Forschungsbericht 2022 - Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion

Treffen in der Mitte: Realisierung molekularer intermediärer Spin-Zustände

Autoren
Cutsail III, George E., Henthorn, Justin T.
Abteilungen
Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion, Mülheim an der Ruhr
 
Zusammenfassung
Eisen-Schwefel-Cluster mit zwei Eisenzentren jeweils unterschiedlicher Elektronenzahl bilden gemischtvalente Verbindungen. Diese Cluster haben ein einzelnes Elektron, das zwischen den beiden Metallen geteilt und übertragen werden kann, was ihnen einzigartige und faszinierende physikalische Eigenschaften verleiht. 

Das Zählen, Zuordnen und Verfolgen von Elektronen in Molekülen ist von grundlegender Bedeutung für das Fachgebiet der Chemie. Übergangsmetalle, die den großen Bereich in der Mitte des Periodensystems umfassen, können eine Vielzahl an Oxidationsstufen oder Wertigkeiten annehmen, die durch die Anzahl der Elektronen des Metalls bestimmt werden. Moleküle, die zwei oder mehrere Metalle mit unterschiedlichen Wertigkeiten enthalten, werden als gemischtvalent bezeichnet. Die genaue Art und Weise, wie die Elektronen zwischen den verschiedenen Metallzentren interagieren, bestimmt viele der physikalischen und chemischen Eigenschaften des Clusters sowie ihre chemische Aktivität. Diese Verbindungsklasse ist aufgrund ihres häufigen Vorkommens in Biologie und Natur, ihrer ungewöhnlichen und oft kuriosen spektroskopischen Eigenschaften und der potenziellen Möglichkeit, mit diesen Molekülen Molekular- und Quantenelektronik zu bauen, von großem Interesse.

Eine weithin untersuchte und beobachtete Klasse gemischtvalener Moleküle sind Eisen-Schwefel-Cluster. Eisen-Schwefel-Cluster sind für alle biologischen Systeme von grundlegender Bedeutung, und es wird angenommen, dass Eisen-Schwefel-Mineralablagerungen der Ursprung der ersten Lebensformen waren. Diese uralten Metallcluster finden sich in zahlreichen Proteinen und sind für alle Lebensformen unerlässlich, um kritische Prozesse wie den Elektronentransfer zu steuern [1]. Eines der komplexesten Eisen-Schwefel-Proteine der Natur ist die Nitrogenase, deren Herzstück ein großer [MFe7S9C]-Cluster (M = Mo, V oder Fe) ist, der einige der anspruchsvollsten und industriell relevantesten chemischen Reaktionen der Chemie ausführt.

Die einzelnen Eisenatome dieser Eisen-Schwefel-Cluster enthalten eine große Anzahl ungepaarter Elektronen und können als gemischtvalente Cluster isoliert werden. In diesen Clustern gibt es ein einzelnes zusätzliches Elektron, das entweder zu gleichen Teilen zwischen den Metallen geteilt werden kann (delokalisiert) oder von einem der Metalle festgehalten wird (lokalisiert). Wenn ein Elektron zwischen den Metallen geteilt wird, führt dies zu veränderten physikalischen Eigenschaften, die sowohl von elektronischer wie auch von magnetischer Natur sein können.

Alle Elektronen in einem Atom würden gerne einen Partner finden, aber Metalle wie Eisen können bis zu fünf ungepaarte Elektronen besitzen. Elektronen sind negativ geladene Teilchen, die man sich wie einen extrem kleinen Magneten vorstellen kann. Eine der Eigenschaften, die im Labor interessant und messbar ist, ist der Spin des Moleküls. Wir geben einem einzelnen ungepaarten Elektron einen Spin, der dem Wert 1/2 entspricht. Wir können den Spin eines Eisenatoms messen, um festzustellen, wie viele ungepaarte Elektronen es hat. Ein Eisenatom mit fünf ungepaarten Elektronen hat beispielsweise einen Spin von 5/2, ein Eisenatom mit vier Elektronen hat einen Spin von 2.  

Wenn wir zwei Eisenatome mit einer unterschiedlichen Anzahl ungepaarter Elektronen in einem einzigen Molekül kombinieren und so eine gemischtvalente Verbindung schaffen, wechselwirken die Elektronen zwischen den Eisenatomen miteinander. Sie verhalten sich immer noch wie kleine Magnete und versuchen sich auszurichten - entweder in gleiche oder in entgegengesetze Richtung. Der gemessene Gesamtspin des Moleküls wird durch diese Wechselwirkung bestimmt. Alle bislang bekannten Beispiele für Eisendimere gehorchen also diesen Regeln, die denen der einfachen Addition und Subtraktion sehr ähnlich sind, so dass es nur zwei Lösungen gibt: 5/2 + 2 = 9/2 oder 5/2 - 2 = 1/2.  

Obwohl bei Eisendimeren bislang nur die beiden extremen Spinzustände 1/2 und 9/2 beobachtet wurden, sagen Quantenphysik und -chemie voraus, dass solche Eisendimere stabile Zwischenzustände zwischen diesen beiden Grenzwerten haben können, wie 3/2, 5/2 und 7/2. Diese Aussagen werden seit über 70 Jahren diskutiert und wurden erfolgreich auf größere Metallcluster (vier oder mehr Metallzentren) angewendet. Allerdings ließ sich bisher noch kein intermediärer Spin-Zustand für ein Metalldimer beobachten [2].

Unsere Forschungsgruppe setzt verschiedene Spektroskopieverfahren ein, um zu verstehen, wie die Elektronen in komplizierten Molekülen wie solchen gemischtvalenten Clustern konfiguriert sind. Techniken wie die paramagnetische Elektronenresonanzspektroskopie und die Mössbauer-Spektroskopie geben Aufschluss über diese wichtigen Elektronen in den verschiedenen möglichen Konfigurationen und liefern uns die Daten, die wir für vollständige Zuordnungen benötigen. 

Anfang 2022 berichteten wir in Nature Chemistry über die ersten Übergangsmetall-Dimerkomplexe (Abb. 2), die einen intermediären Spin-Zustand aufweisen [3]. In einer Reihe von Eisendimerkomplexen führt die Substitution der Brücken-Schwefelatome durch schwerere Selen- (Se) und noch größere Telluratome (Te) zu einzigartigen physikalischen Eigenschaften, darunter dem bislang beispiellosen Gesamtspin von 3/2. Durch eine Vielzahl von spektroskopischen Techniken wie paramagnetische Elektronenresonanz, Mössbauer- und Röntgenemission, Magnetismusmessungen und quantenchemische Berechnungen können wir zeigen und erklären, wie Se- und Te-substituierte Dimere neue Spinzustände stabilisieren.  

Diese Beobachtung wird durch die Theorie des doppelten Austausches des einzelnen ungepaarten Elektrons erklärt [4], das vollständig zwischen den beiden Eisen geteilt und delokalisiert ist. Die Schwingungsmoden und molekulare Bewegungen des Eisendimerkerns erschweren es den Eisenzentren, das ungepaarte Elektron zu teilen. Das widerum kreiiert eine Barriere, die es Chemikern ermöglicht, intermediäre Spin-Zustände zu stabilieren. Wir haben festgestellt, dass der Einbau von schwereren Brückenatomen wie Se und Te den Einfluss der Molekülschwingung verringert und die Einstellung des Spin-Zustandes ermöglicht.. 

Diese Forschungsergebnisse sind die Grundlage für das einfache Design neuer gemischtvalenter Komplexe und die Steuerung ihrer Spinzustände für potenzielle Anwendungen von der Spintronik bis hin zum Quantencomputer.

Literaturhinweise

Johnson, D. C.; Dean, D. R.; Smith, A. D., Johnson, M. K.
Structure, Function, and Formation of Biological Iron-Sulfur Clusters
Annual Review of Biochemistry, 74, 247-281 (2005)
Zener, C.
Interaction between the d-Shells in the Transition Metals. II. Ferromagnetic Compounds of Manganese with Perovskite Structure
Physical Review,  82, 403 (1951)
Henthorn, J.; Cutsail III, George E.; Weyhermüller, T.; DeBeer, S.
Stabilization of intermediate spin states in mixed-valent diiron dichalcogenide complexes
Nature Chemistry, 14, 328-333 (2022)
Gierd, J. J.
Electron transfer between magnetic ions in mixed valence binuclear systems
The Journal of Chemical Physics, 79, 1766 (1983)
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