Forschungsbericht 2022 - Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme

Transport von Mikroschwimmern in komplexen Medien

Autoren
Christina Kurzthaler
Abteilungen

Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme, Dresden

Zusammenfassung
Die Fortbewegung durch Schwimmen und die Fähigkeit die Schwimmrichtung zufällig zu ändern sind wichtig für das Überleben vieler Mikroorganismen in ihren oft dicht gepackten Lebensräumen. Mittels Computersimulationen und Modellierung entschlüsselten wir ein geometrisches Kriterium, welches vorhersagt, dass sich Mikroschwimmer am effizientesten ausbreiten, wenn die zurückgelegte Strecke, bevor sie sich neu orientieren, in etwa der längsten Pore des porösen Mediums entspricht. Diese Erkenntnis könnte für das Design neuer Wirkstoffträger wichtig sein, die in komplexen Umgebungen operieren sollen.
 

Mikroorganismen sind allgegenwärtig im Ozean, dem menschlichen Körper und unseren Böden. Daher spielen sie eine wichtige Rolle für verschiedene geologische, biologische und medizinische Prozesse. Doch wie findet ein Spermium eigentlich eine Eizelle? Wie bewegen Bakterien sich im Darm? Und, wie kommt es zu einer Infektion durch Salmonellen? Mit diesen Fragestellungen beschäftigen sich Biologen sowie Physikerinnen, indem sie das Verhalten von Mikroorganismen unter dem Mikroskop beobachten und mit Methoden der statistischen Physik und Fluid-Mechanik beschreiben.

Schwimmverhalten von Mikroorganismen

Trotz ihrer unterschiedlichen Lebensräume und daher evolutionär unabhängiger Entwicklung weisen viele Mikroorganismen Gemeinsamkeiten sowohl in ihrer Form als auch in ihrem Verhalten auf. Ein schönes Beispiel solcher Analogien sind fadenförmige Strukturen (bekannt unter den Begriffen „Flagellen“ oder „Cilien“), die es den Mirkoorganismen erlauben, durch ihre meist flüssigen Umgebungen zu schwimmen, und so eine wichtige Überlebensstrategie darstellen. Um sich in ihrer Umgebung zurechtzufinden, nutzen Mikroorganismen zusätzlich Mechanismen zur Änderung ihrer Schwimmrichtung (siehe Abbildung 1). Ihr typisches Bewegungsmuster beinhaltet abwechselnd geradlinige „Lauf“-Phasen, die eine effiziente Fortbewegung ermöglichen, und zufällige Richtungswechsel („Taumel“-Phasen) [1]. Die Häufigkeit der „Taumel“-Phasen und die neue Schwimmrichtung können Mikroorganismen, wie zum Beispiel das Darmbakterium Escherichia Coli, anpassen, um Nahrung zu finden, vor Schadstoffen zu fliehen oder Hindernisse zu umgehen. Im Gegensatz zu freien, offenen Umgebungen, leben viele Mikroorganismen in Lebensräumen, wie in der Erde oder in biologischen Geweben, die dicht gepackt sind und nur wenig Platz bieten. Diese porösen Medien kann man sich als Labyrinth mit engen Kanälchen vorstellen, die Sackgassen enthalten und so das Vorankommen und die Nahrungssuche der Mikroorganismen erheblich erschweren. Um mehr über das Leben auf der Mikroskala zu erfahren und biologische Prozesse zu verstehen, ist es daher wichtig, das Transportverhalten der Mikroorganismen in solch komplexen Umgebungen näher zu betrachten.

Mikroorganismen in porösen Medien: vom Experiment zum Modell

Das Schwarmverhalten von Bakterien in einem porösen Gel wurde erstmals in den 1980er Jahren anhand von Experimenten untersucht [2], die zeigten, dass solche Schwärme von Bakterien, die nur geradlinig schwimmen, und jene von nicht-schwimmenden Bakterien kleiner sind als die Schwärme von Bakterien, die ihre Schwimmrichtung zufällig ändern können. Verfolgt man nun die Bewegung einzelner Bakterien in solchen Labyrinthen mit einem Mikroskop, so findet man, dass diese abwechselnd in den Engstellen des Mediums für gewisse Zeit gefangen werden, bevor sie nach einer zufälligen Richtungsänderung durch die engen Kanälchen schwimmen [3]. Diese experimentellen Erkenntnisse deuten darauf hin, dass Mechanismen für die Richtungsänderung sehr vorteilhaft für das mikrobische Leben in komplexen Medien sein können, da sie den Mikroschwimmern ermöglichen, aus Sackgassen zu entfliehen und so ihre Umgebung zu erkunden.

Diese Experimente liefern einen interessanten Einblick in das Transportverhalten von Mikroorganismen in porösen Medien und geben Anlass zu folgenden Fragestellungen: Wie können Mikroorganismen sich effizient in diesen Labyrinthen bewegen? Welchen Einfluss haben die Häufigkeiten der „Taumel“-Phasen auf ihr Vorankommen? Und, gibt es einen Zusammenhang zwischen der Schwimmbewegung der Mikroorganismen und den geometrischen Eigenschaften der porösen Umgebung?

Um diese Fragen systematisch zu untersuchen, verwendeten wir eine Kombination aus Computersimulationen und einem theoretischen Modell [4]. In unserer Simulation modellierten wir ein längliches Bakterium als eine Kette von kleinen Kugeln (auch Polymer genannt), siehe Abbildung 2. Diese Polymere bewegen sich mit einer bestimmten Geschwindigkeit und können zufällig ihre Schwimmrichtung ändern. Die Häufigkeit dieser „Taumel“- Phasen wird durch eine Rate charakterisiert, welche die Lauflänge der Polymere (das ist die Länge, die Polymere schwimmen, bevor sie sich umorientieren) festlegt. Das Modell für das poröse Medium kann man sich als Box gefüllt mit Billardkugeln vorstellen, durch die sich die Mikroschwimmer zwängen müssen.

Geometrisches Kriterium für optimale Ausbreitung

Das wichtigste Ergebnis unserer Arbeit stellt die Entschlüsselung eines geometrischen Kriteriums dar, welches das optimale Ausbreitungsverhalten der Mikroschwimmer vorhersagt: Ein Mikroorganismus breitet sich am effektivsten aus, wenn er eine Strecke zurücklegt bevor er seine Schwimmrichtung ändert, die in etwa der Länge der größten Kanäle in der Umgebung entspricht. So kann der Mikroschwimmer sich rechtzeitig umorientieren und verhindert für längere Zeit in engen Poren stecken zu bleiben. Sollte der Mikroschwimmer seine Schwimmrichtung nicht ändern können, so würde er in den Sackgassen gefangen bleiben. Würde er aber zu häufig seine Richtung wechseln, so könnte er nicht von einem Kanälchen in das nächste wandern, sondern würde sich zufällig im gleichen Kanal hin und her bewegen. Das Verständnis der physikalischen Mechanismen, die der Bewegung der Mikroorganismen in komplexen Umgebungen zugrunde liegen, ist von großer Bedeutung für die Mikrobiologie und für zukünftige Fortschritte bei nanotechnologischen Anwendungen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass intrinsische Mechanismen, die es den Mikroorganismen ermöglichen, ihre Schwimmrichtung zu ändern, für sie unerlässlich sind, um sich in ihren natürlichen Lebensräumen auszubreiten. Diese Erkenntnisse könnten für die zukünftige Entwicklung synthetischer Wirkstoffträger wichtig sein, die beispielsweise die engen Strukturen von Tumoren durchdringen sollen, und öffnen Fragen zum Adaptionsverhalten von Mikroorganismen an ihre Umgebungen.

Literaturhinweise

Howard C. Berg
E. Coli in Motion
Springer Science and Business Media, New York (2008); DOI: 10.1007/b97370
 
Alan J. Wolfe & Howard C. Berg
Migration of bacteria in semisolid agar
Proceedings of the National Academy of Sciences USA 86, 6973-6977 (1989); DOI: 10.1073/pnas.86.18.6973
 
Tapomoy Bhattacharjee & Sujit S. Datta
Bacterial hopping and trapping in porous media
Nature Communications 10, 2075 (2019); DOI: 10.1038/s41467-019-10115-1
Christina Kurzthaler, Suvendu Mandal, Tapomoy Bhattacharjee, Hartmut Löwen, Sujit S. Datta & Howard A. Stone
A geometric criterion for the optimal spreading of active polymers in porous media
Nature Communications 12, 7088 (2021); DOI: 10.1038/s41467-021-26942-0
 
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