Forschungsbericht 2020 - Max-Planck-Institut für Psychiatrie
Biomarker ermöglichen die Vorhersage der Wirksamkeit von Antidepressiva
Die Mehrzahl der Antidepressiva beruht auf demselben Wirkprinzip: Sie binden an die Transporter der Botenstoffe Serotonin und Noradrenalin und hemmen deren Wiederaufnahme in die Nervenzelle. Patienten reagieren unterschiedlich auf die Pharmakotherapie mit Antidepressiva. Bei ungefähr einem Drittel erfolgt keine vollständige Remission der Symptome. Ein weiterer Nachteil ist der verzögerte Wirkeintritt, der zur Folge hat, dass erst nach mehreren Wochen offensichtlich wird, ob ein Patient auf ein Medikament anspricht. Oft sind deshalb mehrere Behandlungszyklen mit unterschiedlichen Präparaten oder auch eine Kombination mehrerer Antidepressiva notwendig. Neben den damit verbundenen Kosten bedeutet dies anhaltendes Leiden der Patienten mit zunehmend reduzierter Lebensqualität sowie ein erhöhtes Suizidrisiko bzw. eine verringerte Lebenserwartung.
Wir untersuchen mit unseren Kolleginnen und Kollegen aus der Forschung und Klinik, welche Antidepressiva welchen Patienten in welcher Dosis am besten helfen, ein Ansatz, der in unserem Institut im Rahmen der personalisierten Medizin bzw. Präzisionsmedizin-Strategie verfolgt wird. Dafür suchen wir nach Biomarkern, also objektiven biologischen Messgrößen, anhand derer wir Behandlungs-Algorithmen ableiten können. In der Psychiatrie fehlen diese Algorithmen bisher - im Gegensatz zu anderen medizinischen Bereichen. Biomarker können helfen vorauszusagen, ob ein Patient auf ein Antidepressivum anspricht, und somit die gängige Praxis der empirischen Behandlungsempfehlung ablösen. Neben einer besseren Diagnose und Überwachung des Krankheitsverlaufs spielen Biomarker auch eine bedeutende Rolle bei der Entwicklung neuer Medikamente.
Wir möchten molekulare Mechanismen wie Stoffwechselwege und Signalkaskaden identifizieren, die für das Ansprechen bzw. Nichtansprechen auf Antidepressiva wichtig sind (Abb. 1). In verschiedenen Studien haben wir das Profil von Proteinen und Metaboliten in der Hippocampus-Hirnregion in Mausmodellen untersucht. Dabei konnten wir zeigen, dass sich dieses Profil bei Mäusen, die auf das Antidepressivum Paroxetin ansprechen von dem der Mäuse ohne Reaktion unterscheidet [1].
Als Nächstes untersuchten wir, ob die in Mausmodellen identifizierten molekularen Mechanismen (Purin- und Pyrimidin-Stoffwechselwege) auch bei Patienten für das Ansprechen auf Antidepressiva relevant sind [2]. Hierfür zogen wir Blutproben von Patienten aus der Munich Antidepressant Response Signature-Studie vor und nach 4- bis 6-wöchiger Behandlung heran. Unsere Analysen in einer kleinen Kohorte von Patienten legen nahe, dass ein Ansprechen auf ein Antidepressivum bereits vor Behandlungsbeginn vorhergesagt werden kann. Dies ist ein wichtiger Schritt für die personalisierte Psychiatrie. Um die genaue Rolle der identifizierten Stoffwechselwege zu verstehen, bedarf es weiterer Studien. Ihre gezielte Beeinflussung könnte neue Zielstrukturen für neue Antidepressiva mit schnellerer Wirksamkeit und weniger Nebeneffekten aufzeigen.
Ergebnisse der Munich Antidepressant Response Signature-Studie legen außerdem nahe, dass das am MPI für Psychiatrie intensiv erforschte FKBP51-Gen Einfluss auf den Behandlungserfolg mit Antidepressiva hat. Abhängig vom FKBP51-Genotyp zeigten Patienten, die auf eine Antidepressivum-Behandlung ansprachen, eine deutliche Verringerung der Expression des FKBP5-Gens und des FKBP51-Proteins, während Patienten ohne Besserung der Symptome erhöhte Expressionsniveaus zeigten [3].
In weiteren Studien zu unbekannten Zielstrukturen für existierende Antidepressiva bedienen wir uns der Massenspektrometrie, einer Hochdurchsatz-Methode zur Generierung von großen Protein- und Metaboliten-Datenmengen. Antidepressiva-Bindungspartner werden hier aus Zell- und Gewebeextrakten identifiziert [4]. Wir konnten zeigen, dass der Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer Paroxetin nicht nur an den bekannten Serotonintransporter bindet, sondern auch mit einem Protein im Energiestoffwechsel interagiert, einem für jede Zelle wichtigen Mechanismus, dem wir bereits in früheren Studien mit Mausmodellen für Angst und Depression begegnet waren. Neue Zielstrukturen können unbekannte Mechanismen aufdecken, die für die Pathobiologie und Therapie der Depression relevant sind.
Ein Medikament, das schon nach wenigen Stunden zu einer deutlich spürbaren Besserung führt, ist das kürzlich in den USA zugelassene Ketamin. Es wird aktuell bei depressiven Patienten, die auf andere Antidepressiva nicht ansprechen und als behandlungsresistent gelten, als Nasenspray verabreicht. Ketamin führt zur Ausschüttung von Glutamat, einem wichtigen Neurotransmitter im Gehirn, hat allerdings auch bewußtseinsverändernde Nebenwirkungen. Diese möchte man bei der Entwicklung neuer Medikamente mit ähnlichem Wirkmechanismus vermeiden. Hierzu muss aber erst die genaue Wirkweise von Ketamin besser verstanden werden. Um Signalkaskaden zu identifizieren, die für die Funktion von Ketamin und einem seiner Metaboliten, Hydroxynorketamin, relevant sind, führen wir, ebenfalls in Mausmodellen, umfangreiche molekulare Studien durch [5].
Wir sind noch weit davon entfernt, die neurobiologischen Mechanismen der Depression und anderer psychiatrischer Erkrankungen im Detail zu verstehen. Mit unserer Biomarker-Forschung zu Wirkmechanismen von Antidepressiva versuchen wir hier einen Beitrag zu leisten. Gleichzeitig scheint es uns gerechtfertigt, einen pragmatischen Ansatz zum Wohl der Patienten zu verfolgen, ohne bereits ein komplettes Verständnis der Ätiologie von Depression zu haben. Dies entspricht zwar nicht dem Prinzip von Max Planck "Dem Anwenden muss das Erkennen vorausgehen", kann aber mit dem Ziel, das Leiden der Patienten zeitnah zu verringern, gerechtfertigt werden.
Literaturhinweise
Translational Psychiatry 7, e1078 (2017)
Scientific Reports 6, 35317 (2016)
International Journal of Molecular Science 20, 485 (2019)
Journal of Psychiatric Research 129, 8-14 (2020)
Scientific Reports 7, 15788 (2018)