Forschungsbericht 2022 - Max-Planck-Institut für Biologie Tübingen

Doppelleben: Ein Pflanzenpathogen bietet Schutz für Insekten

Autoren
Salem, Hassan
Abteilungen
Forschungsgruppe Wechselseitige Beziehungen von Lebensgemeinschaften
Zusammenfassung
Symbiosen mit Mikroben treten in unterschiedlichen Formen auf: Von Mutualismus bis Parasitismus, entlang einer kontinuierlichen Skala. Aber wie stabil sind diese Einordnungen? Ist es immer von Vorteil, ein Mutualist zu sein? Und sind Parasiten immer dazu bestimmt, ihren Wirten zu schaden?

Freund oder Feind?

Als Symbiose bezeichnet man das Zusammenspiel zweier Arten. Deren Interaktion kann für beide Partner von Nutzen sein, was man als Mutualismus bezeichnet, oder eine Art bereichert sich auf Kosten der anderen, was Parasitismus genannt wird [1]. Wenn wir Symbiosen beschreiben, nehmen wir an, dass sie nur eine dieser beiden Formen annehmen, und auch dass dies, einmal begonnen, auch so bleibt. Diesem Denkmuster widersprechend haben wir eine Mikrobe entdeckt, die zwischen einem parasitären und einem mutualistischen Lebensstil wechselt - je nach ökologischem Kontext, nämlich der Art des Wirts.

Mikroben in der Welt der Käfer

Meine Forschergruppe „Mutualismus“ verwendet als Modellsystem den Blattkäfer Chelymorpha alternans (Abb. 1). Dieser ist ein Pflanzenfresser, der interessanterweise einen Zweckverband mit einer kleinen Gruppe von Mikroben eingeht [2, 3, 4]. Da nur wenige Partner an dieser Interaktion beteiligt sind, können wir den Blattkäfer dazu nutzten, drei grundlegende Fragen bezüglich der Symbiose zwischen Tieren und Mikroben zu beantworten: Wer ist an der Symbiose beteiligt? Was ist ihr Beitrag? Und wie stabil bleibt die Partnerschaft?

Eine auffällige, pelzige Puppe

Wie alle Käfer, so durchläuft auch Chelymorpha während seiner Entwicklung eine Metamorphose: Die Larven verpuppen sich, bevor sie als erwachsene Tiere schlüpfen. Ein einzigartiges Merkmal der Puppen von Chelymorpha ist, dass sie stets mit einer weißen und pelzigen Substanz bedeckt sind. Man hatte lange Zeit vermutet, dass es sich hierbei einfach um eine wachsartige Ausscheidung handelt. Durch den Einsatz hochauflösender Mikroskopie und der Bestimmung des Erbguts des Pelzes konnten wir nun aber zeigen, dass es sich um eine Substanz mikrobiellen Ursprungs handelt, nämlich um die Mikrobe Fusarium oxysporum, einen weltweit verbreiteten Krankheitserreger von Pflanzen (Abb. 2).

Abwehrverbund

Chelymorpha Puppen sind unbeweglich und daher anfällig für den Befall durch Ameisen und andere bodenbewohnende Gliederfüßer. Da Fusarium die äußere Oberfläche der Puppe bedeckt, vermuten wir, dass die Mikroben dem Wirt bei der Abwehr dieser und anderer Feinde helfen. Um dies zu überprüfen, haben wir den Pilz von den Puppen abgewaschen. Es zeigte sich, dass die Überlebensrate von Puppen mit Pilzbefall höher war als die der gewaschenen Puppen. Dies deutet darauf hin, dass der Pilz tatsächlich die Puppen schützt.

Der Käfer als Transportmittel

Planzenpathogene werden auf verschiedene Weise übertragen. Die Krankheitserreger können Wurzeln aus dem Boden heraus besiedeln, oberirdische Pflanzenteile aus der Luft kommend befallen oder durch pflanzenfressende Insekten eingeschleppt werden. Wir haben untersucht, ob adulte Käfer den Fusarium-Pilz von einer Pflanze auf die nächste übertragen können. Dazu wurde das Vorkommen des Pilzes in Wirtspflanzen des Käfers verglichen, die in An- oder Abwesenheit des Insekts gewachsen sind. Fusarium konnte durchgängig nur in beziehungsweise nach Anwesenheit des Käfers beobachtet werden. Dies zeigt, dass der Käfer seinen Abwehrpartner auf deren gemeinsame Wirtspflanze überträgt. Da Blattkäfer nach der Metamorphose auf neue Pflanzen übersiedeln, scheint der Pilz seine Übertragung auf den Entwicklungszyklus seines Insektenwirts abgestimmt zu haben und diesen zu schützen.

Der Feind meines Feindes

Als Krankheitserreger von Pflanzen und als Mutualist von Insekten erfüllt Fusarium somit eine Doppelrolle. Diese wurde jedoch erst deutlich, als die Mikrobe in einem größeren ökologischen Kontext untersucht wurde. Es unterstreicht, dass Interaktionsstudien schnell an ihre Grenzen stoßen, wenn die Partner ohne ihr Umfeld untersucht werden. Es zeigt auch, dass Symbiosen, wie andere Partnerschaften auch, stets kontextabhängig sind. Fusarium ist einerseits ein Pflanzenpathogen, aber da seine „Interessen“ auch mit denen eines pflanzenfressenden Käfers übereinstimmen, bietet sich eine Zusammenarbeit an. Die Mikrobe ist also sowohl ein Pathogen als auch ein Mutualist – je nachdem, welchen Wirt sie bewohnt.

Literaturhinweise

Drew, G.C.; Stevens, E.J.; King, K.C.
Microbial evolution and transitions along the parasite–mutualist continuum
Nature Reviews Microbiology 19,  623–638 (2021)
Berasategui, A.; Breitenbach, N.; García-Lozano, M.; Pons, I.; Sailer, B.; Lanz, C.; Rodríguez, V.; Hipp, K.; Ziemert, N.; Windsor, D.; Salem, S.
The leaf beetle Chelymorpha alternans propagates a plant pathogen in exchange for pupal protection
Current Biology 32, 4114-4127 (2022)
Salem, H.; Bauer, E.; Kirsch, R.; Berasategui, A.; Cripps, M.; Weiss, B.; Koga, R.; Fukumori, K.; Vogel, H.; Fukatsu, T.; Kaltenpoth M.
Drastic genome reduction in an herbivore’s pectinolytic symbiont
Cell 171, 1520-1531 (2017).
Salem, H.; Kirsch, R.; Pauchet, Y.; Berasategui, A.; Fukumori, K.; Moriyama, M.; Cripps, M.; Windsor, D.; Fukatsu, T.; Gerardo, N.M.
Symbiont digestive range reflects host plant breadth in herbivorous beetles
Current Biology 30, 2875-2886. (2020)
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