Forschungsbericht 2022 - Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung

Alles, was über Ihre DNA-Sequenz hinausgeht, ist wichtig

Autoren
Gu, Lei
Abteilungen
CPI Forschungsgruppe „Epigenetik“
Zusammenfassung
Wie beeinflussen Verhalten und Umwelt die Funktion des Genoms? Epigenetische Modifikationen des Genoms, zu denen chemische Veränderungen an Proteinen, RNA oder DNA gehören, sind umkehrbar. Sie verändern die DNA-Sequenz nicht, können aber das Ablesen der DNA beeinflussen. Wir interessieren uns für die Regulation der epigenetischen Veränderung komplexer Merkmale über Generationen hinweg. Dazu kombinieren wir Bioinformatik, Epigenomik, Tumorbiologie und Fliegengenetik, um die Rolle der Veränderungen und der daran beteiligten Enzyme bei Alterung, Entwicklung und Krankheiten zu untersuchen.
 

Krebs-Epigenetik 

Epigenetische Modifikationen verändern die DNA-Sequenz nicht, sondern beeinflussen das Ablesen der DNA. Durch die Möglichkeit zur weitreichenden Entschlüsselung des Genoms mittels moderner Sequenzierungstechnologien hat man mittlerweile im Zusammenhang mit menschlichen Krebserkrankungen eine Vielzahl von Mutationen in "epigenetischen Modifikatoren" aufgedeckt.

Wir arbeiten mit multidisziplinären und integrativen Ansätzen, um zu verstehen, wie solche mutierten Epigen-Gene die epigenetischen Abläufe störenund damit zum Fortschreiten von Krebs bei verschiedenen Krebsarten führen. Zu dieser Thematik konnten wir z. B. folgende Ergebnisse erzielen:

  1. Entschlüsselung eines tödlichen Phänotyps (CIMP) bei Ependymomen im Kindesalter.
  2. Identifizierung eines Chromatin-"Lesers", der das Fortschreiten von Prostatakrebs beeinflusst.
  3. Identifizierung der DNA-Methylierungsdynamik während der B-Zell-Reifung bei chronischer lymphatischer Leukämie (CLL)
  4. Identifizierung wiederkehrender Mutationen und ihre Auswirkungen auf das 3D-Krebsgenom bei Melanomen.

Es ist zu erwarten, dass diese Erkenntnisse dazu beitragen, weitere epigenetische Mechanismen aufzufdecken, die Krebserkrankungen zugrunde liegen. Zudem können sie neue Wege für Krebstherapien ebnen, um Patienten zu helfen, die von diesen verheerenden Krebsarten betroffen sind.

Epigenetische Vererbung

Es gibt immer mehr Hinweise darauf, dass Umwelteinflüsse in der vorgeburtlichen Zeit das Risiko für spätere Krankheiten erhöhen können. Die pränatale Belastung durch Tabakrauch wurde als Risikofaktor für eine Vielzahl verschiedener Krankheiten bei Kindern beschrieben, darunter Lungenerkrankungen, Fettleibigkeit und Krebs. Die Daten, die den Zusammenhang zwischen Umwelt, Epigenetik und generationenübergreifender Vererbung belegen, sind jedoch noch immer unzureichend, da es schwierig ist, Proben zu sammeln und Instrumente zur Analyse der komplexen Daten einzusetzen. Wir untersuchten in einer Mutter-Kind-Studie, welche funktionelle Bedeutung umweltbedingte epigenetische Veränderungen für Krankheitsrisiken im späteren Leben haben. Durch die Analyse des gesamten Genoms konnten wir eine genomweite epigenetische, stabile Umprogrammierung entschlüsseln.

Wir stellten fest, dass eine Reihe von krankheitsbezogenen Signalwegen dereguliert sind, darunter der sogenannte Wnt-Signalweg, der sowohl bei rauchenden Müttern als auch bei ihren neugeborenen Kindern an der Entzündungsreaktion der Atemwege beteiligt ist. Hier konnten wir nachweisen, dass ein Zusammenhang zwischen der epigenetischen Umprogrammierung von Genen innerhalb des Wnt-Signalwegs bereits zum Zeitpunkt der Geburt und der Entwicklung einer beeinträchtigten Lungenfunktion im späteren Leben der Kinder besteht.

Darüber hinaus fanden wir eine neuartige DNA-Modifikation, die an der generationsübergreifenden epigenetischen Vererbung in einem Modellorganismus, dem Fadenwurm Caenorhabditis elegans, beteiligt ist, und identifizierten ein wichtiges  beteiligtes Enzym. Unsere Studie beantwortete eine langjährige Frage bezüglich der enzymatischen Aktivität dieses Enzyms und ebnete damit den Weg für die weitere Untersuchung seiner Funktion in verschiedenen biologischen Zusammenhängen.
Ein genaues Verständnis der Zusammenhängezwischen Umwelt und Epigenom sowie der Weitergabe von Informationen an die nächste Generation hätte enorme Auswirkungen auf die Behandlung aktueller komplexer Erkrankungen, die von epigenetischen Interaktionen bestimmt werden.

Epigenetische Mechanismen in der regenerativen Medizin

Die regenerative Medizin zielt darauf ab, Methoden zu entwickeln, mit denen geschädigte oder kranke Zellen, Organe oder Gewebe nachwachsen, repariert und ersetzt werden können. Einige Tiere haben auch als adulte Organismen noch sehr gute Regenerationseigenschaften. Das Herz einer neugeborenen Maus kann im Falle einer Schädigung noch sieben Tage nach der Geburt noch regenerieren. Beim Menschen ist das nur vorgeburtlich möglich.

Unser Team möchte verstehen, welche epigenetischen Mechanismen zu diesem Regenerationsprozess beitragen. Außerdem wollen wir wissen, wie die Regenerationsfähigkeit im Laufe der Evolution verloren geht. Eine Schlüsselfrage ist, ab welchem Zeitpunkt und warum eine differenzierte Zelle den Prozess der Entdifferenzierung nicht reaktivieren kann.

Wir haben gezeigt, dass die Zugänglichkeit des Chromatins, der Gesamtheit von DNA und Proteinen im komprimierten Zustand,  eine Schlüsselrolle spielt. Diese Entdeckung könnte Strategien zur Beeinflussung dieses Prozesses während der Regeneration unterstützen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ein tieferes Verständnis der molekularen Mechanismen, die das epigenetische Gedächtnis regulieren, nicht nur Aufschluss darüber geben wird, wie sich Umweltveränderungen auf die Gesundheit und die Lebensspanne des betroffenen Individuums selbst auswirkt, sondern auch auf die seiner Nachkommen.

Literaturhinweise

Chu, Z.; Gu, L.; Hu, Y; Zhang, X.; Li, M.; Chen, J.; Teng, D.; Huang, M.; Shen, C.-H.; Cai, L.; Yoshida, T.; Qi, Y.; Niu, Z.; Feng, A.; Geng, S.; Frederick, D.T.; Specht, E.; Piris, A.; Sullivan, R.J.; Flaherty, K.T.; Boland, G.M.; Georgopoulos, K.; Liu, D.; Shi, Y.; Bin Zheng, B.
STAG2 regulates interferon signaling in melanoma via enhancer loop reprogramming.
Nature Communications 13, 1859 (2022)
Li, Z.; Peng, M.;  Chen, P.; Liu, C.;  Hu, A.;  Zhang,  Y.;  Peng, J.;  Liu, J.;  Li, Y.;  Li, W.;  Zhu, W.;  Guan, D.;  Zhang,Y.;  Chen, H.;  Li, J.;  Fan, D.;  Huang, K.;  Lin, F.; Zhang, Z.;  Guo, Z.; Luo, H.;  He, X.; Zhu, Y.;  Li, L.; Huang, B.;  Cai, W.; Gu, L.;  Lu, Y.; Deng, K.;  Yan, L.;  Chen, S.
Imatinib and methazolamide ameliorate COVID-19-induced metabolic complications via elevating ACE2 enzymatic activity and inhibiting viral entry.
Cell Metabolism 34, 1–17 (2022)
Blanco, M.A.; Sykes, D.B.; Gu, L.; Wu, M.; Cheloufi, S.; Petroni, R.; Bellamy, D.; Kilgour, M.; Karnik, R.; Wawer, M.; Xiang, Y.; Meissner, A.; Hoechedlinger, K.; Scadden, D.T.;  Shi, Y.
 
Chromatin state barriers enforce an irreversible mammalian cell fate decision.
Cell Reports 37, 109967 (2022)
Zur Redakteursansicht