenden Hochtemperaturverformungsmechanismen bei niedrigen Verformungsraten der geordneten Phase NiAl sind prinzipiell identisch mit denen ungeordneter reiner Metalle und Legierungen. Das Hochtemperaturverformungsverhalten übereutektischer NiAl-X(Cr, Mo, Re)-Legierungen inklusive von NiAl-W0,9 und reinem NiAl ist in der räumlichen Darstellung in Abbildung 6 wiedergegeben. Die für die Warmverformung und das Kriechen erforderlichen Spannungen bei gegebenen Versuchstemperaturen und Dehnraten sind durch gekrümmte Flächen über der Temperatur-Ebene repräsentiert. Während bei hohen Temperaturen oberhalb 1000 °C und niedrigen Dehngeschwindigkeiten das unlegierte, d. h. unverstärkte NiAl eine deutliche Abnahme der Warm- und Kriechfestigkeit aufweist, tritt eine deutliche Steigerung der Hochtemperaturfestigkeit durch das Zulegieren mit den Refraktärmetallen über den gesamten Bereich der Temperaturen und Verformungsgeschwindigkeiten auf.

Die optimale Warmfestigkeit und Kriechfestigkeit weist die NiAl-Re1-Gusslegierung auf. In ihrer Mikrostruktur liegen neben den bereits erwähnten eutektischen Fasern zusätzlich feindispers verteilte nanokristalline Re-Ausscheidungen mit globularer und stäbchenförmiger Morphologie vor, die besonders effizient das Gleiten und Klettern von Versetzungen während des Kriechens behindern. Dieser Mechanismus wird als Dispersionshärtung bezeichnet.

Nickelaluminid-Refraktärmetall-Legierungen für High-Tech-Anwendungen

Die hervorragenden Eigenschaften von NiAl-Refraktärmetall-Legierungen begründen das hohe Anwendungspotenzial dieser neu entwickelten Legierungsklasse für thermisch und mechanisch hoch belastete Strukturkomponenten. In den vom BMBF finanziell unterstützten Verbundprojekten 03M3019, 03M3034 und 03M2009 haben Forscher am Max-Planck-Institut für Eisenforschung in multilateralen Kooperationen mit der Energiewirtschaft, dem Anlagenbau und der Fahrzeugindustrie entscheidende Beiträge zur Entwicklung und Charakterisierung innovativer Hochtemperaturwerkstoffe geleistet. Abbildung 7 zeigt ausgewählte betrieblich prozessierte und gestestete Komponenten, deren Herstellungsverfahren und Funktion im ergänzenden Text beschrieben werden.

Glossar

Intermetallische Phase

Intermetallische Phasen sind homogene Mischkristalle aus zwei oder mehreren Metallen, die geordnete Kristallgitter - Überstrukturgitter - bilden, in denen die Atome definierte Gitterplätze besetzen. Die Stöchiometrie resultiert nicht notwendigerweise aus den chemischen Wertigkeiten der metallischen Komponenten. Die Überstrukturgitter weisen andere Strukturtypen auf als die Kristallgitter der sie bildenden Metalle. Bekannte Beispiele sind das β- und γ-Messing (Kupfer-Zink-Legierungen) und die β- und γ-Bronzen (Kupfer-Zinn-Legierungen).

Antiphasengrenze

Zur Versetzungsbewegung müssen im geordneten Kristallgitter innere Grenzflächen induziert werden, an denen sich gleichartige Atome gegenüberstehen. An der Antiphasengrenzfläche wechseln Al und Ni ihre Gitterpositionen. Für geordnete Gitterstrukturen ist diese Anordnung energetisch ungünstig, d.h. die Antiphasengrenzflächenenergie ist hoch und schränkt damit die Versetzungsbewegung ein.

Binäres Eutektikum

Phasenübergang eines Zweistoffsystems bei der eutektischen Temperatur, bei der die Schmelze mit zwei festen Phasen begrenzter Randlöslichkeit im Gleichgewicht steht. An oder nahe der eutektischen Zusammensetzung entstehen während der Erstarrung sehr feine Mikrostrukturen. Die Bezeichnung stammt aus dem Griechischen und bedeutet „gut geschmolzen“.

Duktilität und Zähigkeit

Die Duktilität ist ein Maß für die rissfreie plastische Verformbarkeit von Metallen und Legierungen. Verhält sich ein Werkstoff nicht duktil, also spröde, besteht das Risiko eines Sprödbruches, d.h. das Bauteil bricht spontan ohne sichtbare Anzeichen. Die Zähigkeit ist eine mechanische Eigenschaft fester Werkstoffe, die die Duktilität mit der Festigkeit kombiniert. In Biegeversuchen von gekerbten Proben vorgeschriebener Geometrie wird die Bruchzähigkeit quantitativ bestimmt. Diese Werte sind ein entscheidendes Kriterium für die Bauteilsicherheit.

Originalveröffentlichungen

H. Jacobi, B. Vassos und H. J. Engell:
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R. D. Noebe, R. R. Bowman und M. V. Nathal:
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Herausg.: N. S. Stoloff und V. K. Sikka, Chapman & Hall, New York, NY, p. 212 (1996).
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G. Sauthoff:
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Wiley-VCH, Weinheim, Germany (1995).
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