Ein guter Draht zum Gehirn
Bessere Therapien von Erkrankungen wie Demenz oder Parkinson, aber auch leistungsfähigere Computer und neue Verfahren der künstlichen Intelligenz – das sind die Ziele, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Max Planck University of Toronto Center for NeuroPhysics verfolgen. Neben dem Max-Planck-Institut für Mikrostrukturphysik, dessen Direktorin Joyce Poon auch Direktorin des Centers ist, beteiligen sich elf weitere Institute an der Kooperation mit der University of Toronto.
Das menschliche Gehirn ist der beste Universalcomputer, den es auf der Welt gibt. Auch wenn die Rechner, die mit Prozessoren und Datenspeichern arbeiten, viele Spezialaufgaben schneller lösen, an seine Vielseitigkeit reichen sie noch lange nicht heran. Das Gehirn kann also als Blaupause für leistungsfähigere Computer dienen. Doch um seine Arbeitsweise nachzuahmen, muss die Neurowissenschaft diese erst einmal im Detail verstehen. Daher entwickeln Forscherinnen und Forscher am Max Planck University of Toronto Center for NeuroPhysics Methoden, die das ermöglichen. Das bessere Verständnis von Nerven und neuronalen Schaltkreisen wollen sie auch nutzen, um neue Ansätze in der Behandlung neurodegenerativer Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson zu finden.
„Mein Eindruck ist, dass wir nach jahrzehntelanger Grundlagenforschung eine Schwelle überschreiten und jetzt viele Methoden nutzen können, um beim Verständnis fundamentaler kognitiver Funktionen und bei der Behandlung von Krankheiten einen großen Sprung zu machen“, sagte Martin Stratmann anlässlich des Starts des Centers im April 2021. „Der erstaunlich gewachsene Werkzeugkasten hilft uns aber auch, die Entwicklung einer künstlichen Intelligenz nach dem biologischen Vorbild voranzutreiben.“ Der große Sprung sei jedoch nur möglich, wenn die Werkzeuge klug kombiniert würden. Und wenn es bei der Technik und den Schnittstellen zum Gehirn Fortschritte gebe.
Zwölf Max-Planck-Institute beteiligen sich
Genau das soll am Center gelingen: „Die Max-Planck-Gesellschaft und die University of Toronto bringen die idealen Voraussetzungen mit, um eng zusammenzuarbeiten“, sagt Meric Gertler, Präsident der University of Toronto. „Das wird vor allem deutlich, wenn man auf unsere kombinierten Fähigkeiten in der Forschung zur Funktion und zu Erkrankungen des Gehirns in blickt.“ Seitens der Max-Planck-Gesellschaft beteiligen sich an der Kooperation daher neben dem Max-Planck-Institut für Mikrostrukturphysik, dessen Direktorin Joyce Poon auch Direktorin des Centers ist, elf weitere, unter anderem in den Neurowissenschaften aktive Institute.
Wie sich die Fähigkeiten der Partner ergänzen, führt Joyce Poon aus: „Die Max-Planck-Gesellschaft ist stark in der Grundlagenforschung, vor allem in den Neuro- und Materialwissenschaften sowie der Optik“, sagt Joyce Poon. Die University of Toronto sei in Ergänzung dazu besonders gut darin, Forschung direkt auf gesellschaftliche Bedürfnisse auszurichten, und sei entsprechend stark in Technik, Informatik oder klinisch ausgerichteter medizinischer Forschung. Poons Codirektor Taufik Valiante, Neurochirurg und Wissenschaftler der University of Toronto, betont daher: „Das Center ist ein weiterer wichtiger Bestandteil des Neurotechnologie-Ökosystems, das hier an der Universität Toronto und den beteiligten Krankenhäusern des Toronto Academic Health Science Network wächst. Es ist zudem beispielhaft für die interdisziplinäre Arbeit, die dringend nötig ist, um die Neurowissenschaften voranzutreiben.“
Mit implantierbaren Sensoren zu neurowissenschaftlichen Erkenntnissen
Die Kooperationspartner verfolgen in dem Center mehrere Teilprojekte. „Wir wollen mithilfe der Mikro- und Nanotechnologie zunächst Sensoren und Aktuatoren entwickeln, um neuronale Schaltkreise sowohl in Zellkulturen als auch in lebenden Organismen zu untersuchen und zu stimulieren“, erklärt Joyce Poon, eine Expertin auf diesem Gebiet. Die implantierbaren Instrumente, die dabei entstehen, werden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nutzen, um in Tieren die Aktivität einzelner Neuronen mit hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung zu messen und mit dem Verhalten der Tiere in Verbindung zu setzen. Ergänzend dazu werden sie in Experimenten an menschlichen Nervenzellen erforschen, was die Besonderheiten des menschlichen Gehirns ausmacht. Zu einem besseren Verständnis, wie unser Gehirn arbeitet, tragen darüber hinaus theoretische und biophysikalische Modelluntersuchungen bei. Auf Basis der Erkenntnisse, die sie so gewinnen, wollen die Forscherinnen und Forscher dann neuartige Computer-Bauteile für Algorithmen des maschinelles Lernens, des derzeit wichtigsten Ansatzes in der künstlichen Intelligenz, entwickeln.
Um die Ziele zu erreichen, wird das Center die interdisziplinäre Zusammenarbeit stärken und die disziplinenübergreifenden Kenntnisse und Fähigkeiten auch an Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler vermitteln. So sollen in fünf Jahren rund 25 Studierende an dem neuen Center promovieren können, und dabei Erfahrungen sowohl an Max-Planck-Instituten als auch an in verschiedenen Gruppen der University of Toronto sammeln können.