Forschungsbericht 2017 - Kunsthistorisches Institut in Florenz - Max-Planck-Institut

Pompeji Arch&Lab – Restaurierungsarchiv und Ausstellungslabor

Autoren
Cianciolo Cosentino, Gabriella; Wolf, Gerhard
Abteilungen
Kunsthistorisches Institut in Florenz - Max-Planck-Institut, Florenz, Italien; Abteilung Gerhard Wolf, in Kooperation mit dem Fraunhofer-Institut für Bauphysik (München/Holzkirchen)
Zusammenfassung
Ein interdisziplinäres Forschungsprojekt am Kunsthistorischen Institut in Florenz untersucht sowohl aus natur- als auch aus geisteswissenschaftlicher Perspektive die Restaurierungs- und Musealisierungsgeschichte der Stadt Pompeji. Mit der Zusammenführung der technologischen Kompetenzen des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik in München/Holzkirchen und der kunst- und kulturwissenschaftlichen Expertise des Kunsthistorischen Instituts in Florenz will das Projekt zum Verständnis des Umgangs mit Denkmälern und zum nachhaltigen Schutz des monumentalen Erbes beitragen.

Pompeji und die postkatastrophische Stadt

Im Mittelpunkt eines langfristig angelegten Forschungsprojekts am Kunsthistorischen Institut in Florenz steht die „postkatastrophische Stadt“. Die „Stadt nach der Katastrophe“ wird dabei nicht nur als ein physischer, von einer oder wiederholten Katastrophen gezeichneter Ort verstanden, sondern auch als ein vielschichtiges kulturelles oder ideelles Gebilde. Als Unterprojekt dieses übergeordneten Themas wurde 2015 ein interdisziplinäres Kooperationsprojekt mit dem Fraunhofer-Institut für Bauphysik in München/Holzkirchen mit dem Titel „Pompeji Arch&Lab – Restaurierungsarchiv und Ausstellungslabor“ ins Leben gerufen.

Ziel des Projekts ist es, die Geschichte von Restaurierung, Musealisierung und Erschließung für Touristen der antiken Stadt zu erforschen und neu zu denken. In Laboranalysen und mit den neuesten technologischen Methoden zur Untersuchung historischer Restaurierungsmaterialien, aber auch mit Archiv- und Bildrecherchen bemühen sich die Forscher, die Stadt in ihrer musealen Vermittlung und in ihren mehrschichtigen antiken wie neuzeitlichen Ausprägungen aufzuarbeiten.

Die neue Antike und „heritage at risk“

Die Katastrophe von 79 n. Chr., die Pompeji unter mehreren Schichten von Asche und Bimsstein begraben hat, wurde mit einem gewissen Zynismus von Geografen als „OKK – optimal konservierende Katastrophe“ bezeichnet. Aufbewahrt und weitergegeben wurde nicht nur ein immenses bauliches und kulturelles Erbe, sondern auch ein neues Paradigma der Antike, das sich fundamental von jenem Bild des Altertums unterscheidet, das in der Renaissance vorherrschte. Plötzlich standen Forscher und Besucher einer antiheroischen Antike gegenüber, einer völlig neuen privaten, häuslichen und alltäglichen Lebenswelt.

Pompeji ist eine der bedeutendsten Stätten des Weltkulturerbes und scheint dennoch fortwährend bedroht. Die Ausdehnung der archäologischen Stätte, ihre Fragilität sowie Bedrohungen wie Klimawandel, problematische Erhaltungsstrategien aus der Vergangenheit und Massentourismus gefährden die Stadt. Pompeji ist im Grunde seit der Entdeckung in Gefahr, schon die Ausgrabung löste den Prozess der Beschädigung aus. Bereits im 18. und 19. Jahrhundert berichten die Besucher, dass die Wandgemälde nach der Freilegung „durch den Zutritt der Luft zerstört wurden, oder durch Einsturz ganzer Mauern zu Grunde gingen“ (Wilhelm Zahn). Deshalb wird auch seit den 1980er-Jahren in Pompeji nicht mehr ausgegraben, sondern nur bewahrt, restauriert und recherchiert. Ein Drittel der Stadt liegt noch unter Erde und wartet darauf, von zukünftigen Generationen entdeckt zu werden. Das ist wahrscheinlich die einzige „nachhaltige“ Konservierungsstrategie.

Restaurierungsgeschichte und die Stadt als Palimpsest

Arbeitsgruppen beider Institute haben die Restaurierungsgeschichte Pompejis zum gemeinsamen Thema gemacht. Dafür hat sich die Forschung kaum interessiert; die Deutungshoheit darüber, was Pompeji heute ist und wie es für die Zukunft erhalten werden sollte, wurde der traditionell stärker beachteten Archäologie überlassen. Was der Besucher vorfindet, ist aber nicht nur ein in einer „Zeitkapsel“ überlieferter antiker Ort, sondern auch ein Neben- und Übereinander vieler unterschiedlicher Überlieferungen und Vorstellungen eines „antiken“ Stadtbildes aus den letzten 250 Jahren Restaurierungs- und Rekonstruktionstätigkeit (Abb. 1).

Vergleichbar mit Palimpsesten, historischen Manuskripten, die immer wieder überschrieben wurden, gibt es heute nicht nur ein Pompeji, sondern viele Ausprägungen der Stadt, die sich mehrfach im Laufe der Zeit gewandelt hat. Das Ergebnis ist ein vielschichtiges Gebilde von Konservierungsmaßnahmen und Neukonfigurationen von Architekturen und Dekorationen: wiederaufgebaute Bauteile und -elemente, Schutzdächer, Randanböschungen und anderes mehr. So ist Pompeji nicht nur die besterhaltene Stadt der römischen Antike, sondern auch ein Archiv der Restaurierungsmethoden.

Ein Beispiel sind die Dächer von Pompeji. Moderne und historische Schutzdächer sind wichtig, um einzelne Gebäude oder Gebäudeteile zu konservieren, sie prägen unsere Wahrnehmung der Stadt: Glas, Beton, Metall, Stahl treten neben die historischen Materialien und belasten die empfindlichen antiken Strukturen. Im Forschungsprojekt wird die Geschichte der Schutzdächer Pompejis neu bewertet und die Wechselbeziehungen zwischen Erhaltung und ästhetischer Inszenierung in unterschiedlichen kulturellen Kontexten werden aufgezeigt. Gleichzeitig wird die Verwendung von Beton, der seit Anfang des 20. Jahrhunderts für Rekonstruktionen zum Einsatz kommt, untersucht: Wie verhält sich der darin enthaltene Zement langfristig betrachtet? Wie interagieren die Betonstrukturen mit den antiken Mauern? Kann man unangemessene Rekonstruktionsmaßnahmen rückgängig machen? Welche sind die geeignetsten Materialien für die Konservierung der Ruinen?

„Multiples“ Pompeji und die Vervielfachung einer Ikone

Die Vielschichtigkeit Pompejis besteht nicht nur in Bezug auf Zeit, das heißt in den Veränderungen, die den physischen Ort betreffen, sondern auch in Bezug auf Raum. Pompeji existiert an unterschiedlichen Orten: im Archäologischen Nationalmuseum Neapels, wo viele der Funde aufbewahrt sind, in den Museen weltweit, in unzähligen Ausstellungen, Zeichnungen, Skizzen und Publikationen sowie in architektonischen „Interpretationen“. Die Ikonisierung Pompejis hat in den letzten zwei Jahrhunderten zu einer enormen Bilderproduktion geführt. In heutigen Städten steckt viel mehr Pompeji als man denkt – vom kleinsten Objekt bis in Architektur und Städtebau: Keramiken, Bronzen, Skulpturen, Mosaiken, Fresken, Brunnenbauten, Villen. Eine wichtige Rolle spielt die Rezeption der pompejanischen Wandmalereien durch die europäische Architektur und ihre Konstruktionstechniken während der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert; damals wurden etwa die fantastischen, überschlanken Strukturen der pompejanischen gemalten Architekturen in reale Eisenstrukturen übersetzt (Abb. 2).

Literaturhinweise

Miriello, D.; Barca, D.; Bloise, A.; Ciarallo, A.; Crisci, G. M.; De Rose, T.; Gattuso, C.; Gazineo, F.; La Russa, M. F.

Characterisation of archaeological mortars from Pompeii (Campania, Italy) and identification of construction phases by compositional data analysis

Journal of Archaeological Science 37 (9), 2207–2223 (2010)

Mattusch, C. C. (Ed.)

Rediscovering the Ancient World on the Bay of Naples 1710–1890

Oxford University Press, Oxford (2011)

Osanna, M.; Caracciolo, M. T.; Gallo, L. (Eds.)

Pompeii and Europe 1748–1943 (Ausstellungskatalog Napoli, Museo Archeologico Nazionale, Pompei, Anfiteatro 27. Mai–2. November 2015)
Electa, Mailand (2015)

Cianciolo Cosentino, G.

Die Ruinen von Pompeji als Archiv der Restaurierungsmethoden
In: Langfristperspektiven archäologischer Stätten, 109–118 (Hrsg. Hassler, U.). Hirmer, Zürich (2017)
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