Forschungsbericht 2022 - Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung

Die WHOLE SUN Studie 

Autoren
Bekki, Yuto; Cameron, Robert; Gizon, Laurent
Abteilungen
Abteilung Das Innere der Sonne und der Sterne
Zusammenfassung
Um die magnetische Aktivität der Sonne zu verstehen, müssen wir die großräumigen Bewegungen verstehen, die die Magnetfelder im Inneren der Sonne antreiben. Diese Bewegungen werden durch kleinskalige rotierende Konvektion angetrieben. Die derzeit besten Modelle für die großräumige Dynamik sind falsch und sagen nicht einmal das richtige Vorzeichen für die differenzielle Breitenrotation der Sonne voraus - die Polregionen der Sonne rotieren langsamer (sie benötigen etwa 35 Tage für eine Umdrehung) als der Äquator (der etwa 25 Tage benötigt).

 

Das interdisziplinäre Projekt WHOLE SUN, das durch einen ERC Synergy Grant finanziert wird, ermöglicht es, die Sonne auf verschiedensten räumlichen und zeitlichen Skalen zu untersuchen. Die beteiligten Teams werden von Vasilis Archontis (Universität von Ioannina, Griechenland), Sacha Brun (Commissariat à l'énergie atomique et aux énergies alternatives, Frankreich), Mats Carlsson (Universität Oslo, Norwegen) und Laurent Gizon (Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung) geleitet.

Im Rahmen des Projekts entwicklen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler neue Diagnosemethoden, um die Bedingungen im Inneren der Sonne mithilfe der Helioseismologie zu untersuchen. Parallel dazu erstellen sie neue numerische Codes, mit denen sich solare Magnetokonvektion modellieren lässt, die die fein strukturierte Oberfläche mit der tiefen Konvektionszone verbindet. Letztendlich werden die Modelle erweitert, um weitere sonnenähnliche Sterne und deren Aktivität zu simulieren.

Die Methoden der Helioseismologie haben sich als sehr vielversprechender Forschungsansatz erwiesen, um mehr über die physikalischen Prozesse unter der Sonnenoberfläche zu erfahren. Prozesse wie die differentielle Rotation, die meridionale Zirkulation und die turbulente Konvektion, die das großräumige Magnetfeld der Sonne erzeugen (siehe Abb. 1), lassen sich nur mithilfe der Helioseismologie erfassen. Ein großer Erfolg der Helioseismologie war die Bestimmung der differentiellen Rotation im Inneren der Sonne. Das gemessene Profil erwies sich jedoch als unvereinbar mit den führenden Dynamomodellen - was zu einer kleinen Revolution in unserem Verständnis des Dynamos führte. Ein weiterer Erfolg der lokalen Helioseismologie, den das WHOLE SUN-Team in den letzten Jahren erzielen konnte, war die Bestimmung der meridionalen Zirkulation.

Die turbulente Konvektion und ihre Wechselwirkung mit der Sonnenrotation erzeugen die differentielle Rotation der Sonne, ihre meridionale Zirkulation und ihre Magnetfelder. Um mehr über diese Prozesse zu erfahren, erweitern wir das helioseismische Instrumentarium, indem wir die Trägheitsmoden der Sonne untersuchen (jene Moden, bei denen die Corioliskraft als Rückstellkraft wirkt).  Trägheitsmoden reagieren auf Eigenschaften im Inneren der Sonne, für die akustische Moden unempfindlich sind. Dies gibt uns neue Einblicke in die Dynamik der Sonne [1, 2].

Im Rahmen des WHOLE SUN-Projekts wird auch ein sehr ehrgeiziger numerischer Code entwickelt, der alle physikalischen Prozesse der stark geschichteten solaren Konvektionszone und der Photosphäre, einschließlich der Strahlungsmagnetohydrodynamik in einem teil-ionisierten Plasma, behandeln wird. Bisher war dies nur möglich in kleinen kartesischen Boxen in der Nähe der Sonnenoberfläche oder in kugelförmigen Schalen, die die äußeren fünf Prozent des Sonnenradius ausschließen. Der WHOLE SUN-Code wird diese Lücke schließen, indem er Techniken zur Parallelisierung und Berechnungen im Exa-Maßstab auf Supercomputern zusammenführt. Der neue Code wird in der Lage sein, Magnetfelder sowohl auf kleinen Skalen (die sich schnell genug entwickeln, um nicht von der Rotation beeinflusst zu werden) als auch auf großen Skalen (bis zur Größe der gesamten Konvektionszone) zu simulieren. Laufende Studien haben gezeigt, dass solche Simulationen in diesem Bereich eine sonnenähnliche differentielle Rotation modellieren können. Der WHOLE SUN-Code wird es ermöglichen, die Simulationen lange genug laufen zu lassen, um die Mechanismen des Transports des Drehimpulses über mehrere Zeit- und Längenskalen hinweg zu entschlüsseln sowie die wohl entscheidende Rolle des kleinskaligen turbulenten Magnetfelds zu identifizieren.

Solche Codes, die alle konvektiven Längen- und Zeitskalen sowie die Zeitskala des elfjährigen Sonnenzyklus simulieren, erfordern einen extrem hohen Rechenaufwand. Ergänzend zu diesen Simulationen gibt es Mean-Field-Modelle, bei denen die Auswirkungen der kleinen Skalen auf die globale Dynamik und auf das Magnetfeld parametrisiert werden [3]. Abbildung 2 zeigt eine Momentaufnahme eines solchen Modells. Diese Modelle sind von entscheidender Bedeutung für die Durchführung von Simulationen mit langen Zeitskalen, die viele Zyklen abdecken, und für Parameterstudien, bei denen die Auswirkungen der Turbulenzeigenschaften untersucht werden können. Durch die Kombination von Beobachtungen mit detaillierten und idealisierten Simulationen werden wir ein Verständnis der gesamten Sonne gewinnen.

Literaturhinweise

Gizon, L.; Cameron, R. H.; Bekki, Y.; Birch, A. C.; Bogart, R. S.; Brun, A. S.; Damiani, C.; Fournier, D.; Hyest, L.; Jain, K.; Lekshmi, B.; Liang, Z.; Proxauf, B.
Solar inertial modes: Observations, identification, and diagnostic promise.
Astronomy and Astrophysics 652 (2021)
Bekki, Y., Cameron R. H., Gizon, L.
Theory of solar oscillations in the inertial frequency range: Amplitudes of equatorial modes from a nonlinear rotating convection simulation.
Astronomy and Astrophysics 666 (2022)
Bekki, Y., Cameron R. H.
Three-dimensional non-kinematic simulation of post-emergence evolution of bipolar magnetic regions and Babcock-Leighton dynamo of the Sun.
Astronomy and Astrophysics, in press
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