Forschungsbericht 2020 - Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie
Einblicke in die molekularen Tricks der Energie-Extremophilen
Kleine Organismen, große Wirkung
Mikroben formen unseren Planeten, indem sie Gase, organische Moleküle und Mineralien binden und freisetzen. Ihre Stoffwechselvielfalt ist riesig: Mikroben könnten prinzipiell jede Art von Molekül zur Atmung und Reproduktion nutzen. Jede erdenkliche biologische Reaktion wird irgendwo von irgendeinem Mikroorganismus ausgeführt. Indem wir die Physiologie und molekularen Reaktionen der Mikroben erforschen, verstehen wir nicht nur die grundlegenden Prozesse, sondern öffnen die Tür zu einer Welt neuer Katalysatoren. Diese wurden in Milliarden von Jahren der Evolution geformt, stetig verbessert und können Forschenden damit als Blaupausen für hochkomplexe und ungewöhnliche Reaktionen dienen. In unserer Forschungsgruppe Mikrobielle Metabolismen ergründen wir, wie exotische Stoffwechselwege funktionieren, welche Enzyme atypische Reaktionen katalysieren und wie sie auf molekularer Ebene arbeiten. In unserem Institut treffen sich Experten vieler Fachbereiche, die neue mikrobielle Gemeinschaften mit ungeahnten Fähigkeiten am Meeresgrund entdecken [1] – für uns eine perfekte Spielwiese, um die Brücke zwischen Ökosystemen und Atomen zu schlagen.
Energie-Extremophile mit Ur-Stoffwechsel
Unser Hauptinteresse gilt Mikroben, die ohne Sauerstoff leben. Diese Anaerobier haben verschiedene Wege erprobt, um Energie zu gewinnen. Einige von ihnen, die methanogenen Archaeen und acetogenen Bakterien, gehören vermutlich zu den ersten freilebenden Lebensformen mit einem gemeinsamen, ursprünglichen Stoffwechselweg. Methanogene haben es geschafft, fast alle anaeroben ökologischen Nischen zu besetzen, von Tiefseevulkanen bis in unsere Eingeweide. Sie erzeugen die Hälfte des weltweit jährlich freigesetzten Methans, ein Treibhausgas, das auch als Brennstoff dient. Um Methanogene eingehend erforschen zu können, kultivieren wir in Fermentern Methanothermococcus thermolithotrophicus, ein schnell wachsendes Archaeon, das aus geothermisch erhitztem Sediment isoliert wurde und in der Lage ist, Wasserstoff und Kohlendioxid (CO2) mittels Methanogenese in Methan umzuwandeln (Abb. 1).
Methanogenese liefert etwa 60-mal weniger Zellenergie als Sauerstoffatmung. Trotz dieser geringen Ausbeute ist M. thermolithotrophicus ein Meister der Chemoautotrophie und gedeiht in Wasser, das nur Mineralien enthält. Es muss also alle Zellbestandteile (DNA, Proteine, Lipide, etc.) mit sehr wenig Energie von Grund auf neu aufbauen. Mit welchen energiesparenden Strategien wandelt dieses Archaeon elementare Moleküle so effizient in Biomoleküle um? Wie gelingt die N2-Fixierung, ein extrem energieaufwändiger Vorgang?
Native Proteine für native Strukturen
Durch die biochemische und strukturelle Charakterisierung der gereinigten Proteine von M. thermolithotrophicus konnten wir zeigen, wie Methanogene CO2 fixieren und Lipide bilden [2, 3, 4]. Diese Prozesse erfordern viel Energie und in beiden Fällen wird eine Strategie benutzt, die jeweils eine sehr schwierige Reaktion (endergon) an eine thermodynamisch günstige Reaktion (exergon) koppelt. Unsere Forschungsgruppe entwickelt eine molekulare „toolbox“, die vom Organismus mittels Röntgenkristallographie auf die atomare Ebene führt (Abb. 2). Dadurch sollen die Strukturen der Enzyme entschlüsselt werden, die an den wichtigsten Stoffwechselvorgängen mitwirken. Da viele dieser Proteine durch Sauerstoff deaktiviert werden, wird das gesamte Verfahren in einer anaeroben Kammer durchgeführt, in der wir die Proteine isolieren und dann entweder kristallisieren oder zur weiteren Charakterisierung nutzen. In Synchrotronanlagen werden die Proteinkristalle Röntgenstrahlung ausgesetzt, sodass wir die 3D-Struktur der Proteine erkennen. Die Hypothesen über den Reaktionsweg, die wir auf Basis der Strukturanalyse aufstellen, werden dann durch biochemische und physiologische Experimente überprüft.
Erster Erfolg der molekularen "toolbox"
Dass die Pipeline funktioniert, konnten wir kürzlich anhand eines weiteren Energie-Extremophilen zeigen: einem acetogenen Bakterium [5]. Acetogene spielen auch eine Schlüsselrolle beim Abbau organischer Substanz. Einige haben einen Stoffwechsel, der dem der Methanogenen ähnelt. Unser Modellorganismus, Clostridium autoethanogenum, wird eingesetzt, um Abgase von Stahlwerken aufzubereiten. Er hat die spannende Fähigkeit, Kohlenmonoxid, Wasserstoff und CO2 zu verzehren und dabei Acetat und Ethanol zu produzieren. Er verwandelt also Schadstoffe und toxische Gase in Biokraftstoffe und Bausteine industrieller Prozesse. Um zu verstehen, wie C. autoethanogenum unter solch extremen Bedingungen überleben kann, kultivierten wir das Bakterium, reinigten Proteine und entschlüsselten anschließend die Struktur des Schlüsselenzyms für den Kohlenmonoxidabbau. Dadurch lösten wir eines der großen Geheimnisse, wie die Bakterien auf dem giftigen Gas wachsen: Das Enzym ist porös und voller Kanäle, was eine schnelle und effiziente Diffusion des Kohlenmonoxids in die katalytischen Zentren ermöglicht [5]. Das erste katalytische Zentrum wandelt das Kohlenmonoxid in CO2 um, eine Reaktion, die die Energieerhaltung antreibt. Das zweite katalytische Zentrum verwendet Kohlenmonoxid als Substrat zur Erzeugung von Acetyl-CoA, dem Baustein des zentralen Kohlenstoffmetabolismus. Somit dient dieses einzelne Enzym als Eintrittspunkt für sowohl Kohlenstoff als auch für Energie für die ganze Zelle.
Ein weiter Horizont
Dank unserer Forschung liefern wir nicht nur neue Blaupausen für die Chemie, sondern auch neue evolutionäre Erkenntnisse über alte, wenn nicht gar Ur-Enzyme. Einige dieser faszinierenden Organismen wurden von Experten unseres Instituts entdeckt, angereichert und kultiviert, und weitere werden folgen. Der Zugang zu diesen neu entdeckten Mikroorganismen aus der Tiefsee und aus extremen Lebensräumen bietet unserer Forschungsgruppe eine fantastische Gelegenheit, eine scheinbar unermessliche Stoffwechselvielfalt zu entdecken und zu untersuchen.
Literaturhinweise
Nature 539, 396-401 (2016)
Science 354, 114-117 (2016)
Science 357, 699-703 (2017)
Proceedings of the National Academy of Sciences USA 115, 3380-3385 (2018)
Biochimica et Biophysica Acta (BBA) – Bioenergetics 1862, 148330 (2020)