Forschungsbericht 2006 - Max-Planck-Institut für Biologie Tübingen
Molekularer Mechanismus der Signalübertragung durch Membranen
Abt. 1: Proteinevolution (Lupas) (Prof. Dr. Andrei Lupas)
MPI für Entwicklungsbiologie, Tübingen
Die HAMP Domäne in Membranrezeptoren
Die Beantwortung der Frage, wie extrazelluläre Signale durch die Membran ins Innere einer Zelle vermittelt werden, ist eine der zentralen Herausforderungen der modernen Biologie. Denn das Hauptproblem besteht darin, dass Membranen für die meisten Substanzen allenfalls semipermeabel sind und Transmembranrezeptoren, die ein Signal von außen aufnehmen können, keinen direkten Transport von Signalmolekülen in die Zelle bewerkstelligen. Folglich kann das Signal nur indirekt, zum Beispiel auf mechanischem Wege, weitergegeben werden. Dazu muss es zu einer Konformationsänderung im Rezeptormolekül kommen. Extra- und intrazelluläre Domänen von Rezeptorproteinen sind oft durch so genannte HAMP-Domänen miteinander verbunden, die sich unmittelbar an die letzte Transmembranhelix im Molekül anschließen. Das Akronym HAMP steht für das Vorkommen dieser Domäne in Histidinkinasen, Adenylatcyclasen, methylierten Chemotaxisproteinen und Phosphatasen.
Derzeit sind über 7800 Rezeptoren mit HAMP-Domänen in der SMART-Datenbank erfasst,von denen über 97% in Bakterien, 2% in Archaeen und weniger als 1% in Eukaryoten vorkommen. SMART ist eine Datenbank am European Molecular Biology Laboratory in Heidelberg, welche die Verbreitung von über 600 verschiedenen Domänen in Proteinen dokumentiert. Mehr als 20% aller Histidinkinasen und über zwei Drittel der Chemotaxisrezeptoren besitzen eine HAMP-Domäne. Die Sequenzen der HAMP-Domänen zeigen ein sich wiederholendes Muster aus sieben Aminosäuren, in dem die erste und vierte Aminosäure hydrophobe Eigenschaften zeigt. Dieses Muster ist charakteristisch für so genannte Coiled Coil-Strukturen, Bündel von α-Helices die sich umeinander winden. Bis auf die Periodizität der hydrophoben Reste ist die Sequenz wenig konserviert und enthält keine weiteren invarianten Reste.
Strukturaufklärung einer archaebakteriellen HAMP Domäne durch NMR
Wir konnten erstmals die Struktur einer HAMP-Domäne aus dem Rezeptor Af1503 des Archaeons Archaeoglobus fulgidus, das in heißen Quellen bei etwa 85 °C lebt, mittels magnetischer Kernresonanzspektroskopie (NMR) aufklären [1]. Der Vorteil: Bisherige Strukturuntersuchungen waren wahrscheinlich daran gescheitert, dass HAMP-Domänen unter Laborbedingungen (Raumtemperatur) rasch zwischen zwei Schalterpositionen hin und her wechseln, während das Rezeptoprotein des hyperthermophilen Archaeons in einer Konformation fixiert bleibt und daher für NMR-Untersuchungen geeignet ist. Af1503 ist vermutlich Teil eines Signaltranduktionssystems, das am Transport divalenter Metallkationen wie Ca2+ beteiligt ist.
Die Strukturuntersuchungen ergaben, dass es sich bei der Af1503 HAMP-Domäne um ein Bündel aus zwei mal zwei parallelen α-Helices handelt, welche eine vier-helikale Coiled Coil ausbilden (Abb. 1). Die beobachtete Konformation der im Zentrum dieser Struktur verpackten Aminosäurereste weicht jedoch von der erwarteten Konformation (der so genannten knobs-into-holes Geometrie) ab und ist in zweierlei Hinsicht ungewöhnlich und neuartig.
Um dies zu verstehen, ist es notwendig, die erwartete, kanonische Konformation zu betrachten [2]: α-Helices sind spiralenförmige Anordnungen der Polypeptidkette mit einer Periode von 3,63 Aminosäuren pro Umdrehung, bei der die Seitenketten wie Knubbel (knobs) radial abstehen. Eine energetisch besonders günstige Lösung, um α -Helices im selben Register gegeneinander zu verpacken, ist, knobs auf der Kontaktseite in ein Loch zu setzen, welches von vier knobs der gegenüberliegenden Helix gebildet wird (knobs-into-holes). Dies ist jedoch über größere Strecken nur möglich, wenn die Periode der Helices von 3,63 auf 3,5 erniedrigt wird, sodass jeweils ein knob pro Umdrehung auf der Kontaktseite liegt und die Geometrie der Seitenketten sich nach sieben Aminosäuren (oder zwei Umdrehungen der Helix) wiederholt. Diese sieben Seitenkettenpositionen werden mit a, b, c, d, e, f und g bezeichnet. Die knobs auf der Kontaktseite sind a und d und zeigen hydrophobe Eigenschaften. Sie sind jeweils immer an der Seite der symmetrieäquivalenten knobs der anderen Helix verpackt, also a immer mit a’ und d immer mit d’. Die Verringerung der Periode wird erreicht, indem die Helices sich verdrehen und umeinander winden wie die Schnur eines Telefonhörers. Da die Helices selber auch spiralenförmig gewunden sind, nennt man diese doppelt gewundene Struktur eine Coiled Coil.
In HAMP zeigen die knobs von diagonal entgegengesetzten Helices entweder direkt aufeinander zu, eine Position, die x genannt wird, oder sie zeigen seitlich weg, was als da bezeichnet wird (Abb. 2). Verpackungskonflikten wird dadurch aus dem Weg gegangen, dass Helices diagonal abwechselnd einmal die x und einmal die da Geometrie zeigen. Wir haben diese Verpackungsform, die bisher nur in ganz wenigen Coiled Coils beobachtet worden ist, complementary x-da genannt. HAMP ist das einzige Protein, welches diese Verpackungsform mit allen Helices in paralleler Ausrichtung zeigt, in allen anderen verlaufen die Helices antiparallel. Zudem ist es die einzige bekannte Struktur mit asymmetrischer Verpackung: Zwei diagonal gegenüberliegende Helices benutzen nämlich die kanonische Position a, um die x Geometrie auszubilden, und die anderen beiden Helices benützen d. Wie wir sogleich sehen werden, ist dies essenziell für einen Zahnradmechanismus, welchen wir vorschlagen.
Diese Struktur entsprach nicht unseren Erwartungen aus der Sequenzanalyse. Aufgrund des hydrophoben Musters vermuteten wir nämlich eine kanonische knobs-into-holes Strukturkonformation - die wir allerdings rechnerisch modellieren konnten, indem wir jede der vier Helices 26 Grad um die eigene Helixachse drehten. Da die Helices durch ihre Seitenketten miteinander verzahnt sind, mussten dazu benachbarte Helices in entgegengesetzter Richtung gedreht werden. Wie in Abbildung 2 gezeigt, ist dies wegen der asymmetrischen Form der complementary x-da Verpackung möglich.
Signalzustände werden durch die jeweilige HAMP Konformation festgelegt
Da die HAMP-Domäne Teil eines Signaltransduktionsproteins ist, stellten wir die Hypothese auf, dass HAMP zwischen den beiden Konformationen complementary x-da und knobs-into-holes wechselt und jede dieser Konformationen einem definierten Signalzustand entspricht. Um dieses Modell zu erhärten, führten wir Mutationen in die HAMP-Domäne ein, welche die kanonische knobs-into-holes Konformation stabilisieren sollten. Ansatzpunkt war die zweite x-Position der ersten Helix, in der aus sterischen Gründen Aminosäurereste mit kleinen Seitenketten bevorzugt sind. Die Vergrößerung der Seitenkette an dieser Position sollte die beobachtete Verpackungsgeometrie destabilisieren und dadurch die kanonische knobs-into-holes Konformation favorisieren. Unter mehreren Mutanten, die in vitro in der Tat Einfluss auf die Struktur der HAMP-Domäne zeigten, wählten wir die Mutante Af1503 A291V aus, um die Funktion der HAMP-Domäne bei der Signaltransduktion auch in vivo, also in dem Kontext eines gesamten Rezeptors, zu studieren. Verwendet wurden Chemotaxis-Assays in dem Bakterium Escherichia coli. Bakterien haben eine Vielzahl sensorischer Systeme entwickelt, um ihre Umwelt wahrzunehmen und darauf zu reagieren - sie spüren so günstigere, zum Beispiel nährstoffreichere Umgebungen auf und bewegen sich aktiv darauf zu. Das gezielte Wandern entlang eines chemischen Konzentrationsgradienten bezeichnet man als Chemotaxis (Abb. 3. Dabei löst ein Reiz aus der Umgebung eine vorprogrammierte Verhaltensweise aus.
Molekularer Mechanismus der Chemotaxis
Wie kann man sich Chemotaxis als Reaktion auf einen solchen chemischen Stimulus vorstellen? In Abwesenheit von Nährstoffgradienten führen die Zellen einen random walk aus, der aus alternierenden Schwimm- und Taumelbewegungen besteht. Bei Anwesenheit eines chemischen Gradienten (Zucker oder Aminosäuren) wird der Schalter umgelegt: Es kommt zum biased walk, bei dem die Schwimm- gegenüber der Taumelbewegung erhöht wird, um schneller günstigere Areale zu erreichen. Die Taumelbewegung dient stets der räumlichen Neuausrichtung der Zelle. Entsprechende Schalter befinden sich in der Zellmembran hauptsächlich an den Zellpolen. Diese Chemotaxisrezeptoren interagieren mit den chemischen Stimuli, sie bestehen aus verschiedenen Modulen, sodass eine Vielzahl externer Stimuli mit einer Vielzahl von internen Antwortmöglichkeiten kombiniert werden kann. Im Fall der Chemotaxis führt die Bindung eines Signalmoleküls an den extrazellulären Teil eines dimeren Rezeptors zur Auslösung einer intrazellulären Phosporylierungskaskade, an deren Ende Flagellen-Motorproteine das Bewegungsverhalten der Zellen durch ihre Drehrichtung beeinflussen.
Funktionelle HAMP-Hybride
Als wir die HAMP-Domäne des Aspartat-Chemorezeptors Tar mit der Af1503 HAMP Domäne substituierten, verloren die Bakterien weitgehend die Fähigkeit zum Schwimmen. Der gegenteilige Effekt war aber mit der Af1503 A291V Mutante zu beobachten: Die Bakterien konnten kaum noch taumeln. In beiden Fällen verschob die archaeale HAMP-Domäne also das Gleichgewicht der beiden Rezeptorkonformationen stark auf eine Seite und erhöhte so die Reaktionsschwelle. Aus diesen Beobachtungen resultieren weitere Fragen: Durch welche Sequenz- und Struktureigenschaften werden die jeweiligen Schalterstellungen in authentischen Rezeptoren stabilisiert? Lässt sich die Leichtigkeit des Umschaltens modulieren und inwieweit gibt es synergistische Effekte bei den Rezeptormodulen? Das hier vorgestellte Chemotaxissystem erlaubt es uns, diese Fragen in Zukunft anzugehen.
Wir untersuchten die Funktionalität von HAMP-Hybriden auch in vitro am Beispiel der mycobakteriellen Adenylatcyclase Rv3645. Mit der Af1503 HAMP-Domäne wies diese eine im Vergleich zur nativen Adenylatcyclase gesteigerte, in der A291V mutanten Form jedoch eine deutlich erniedrigte Aktivität auf. Mit Adenylatcyclase-Hybriden konnten wir auch eine erste Sequenzeigenschaft ermitteln, welche die Schalterstellung von HAMP beeinflusst: Die Aktivität der Hybride korrelierte direkt mit dem Seitenkettenvolumen an Position 291, also an der zweiten x-Position der ersten HAMP Helix.
Die Austauschbarkeit von HAMP-Domänen lässt auf einen konservierten Signaltransduktionsmechanismus schließen. Meistens werden Signale in cis weitergegeben, das heißt innerhalb einer Polypeptidkette von der N-terminalen Rezeptordomäne zur C-terminalen Effektordomäne. Diese sind zum Beispiel im Chemorezeptor Tar ebenfalls Coiled Coil Strukturen. Da es jedoch Rezeptoren wie Af1503 gibt, die intrazellulär lediglich die HAMP-Domäne besitzen, wird angenommen, dass ebenso ein trans Mechanismus möglich ist. Es ist vorstellbar, dass die Rotation neue Interaktionsoberflächen bietet, über die Wechselwirkungen mit Adapterproteinen ermöglicht oder aber entfernt werden. Die Aneinanderreihung mehrerer HAMP-Domänen in bestimmten Rezeptoren wiederum könnte dann einen zusätzlichen Titrationseffekt einführen. Proteine mit multiplen HAMP-Domänen finden sich beispielsweise in Pilzen, Pflanzen und Protisten. Ihr Ursprung ist wahrscheinlich durch lateralen Gentransfer aus endosymbiontischen Vorfahren zu erklären.
Transmembranrezeptoren ohne HAMP Domäne
Wenn Rezeptoren mit HAMP-Domänen Konformationsänderungen durchlaufen, die auf Helixrotationen basieren, wie funktionieren dann Rezeptoren, die kein derartiges Modul aufweisen? Ein interessantes Experiment der Gruppe um Daniel Koshland weist darauf hin, dass auch hier eine Rotation von Helices die Ursache für resultierende Konformationsänderungen in Effektordomänen sein könnte [3]. Ein Hybridrezeptor-Konstrukt, bestehend aus der cytosolischen Effektordomäne des Insulinrezeptors sowie der extrazellulären Domäne des Aspartat Chemorezeptors Tar zeigte durch Asparat stimulierbare Aktivität. Da Tar die Signalaktivität durch die Rotation seiner cytosolischen Domänen auslöst,und dies offensichtlich auch im Hybridrezeptor tun kann, legt dies den Schluss nahe, dass die Aktivität des nativen Insulinrezeptors ebenfalls durch Rotation reguliert wird. Das Rotationsprinzip könnte somit universelle Bedeutung auch für eukaryontische Rezeptoren und Signaltransduktionssysteme haben, die mit gänzlich anderen Modulen operieren. Unsere zukünftigen Arbeiten werden diesen Aspekt besonders beachten.