Forschungsbericht 2022 - Max-Planck-Institut für molekulare Pflanzenphysiologie

Wie Pflanzen mit Hilfe ihrer „Sonnenkraftwerke“ dem Klimawandel trotzen

Autoren
Gao, Yang; Zoschke, Reimo
Abteilungen
Organellenbiologie, Biotechnologie und molekulare Ökophysiologie
Zusammenfassung
Pflanzen müssen an ihrem Standort dem Wetter trotzen. Immer extremer werdende Hitzewellen und Kälteeinbrüche bringen aber mittlerweile selbst die robustesten Pflanzen an ihre Grenzen. Wir untersuchen, wie Chloroplasten als kleine Sonnenkraftwerke der Pflanzen helfen, solche Temperaturschwankungen zu überstehen. Dabei entschlüsseln wir die komplexen Wechselspiele, die in Pflanzenzellen zwischen dem Erbgut des Zellkerns und dem der Chloroplasten ablaufen. Unsere Erkenntnisse liefern das Fundament dafür, gezielt Nutzpflanzen zu züchten, die für die kommenden Klimaveränderungen gewappnet sind.

Wie Pflanzen dem Klimawandel trotzen: Chloroplasten helfen, Temperaturschwankungen zu widerstehen

Pflanzen können weder ihre Temperatur aktiv konstant halten, noch vor extremen Umweltbedingungen davonlaufen. Ihre Physiologie ist daher darauf ausgerichtet, sich an wechselnde Temperaturen anzupassen. Mit der fortschreitenden globalen Erwärmung nimmt die Häufigkeit und Schwere extremer Wetterschwankungen stärker zu als befürchtet. Das hat nicht nur negative Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion, sondern auch auf die natürlichen Ökosysteme. Temperaturschwankungen wirken sich nämlich deutlich auf die Entwicklung und die Photosynthese von Pflanzen aus. Um Nutzpflanzen zu züchten, die den Herausforderungen des Klimawandels besser standhalten können, müssen wir daher die Mechanismen verstehen, mit deren Hilfe sich Pflanzen an Temperaturschwankungen anpassen.

Um wechselnden Temperaturen standzuhalten, haben Pflanzen vielfältige Strategien entwickelt, die unter dem Begriff "Akklimatisierung" zusammengefasst werden [1]. Diese Akklimatisierungsprozesse beinhalten vielfältige Anpassungen im Wachstum, dem Stoffwechsel und der Zellstruktur. Alle diese Reaktionen sind letztlich das Ergebnis veränderter Genexpression in Pflanzenzellen, also des kontrollierten Umschreibens der Geninformation in funktionierende Proteine.

Pflanzen enthalten Gene in drei verschiedenen Zellbestandteilen: im Zellkern, in den Mitochondrien und in den Chloroplasten. Letztere enthalten ihr eigenes Erbgut, da sie von ursprünglich freilebenden Bakterien abstammen, die vor Milliarden Jahren durch urzeitliche Zellen aufgenommen wurden. Seitdem haben sie sich zu integralen Bestandteilen der heutigen Pflanzenzellen entwickelt. Chloroplasten sind die Solarzellen der Pflanzen, sie beherbergen den Photosyntheseapparat. Das vergleichsweise kleine Erbgut der Chloroplasten kodiert entscheidende Teile dieses Apparats. Da die Photosynthese in Pflanzen empfindlich auf Temperaturveränderungen reagiert, wurde lange spekuliert, dass Chloroplasten eine zentrale Rolle bei der Wahrnehmung und Reaktion auf Temperaturreize spielen. Ein umfassendes Verständnis einer temperaturgesteuerten Aktivierung der Gene in Chloroplasten fehlte jedoch.

Temperaturakklimatisierung von Pflanzen durch Chloroplasten-Genexpression

Die Aktivierung von Genen ist ein komplexer Vorgang, der als Genexpression bezeichnet wird. Dazu gehört das Ablesen der genetischen Information aus dem Erbgut, aber auch die anschließende Übersetzung (Translation) dieser Information in ein Protein (Abb. 1). Wir haben Methoden etabliert, die eine einfache Untersuchung der Chloroplasten-Genexpression sowohl beim Ablesen der genetischen Information als auch bei der Translation in ein Protein ermöglichen. Wenn man betrachtet, wie die Genexpression von Chloroplasten auf plötzlich veränderte Temperaturbedingungen reagiert und welche Chloroplastengene an der Kälte- und Hitzeakklimatisierung von Pflanzen beteiligt sind, fällt auf, dass sich die Genexpression von Chloroplasten hauptsächlich auf der Ebene der Translation verändert [2, 3].

Wir haben 13 Chloroplastengene identifiziert, deren Translation unter Kälteeinfluss signifikant verändert ist. Unter diesen Genen überwiegen sogenannte nicht-essenzielle Untereinheiten des Photosyntheseapparates. Diese Gene sind für das Wachstum bei normalen Umgebungstemperaturen entbehrlich. Eines von ihnen, petL, kodiert für eine kleine Untereinheit des Cytochrom b6f-Komplexes, der an den Elektronentransportreaktionen der Photosynthese beteiligt ist. Wir konnten zeigen, dass diese kleine Untereinheit keineswegs nicht-essenziell, also überflüssig, sondern für die Kälteakklimatisierung der Photosynthese von entscheidender Bedeutung ist. Bei Kälte zeigen Pflanzen mit ausgeschalteter petL-Expression eine stark beeinträchtigte Photosynthese und gebleichte Blätter, während die gleichen Pflanzen bei moderater Temperatur ohne Beeinträchtigung wachsen (Abb. 2).

Hochkonservierte Genexpression in Chloroplasten

Wir nutzten unsere Forschungansätze auch, um die Chloroplasten Genexpression bei verschiedenen Wachstumstemperaturen in zwei Landpflanzen und einer Grünalge zu vergleichen. Zusammen mit der Arbeitsgruppe von Prof. Willmund (Technische Universität Kaiserslautern) fanden wir, dass die jeweiligen Charakteristika der Proteinsynthese für die meisten Chloroplastengene sehr ähnlich sind [4]. Dass viele der von uns gefundenen Translationsanpassungen, insbesondere jene, die auf Hitze reagierten [3], zwischen Landpflanzen und einer Grünalge über evolutionäre Zeiten hinweg erhalten geblieben sind, unterstreicht deren wichtige Rolle für die Temperaturakklimatisierung.

Pflanzen fit machen für den Klimawandel

Ausgehend von einem breiten Untersuchungsansatz haben wir mit unserer Arbeit entdeckt, wie fundamental die Translation in Chloroplasten für die Temperaturakklimatisierung in Pflanzen ist. Wir haben damit neue Faktoren identifiziert, die die Akklimatisierung in Pflanzen steuern. In Zukunft werden wir die mechanistischen Details dieser neu entdeckten Akklimatisierungsreaktionen in Pflanzen entschlüsseln. So wollen wir zum Beispiel verstehen, wie petL die Lichtreaktionen der Photosynthese während der Kälteakklimatisierung schützt. Darüber hinaus werden wir untersuchen, wie die Translation in Chloroplasten und die Translation in anderen Teilen der Pflanzenzelle orchestriert werden. Dieses Verständnis ergänzt unser Wissen über die Genregulation im Zellkern und zeichnet so ein vollständigeres Bild davon, wie Pflanzen mit wechselnden Temperaturen umgehen. Ein umfassendes Verständnis darüber, wie Pflanzen sich an wechselnde Temperaturen anpassen können, ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu Kulturpflanzen, die angesichts eines zunehmend unberechenbareren Wetters widerstandsfähiger gegen Temperaturschwankungen werden müssen.

Literaturhinweise

Kleine, T.; Nägele, T.; Neuhaus, H.E.; Schmitz-Linneweber, C.; Fernie, A.R.; Geigenberger, P.; Grimm, B.; Kaufmann, K.; Klipp, E.; Meurer, J.; Möhlmann, T.; Mühlhaus, T.; Naranjo, B.; Nickelsen, J.,; Richter, A.; Ruwe, H.; Schroda, M.; Schwenkert, S.; Trentmann, O.; Willmund, F.; Zoschke, R.; Leister, D.
Acclimation in plants - the Green Hub consortium
The Plant Journal 106, 23-40 (2021)
Gao, Y.; Thiele, W.; Saleh, O.; Scossa, F.; Arabi, F.; Zhang, H.; Sampathkumar, A.; Kühn, K.; Fernie, A.; Bock, R.; Schöttler, M.A.; Zoschke, R.
Chloroplast translational regulation uncovers nonessential photosynthesis genes as key players in plant cold acclimation
The Plant Cell 34, 2056–2079 (2022)
Trösch, R.; Ries, F.; Westrich, L.D.; Gao, Y.; Herkt, C.; Hoppstadter, J.; Heck-Roth, J.; Mustas, M.; Scheuring, D.; Choquet, Y.; Räschle, M.; Zoschke, R.; Willmund, F.
Fast and global reorganization of the chloroplast protein biogenesis network during heat acclimation
The Plant Cell 34, 1075-1099 (2022)
Trösch, R.; Barahimipour, R.; Gao, Y.; Badillo-Corona, J.A.; Gotsmann, V.L.; Zimmer, D.; Mühlhaus, T.; Zoschke, R.; Willmund, F.
Commonalities and differences of chloroplast translation in a green alga and land plants
Nature Plants 4, 564-575 (2018)
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