Forschungsbericht 2022 - Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik

Die Wissenschaft der Schönheit

Autoren
Brielmann, Aenne
Abteilungen
Abteilung „Computational Neuroscience“
Zusammenfassung
Sobald wir etwas sehen oder hören, beurteilen wir im Bruchteil einer Sekunde, ob wir es mögen oder nicht. Unsere Forschung konzentriert sich darauf, zu verstehen, wie diese Urteile zustande kommen und welchen Einfluss sie auf unsere täglichen Entscheidungen und unser Wohlbefinden haben.

Schönheit macht den Unterschied

Welche Kleider wir tragen, welche Dinge wir essen, welchen Weg wir zur Arbeit nehmen: Tausende alltägliche Entscheidungen hängen davon ab, wie sehr wir ein bestimmtes Aussehen, einen Klang oder einen Geschmack mögen. Trotzdem hat der Großteil der bisherigen Forschungsarbeiten zu diesem Thema ignoriert, dass wir Entscheidungen auch oder vor allem aufgrund unserer Vorlieben treffen.

Ein Grund für den Ausschluss dieses Aspektes  könnte sein, dass es schwierig ist, zu quantifizieren, wie sehr jemand etwas mag. Ein anderer Grund könnte sein, dass Menschen sich sehr darin unterscheiden, was sie mögen. Während die einen zum Beispiel Geld dafür zahlen, auf ein Heavy Metal-Konzert zu gehen, würden sich andere nicht einmal gegen Geld zu einem Besuch überreden lassen. Selbst wenn wir eine Million Personen befragen würden, wie sehr ihnen zum Beispiel ein neues Musikalbum gefällt, wären ihre Antworten kein guter Indikator dafür, ob in Einzelfällen andere dieses Album ebenso sehr mögen würden.

Heißt das, dass Wissenschaftler*innen in der Vergangenheit richtig lagen, persönliche Vorlieben als Forschungsgegenstand zu ignorieren? Wir denken, nein. Derselbe  Mechanismus im Gehirn kann zu unterschiedlichen Resultaten führen, je nachdem, wie der Input aussieht. Wenn wir aber einmal verstanden haben, wie dieser Mechanismus eingehende Informationen, zum Beispiel ein Geräusch, zu einem Output wie Mögen oder Hassen umwandelt, können wir trotz individueller Unterschiede Vorhersagen dazu machen.

Deshalb haben wir für diesen Vorgang, eine Theorie aufgestellt. Sie beruht auf der Idee, dass das Gefühl, etwas zu mögen, ein Signal ist. Es teilt uns mit, dass die Sinneserfahrung, die wir gerade machen, auch gut für unser sensorisches System ist. „Gut“ heißt hier, dass die Erfahrung leicht von unserem Gehirn verarbeitet werden kann, und dass sie dem Gehirn dabei hilft, vorherzusagen, ob in diesem Zusammenhang vergleichbare „gute“ Erfahrungen in der Zukunft gemacht werden können.

Die belohnende Natur, die dem Erleben von Schönheit zugrunde liegt, bringt uns dazu, solche Erfahrungen immer wieder machen zu wollen. Wenn wir uns für eine angenehmere Wahlmöglichkeit entscheiden, wählen wir eine sensorische Erfahrung, die für uns eingehender und zugleich einfacher zu verarbeiten ist.

Eine schöne Umgebung schaffen

Wenn wir reisen, dann tun wir das oft, um schöne Orte zu sehen. Jedes Jahr geben Tourist*innen Millionen von Euro aus, um nach Barcelona zu reisen und die angeblich schönste Straße der Welt zu sehen: „Las Ramblas“. Was aber macht diese Straße so besonders?

Manche ästhetischen Vorlieben sind zum Großteil biologisch begründet. Um zu unserer Theorie zurück zu kommen: Wenn wir das mögen, was für das sensorische System unseres Gehirns gut ist, weil es diese Dinge gut verarbeiten und sogar von ihnen lernen kann, welche Objekte oder Lebensumwelten würden diese Voraussetzungen für die meisten Menschen wohl am besten erfüllen?

Sofort drängt sich hier die Natur auf. Und tatsächlich haben viele Studien bestätigt, dass Menschen Dinge mögen, die der Natur ähneln. Das heißt nicht nur, dass die Integration von natürlichen Elementen wie Sonnenlicht, Wasser und Pflanzen einen positiven Effekt darauf hat, wie wir unsere Umgebung empfinden. Abstrakte Merkmale können auch von der Natur abgeschaut werden. Das bekannteste dieser Merkmale ist das der Fraktalität.

Kann Wissenschaft die Welt schöner machen?

Ein Baum ist ein gutes Beispiel dafür: Die Struktur eines Astes ähnelt dem des gesamten Baumes und dieses Muster wiederholt sich im ganzen Baum in fortwährend kleinerer Form. Mit anderen Worten: Der Baum ist fraktal und damit ist er visuell anregend. Menschen haben auch eine Vorliebe für Fraktale in der Architektur. Umso mehr eine Fassade fraktalen Mustern entspricht, umso eher verweilen unsere Augen auf ihr. Die meisten traditionellen Architekturstile beinhalten solche fraktalen Elemente. Hingegen hat eine leere Beton- oder Glasfassade unseren Augen nichts zu bieten.

Der Grund dafür, dass Menschen so gerne malerische Altstädte besuchen und dass andere ihre Freizeit in unberührter Natur verbringen, ist, dass diese Umgebungen ihrem Gehirn gefallen. Diese Umgebungen sind einfach zu verarbeiten, doch gleichzeitig komplex genug, um weitere Lernerfahrungen zu sammeln – ganz genau so, wie uns Spiele mit dem für uns richtigen Schwierigkeitslevel am Ball halten und motivieren. Wir empfinden diesen positiven Effekt, den unsere sensorische Umgebung auf unser Gehirn hat, als Schönheit.

Schönheit ist auch mit Stressreduktion und mit größerem Wohlbefinden verbunden. Es ist also nicht verwunderlich, dass Studien gezeigt haben, dass Menschen, die in grüneren Stadtteilen leben oder arbeiten, auch weniger Stress erleben. Der gleiche Effekt kann übrigens mit der Installation von Kunstobjekten erreicht werden.

Das besondere Merkmal unserer Theorie ist, dass wir sie in Form eines mathematischen Modells, eines Algorithmus, ausdrücken können. Wenn wir diesen Algorithmus weiterentwickeln, sollte er in der Lage sein, vorhersagen zu können, welche Dinge wir besonders mögen und welche nicht. Mit unserem neuen Verständnis dafür, wie Menschen Schönheit empfinden, hoffen wir, dass wir herausfinden können, welche weiteren Veränderungen in unserem Lebensumfeld das allgemeine Wohlbefinden steigern könnten.

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