Haut mit hohem Rostschutzfaktor

Korrosion verzehrt in den Industrienationen jährlich bis zu vier Prozent der Wirtschaftsleistung. Substanzen, die Metalle wirkungsvoll vor ihrem zerstörerischen Werk schützen, belasten oft die Umwelt oder haben andere Nachteile. Daher entwickeln Wissenschaftler um Martin Stratmann und Michael Rohwerder am Max-Planck-Institut für Eisenforschung in Düsseldorf Kunststoffschichten, die etwa Stähle vor Rost bewahren und sich selbst heilen, wenn sie beschädigt werden.

Text: Peter Hergersberg

Erin Brockovich hat die Welt mit einem Problem bekannt gemacht, das Forscher des Max-Planck-Instituts für Eisenforschung nun endlich lösen wollen. In Brockovichs Geschichte geht es um Gift, viel Geld und die Gesundheit von fast 2000 Menschen; und es ist die Geschichte einer Frau, die viel dazu beigetragen hat, einen mächtigen Konzern in die Knie zu zwingen. Diese Zutaten ergaben die Mischung, die auch Hollywood gerne verarbeitet. Dass im Film Erin Brockovich Julia Roberts die amerikanische Rechtsanwaltsgehilfin und Umweltaktivistin spielt, dürfte dem Problem wohl zusätzliche Aufmerksamkeit verschafft haben: dem krebserregenden Chrom VI.

Der kalifornische Energiekonzern Pacific Gas and Electric Company ließ die Substanz zwischen 1952 und 1966 ins Grundwasser der Stadt Hinkley gelangen. Dafür musste das Unternehmen 1996 am Ende eines Verfahrens, das Erin Brockovich vorangetrieben hatte, rund 200 Millionen Dollar an die Einwohner der Stadt und noch einmal 133 Millionen Dollar an die Anwälte zahlen.

Die Salze von Chrom VI setzen beim Korrosionsschutz immer noch Maßstäbe, sind jedoch für viele Anwendungen inzwischen verboten. Gesucht ist nun eine ebenso wirkungsvolle, aber umweltverträgliche Alternative. Denn Korrosion frisst in den Industrienationen jährlich drei bis vier Prozent des Bruttoinlandsproduktes auf – das sind allein in Deutschland mehr als 75 Milliarden Euro. Den Prozess, der vor allem metallische Werkstoffe zersetzt, erforschen Martin Stratmann und Michael Rohwerder am Max-Planck-Institut für Eisenforschung in Düsseldorf, und sie suchen nach Mitteln, ihn zu verhindern.

Das Ziel der Forscher sind Kunststoffschichten, die verschiedene Metalle, aber vor allem Stahl oder Aluminium, vor Korrosion schützen und wie die Haut von Lebewesen von selbst heilen, wenn sie verletzt werden. Solch eine Kunststoffschicht soll – meist unter einem Farblack – ein Bollwerk gegen den zerstörerischen Fraß am Metall bilden. Bei den meisten Stählen errichtet eine Zinkschicht direkt auf dem Blech eine weitere Barriere. Bei Aluminium besteht sie aus einer besonders widerstandsfähigen, dichten Oxidschicht. Werden die Schutzschichten und möglicherweise sogar das Metall darunter durch einen Kratzer beschädigt, soll die Kunststoffhaut die Korrosion eventuell gemeinsam mit dem Zink zunächst stoppen. Und zwar so lange, bis sie die Wunde im Werkstoff wieder versiegelt hat.

Nutzt zwei Branchen: Erst beschichten, dann formen

Ein solcher Überzug würde nicht nur das Chrom-VI-Problem beseitigen, sondern könnte noch mit weiteren Vorteilen auftrumpfen. So soll es die Kunststoffhaut Stahlherstellern ermöglichen, die Zinkschicht zumindest zu reduzieren. Denn auch Zink ist in mancher Hinsicht umstritten. „Die Zinkschicht kann sich zwar in gewissem Maß selbst heilen, weil sich in Rissen oder Löchern auch passivierendes Zinkoxid abscheidet, das die weitere Korrosion verhindert“, sagt Michael Rohwerder, Leiter der Forschungsgruppe Molekulare Strukturen und Oberflächenmodifikation. „Aber das Metall gilt als problematisch für die Umwelt, ist teuer und verdampft beim Laserschweißen leicht, sodass die Schweißgeräte verunreinigt werden.“

Zudem könnten Beschichtungen, wie sie die Düsseldorfer Materialwissenschaftler entwickeln, den Wartungsaufwand für Flugzeuge minimieren. Feine Kratzer etwa in deren Tragflächen würde eine selbstheilende Schicht sofort verschließen. Heute müssen die Fluggesellschaften ihre Flieger regelmäßig nach noch so kleinen Schäden absuchen, um diese dann ebenso aufwendig zu reparieren.

Schließlich könnte mit der selbstheilenden Haut für Metalle ein neues Kapitel in der Fertigung von Autos oder Maschinen beginnen. Bisher werden Karosserien erst dann mit schützenden Schichten überzogen, wenn sie ihre endgültige Gestalt angenommen haben. Den Stahl vorher zu beschichten wäre kostengünstiger, bringt aber wenig, weil sich in der Schutzhaut feine Risse bilden, während das Material in Form gebracht wird. Eine selbstheilende Schicht könnte auch dieses Problem  beheben. Einen Gewinn brächte das sowohl den Automobilherstellern und Maschinenbauern als auch den Stahlerzeugern. Erstere könnten sich einen aufwendigen Prozessschritt sparen, der nichts mit ihrem Kerngeschäft zu tun hat, während Letztere ihre Produkte wertvoller und einträglicher machen könnten.

Motive, selbstheilende Polymerschichten zu entwickeln, gibt es für Martin Stratmann und Michael Rohwerder also reichlich, allerdings müssen sie sich dabei auch zahlreichen Herausforderungen stellen. Um zu verstehen, worin die Schwierigkeiten liegen und mit welchen Kniffen die Düsseldorfer Wissenschaftler sie überwunden haben oder überwinden wollen, hilft  ein kurzer Blick auf das, was bei der Korrosion passiert.

Ionen regen den Appetit des Sauerstoffs an

„Die Korrosion ist die Umkehrung der Metallurgie“, sagt Martin Stratmann, Direktor der Abteilung Grenzflächenchemie und Oberflächentechnik am Düsseldorfer Max-Planck-Institut: Abgesehen von den Edelmetallen kann sie alle Metalle befallen. Der prominenteste und ökonomisch relevanteste Fall dürfte das Rosten sein, bei dem Eisen von Sauerstoff oxidiert wird. Die Korrosion des Eisens macht also das Werk des Hochofens zunichte, der Eisenoxide und andere Erze in elementare Metalle  verwandelt.

In völlig trockener Luft würde Eisen jedoch nicht korrodieren. Zwar möchte der Luftsauerstoff das Metall auch unter diesen Bedingungen nur zu gerne anknabbern, doch das Eisen wird ohne Feuchtigkeit schnell unerreichbar für ihn, so als würde sich eine Dose mit Futter schließen, während ein Hund daraus frisst. Denn auf dem Metall bildet sich an der Luft schnell eine dünne Eisenoxidschicht. Und in trockener Atmosphäre ist der Sauerstoff nicht reaktiv genug, um diesen Überzug zu durchdringen.

Wenn Wasser, im schlimmsten Fall sogar salziges Wasser, ins Spiel kommt, ändert sich die Situation völlig. Dann bildet sich auf dem Eisen zum einen ein poröses, wasserhaltiges Gemisch verschiedener Oxide, die schichtweise abbröckeln und dem Sauerstoff so immer neue Nahrung auftischen. Zum anderen gibt es im Wasser, vor allem in salzigem Wasser, Ionen, die gleichermaßen appetitanregend und verdauungsfördernd für den Rostfraß wirken, weil sie dem im Wasser gelösten Sauerstoff den Angriff auf das Metall erleichtern. Ein Maß, wie anfällig ein Metall für die Korrosion ist, stellt das elektrochemische Potenzial dar. Je kleiner es ist, desto unedler ist das Metall, und desto leichter wird es dem Sauerstoff oder einem anderen Oxidationsmittel zur Beute.

Nicht nur Eisen, sondern auch andere Metalle wie etwa Zink überziehen sich bei den ersten Angriffen des Sauerstoffs jedoch mit einer schützenden Schicht. Auf Zink bildet sich eine recht dicke Decke von Zinkoxid und -carbonat, die das Metall bei normaler Luftfeuchtigkeit sogar beständiger macht als das eigentlich edlere Eisen. Darauf beruht der Rostschutz verzinkter Bleche, aber nicht nur darauf. Weil Zink unedler ist als Eisen, korrodiert es zuerst, wenn das Blech angekratzt wird. Auf der schmalen freigelegten Fläche der etwa sieben Mikrometer dünnen Zinkschicht, die dem zerstörerischen Angriff ausgesetzt ist, kann das Oxid nicht die Struktur bilden, mit der es das Zink davor bewahrt, von der Seite aufgezehrt zu werden. So opfert sie sich im schlimmsten Fall völlig auf, um den darunterliegenden Stahl gegen die Korrosion zu verteidigen.

Die Kelvinsonde zeigt, wann Korrosion einsetzt

Mit einer Polymerhaut, die sich in umfassenderem Sinn selbst heilen kann als Zink, wollen die Düsseldorfer ihm das Opfer ersparen. Dabei bauen sie auf ihre Forschung an Kunststoffen, mit denen Materialwissenschaftler im Korrosionsschutz seit knapp 30 Jahren experimentieren: leitfähigen Polymeren. „Diese Materialien wurden auch schon früh kommerziell für den Korrosionsschutz verwendet, haben aber nicht richtig funktioniert, und die meisten Produkte sind vom Markt verschwunden“, sagt Michael Rohwerder. „In einigen Fällen kam es durch diese Produkte sogar zu verstärkter Korrosion.“ Die Düsseldorfer Materialwissenschaftler haben viel zur Aufklärung beigetragen, wie die leitfähigen Polymere Rost verhindern – wenn sie es tun – und warum und unter welchen Bedingungen sie versagen.

Martin Stratmann hat dafür ein probates Instrument entwickelt. Genauer gesagt: Er hatte die Idee, ein schon länger bekanntes Gerät genau dafür einzusetzen – die Kelvinsonde. Mit seiner Glasfront erinnert das kastenförmige Gerät an eine Mikrowelle und ist auch ungefähr so hoch. Im Inneren befindet sich eine nadelförmige Elektrode, das Herzstück der Apparatur. Damit lässt sich in Form einer elektrischen Spannung messen, wie viel Arbeit aufgewendet werden muss, um Elektronen aus einer Oberfläche zu katapultieren. Diese Austrittsarbeit ist ein Maß für die chemischen Eigenschaften eines Metalls, bei unedlen Metallen etwa ist sie eher klein, bei edlen ziemlich groß. Und sie ändert sich, wenn sich die Oberfläche verändert, etwa wenn das Material anfängt zu korrodieren. Dann verzeichnet die Kelvinsonde einen drastischen Einbruch der Spannung. Umgekehrt schnellt die Spannung in die Höhe, sobald der Korrosionsschutz greift.

Leitfähige Polymere schützen nur bei kleinen Schäden

„Der Vorteil der Kelvinsonde liegt darin, dass wir mit ihr die Prozesse an der Metalloberfläche durch einen Feuchtigkeitsfilm hindurch verfolgen können“, sagt Martin Stratmann. Doch der Blick des Messgeräts durchdringt nicht nur einen Wassertropfen: „Irgendwann haben wir ohne große Erwartungen einfach mal durch ein Polymer auf das Metall geguckt“, sagt der Chemiker. Und die Forscher landeten einen Treffer in einem blinden Fleck der Materialwissenschaft. Denn die Kelvinsonde enthüllt auch zuverlässig, wenn unter einer Polymerschicht der Rost am Stahl nagt.

Mit dem Instrument durchleuchten die Forscher systematisch verschiedene Beschichtungen, die leitfähige Polymere enthalten, und testen deren Korrosionsschutz unter wechselnden Bedingungen. Die Kunststoffe bestehen aus einem positiv geladenen Gerüst, das den Strom transportiert, und beweglichen negativen Ionen. Deren schützende Wirkung beruht den Untersuchungen der Max-Planck-Forscher zufolge darauf, dass sie ein höheres elektrochemisches Potenzial als etwa Eisen besitzen und mit diesem in einer elektrisch leitenden Verbindung stehen. Daher wirken sie nicht nur als Barriere wie jede andere Kunststoffhaut, sondern schützen das Metall auch aktiv. Wenn nämlich die Schicht beschädigt wird, passt sich das niedrige Potenzial des Metalls dem für die Korrosion unantastbaren Potenzial des Kunststoffs an – zumindest in der Theorie.

Aktive Polymerschicht soll den Schutz nicht sabotieren

In der Praxis besteht der Schutz nur, solange die Haut nicht zu stark verletzt wird. Bei Kratzern, die breiter sind als einen Zehntelmillimeter, bleibt das Metall nicht mehr verschont. Bei den meisten Anwendungen ist ein Schutz, der nur bei Schäden  mit weniger als einem halben Quadratmillimeter Fläche greift, nicht viel wert. Zudem scheitert das Polymer in chloridhaltigen Lösungen an seiner Aufgabe, weil diese die Korrosion besonders aggressiv vorantreiben. Das ist ungünstig, wenn die Kunststoffschichten im salzigen, also chloridreichen Meerwasser Schiffe und im Winter Autos vor Rost schützen sollen.

Besser schützen die Polymerschichten, wenn sie als mobile Teilchen etwa Phosphat-Anionen enthalten. Diese können mit den Ionen des korrodierenden Metalls einen Überzug bilden, der den Werkstoff gegen weitere Attacken des Sauerstoffs und seiner gedungenen Helfer abschirmt, und zwar auf ähnliche Weise wie Zinkoxid sein Muttermetall. Das setzt voraus, dass die Anionen bei einem korrosiven Angriff freigesetzt werden. Theoretisch ist das möglich. Denn unter diesen Bedingungen schnappt sich das Polymergerüst die Elektronen des Eisens, die eigentlich der Sauerstoff an sich reißen will. Es verliert dabei seine Ladung und seine Leitfähigkeit.

Die negativen Gegenionen brauchen nun einen anderen Ladungsausgleich und finden ihn in den positiven Ionen des korrodierenden Metalls. Wenn es gut läuft, wandern sie tatsächlich aus der Polymerschicht in den Kratzer und bilden im Fall von Stahl mit den Zink- oder Eisenionen die gewünschte Schutzschicht. Zu oft jedoch läuft es nicht gut. „Dann strömen die  Metallionen wie über eine Autobahn in das Polymer, sodass sich die Zerstörung des Metalls sogar beschleunigt“, erklärt  Michael Rohwerder.

So weit die eher durchwachsenen Nachrichten zum Korrosionsschutz mit einer Kunststoffhaut. Doch es gibt auch eine gute Nachricht: Die Düsseldorfer Max-Planck-Forscher weisen mit ihren Untersuchungen Wege zu einem Korrosionsschutz, der weniger wählerisch ist, wann er seine Pflicht erfüllt, und der vor allem unter keinen Umständen dem Gegner in die Hände spielt.

Die erste Spur legte die Beobachtung, dass die leitfähigen Polymere den Korrosionsschutz nur sabotieren, wenn sie ein Metall als geschlossene Schicht bedecken. Wenn die Materialwissenschaftler stattdessen kleine Knäuel der ionischen Polymere in einem elektrisch isolierenden Kunststoff verteilen wie Kirschen in einem Pfannkuchen, können die elektrisch leitenden Kunststoffe ihre Vorteile ausspielen, dienen den Metallionen aber nicht mehr als Schnellstraße auf dem Weg der Zerstörung. „Damit der Korrosionsschutz funktioniert, müssen wir darauf achten, dass die Polymerteilchen Kontakt zum darunterliegenden Metall und den passenden Abstand untereinander haben“, so Rohwerder.

Von dieser Erkenntnis ist es nicht mehr weit bis zu der Idee, in die Schicht eines nicht leitenden Kunststoffs wie etwa des für Lacke verwendeten Polyurethans Kapseln einzubauen, die im Schadensfall die Bestandteile des Polyurethan-Überzugs freisetzen und die angekratzte Kunststoffschicht nicht nur provisorisch reparieren wie Zink. Daran arbeiten in Michael Rohwerders Gruppe die beiden Doktoranden The Hai Tran und Ashokanand Vimalanandan. Am Ende sollen die Schichten aus ihrem Labor Risse und Kratzer heilen, die mehr als einen Zehntelmillimeter breit sind.

Als Kapselwände eignen sich leitende Polymere bestens

„Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir die selbstheilende Schicht mit drei Eigenschaften ausstatten“, erklärt The Hai Tran: „Sie darf die für die Selbstheilung nötigen Stoffe erst entweichen lassen, wenn Korrosion stattfindet.“ Zudem müssten die Substanzen bis zum Ernstfall stabil bleiben. „Wenn sie aber gebraucht werden, müssen die Kapseln sie zuverlässig freisetzen“, ergänzt Ashokanand Vimalanandan. „Denn sie müssen in ausreichender Menge in den Defekt gelangen, damit dieser mit einer geschlossenen Schicht versiegelt wird.“

Auf der Suche nach den Systemen, die diese Anforderungen in verschiedenen Anwendungen optimal erfüllen, testen die beiden Wissenschaftler Kapseln mit vielfältigen Wandmaterialien in unterschiedlichen Kunststoffschichten. Die Kapseln liefern ihnen Forscher um Katharina Landfester am Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz. Mal besitzen die Container die Form von Kugeln, mal eher die von Röhren. Manche bestehen aus Polymeren, die sich bei einer Änderung des pH-Wertes auflösen. Andere konstruieren die Mainzer Chemiker aus anorganischem Siliciumdioxid, das so lange von Spangen aus Schwefel zusammengehalten wird, bis diese durch eine Absenkung des Potenzials oder einen Anstieg des pH- Wertes geöffnet werden. Auch die leitfähigen Polymere entwickeln die Düsseldorfer zusammen mit den Mainzer Forschern weiter, um daraus die Kapselwände zu konstruieren.

Mögen elektrisch leitende Kettenmoleküle allein als Korrosionsschutz unvollkommen sein, als Wandmaterial der Container haben sie sich besonders bewährt. „Sie schließen die Bestandteile der Kunststoffschicht nicht nur dauerhaft ein“, sagt Michael Rohwerder, „sie werden auch bei einer Potenzialänderung durchlässig.“ Genau die Änderung des elektrochemischen Potenzials hat sich als untrüglichstes Signal der Korrosion erwiesen.

Dieses Signal empfangen die Kapseln aber nur, wenn sie in elektrischem Kontakt mit dem darunterliegenden Metall stehen, bei dem es sich oft um Zink handelt. Dummerweise bildet sich aber zwischen einem leitfähigen Polymer und Zink leicht eine isolierende Schicht. „Um die elektrische Verbindung auch in diesem Fall zu erhalten, umhüllen wir die Kapseln mit leitfähigen Nanopartikeln“, erklärt Michael Rohwerder. Die Kapseln, die so entstehen, nennen die Forscher Himbeerpartikel, und bei einem Blick durch ein Mikroskop erweist sich das als vollkommen gerechtfertigt. Denn die Nanopartikel sitzen als winzige Kugeln auf den Behältern. Da zwischen ihnen und der Zinkunterlage keine isolierende Wand wächst, bleibt der  elektrische Kontakt bestehen.

Allein mit Behältern, die bei Bedarf die Monomere der Kunststoffschicht abgeben, funktioniert die Selbstheilung aber noch nicht. Dafür fehlt noch ein Katalysator. Dieses chemische Hilfsmittel macht den Heilungsprozess erst möglich, weil es die Reaktion zwischen den Monomeren vermittelt. Der Katalysator muss zum einen getrennt von den Monomeren gespeichert werden, zum anderen bleibt er in der organischen Polymerschicht nicht stabil. „Wir speichern den Katalysator daher mit Siliciumoxid-Kapseln in der Zinkschicht“, erklärt Vimalanandan. Die Katalysatorcontainer öffnen sich bei einer Veränderung des pH-Wertes, die ebenfalls auf einsetzende Korrosion hinweist.

Wie strömt das Heilmittel in den Defekt?

Ob und wie gut die Selbstheilung mit ihren verschiedenen Faktoren funktioniert, kontrollieren Ashokanand Vimalanandan und The Hai Tran vor allem, indem sie mit einer Raster-Kelvinsonde Punkt für Punkt über die Probe fahren. Gleich mehrere dieser Geräte stehen in ihrem Labor. „Damit sehen wir, ob das Loch geschlossen ist“, sagt Vimalanandan. Das genügt den Forschern jedoch noch nicht. Den Fortschritt des Heilungsprozesses kontrollieren sie außerdem mit spektroskopischen Methoden, die etwa mit UV- und sichtbarem Licht arbeiten. „Leider können wir bislang noch nicht in den Defekt hineinschauen“, sagt Tran, „aber wir testen derzeit verschiedene Methoden wie die Raman-Spektroskopie, damit sich das ändert.“

Die umfassenden Studien belegen, dass sich die Zutaten für die Selbstheilung schon dauerhaft speichern und bei Bedarf zuverlässig freisetzen lassen. Zwei der drei Anforderungen erfüllen die selbstheilenden Schichten somit schon, nur bei der dritten hakt es noch: Bislang strömt nicht genug des Heilmittels in den Defekt, um einen mehr als 0,1 Millimeter breiten Kratzer zu schließen. Damit die Düsseldorfer Max-Planck-Forscher auch mit dieser Schwierigkeit fertig werden, müssen sie zunächst den Transport der Monomere durch die Beschichtung analysieren. „Die Schlüsselfrage ist dabei, wie genau das Polymer in den Defekt gelangt“, sagt Michael Rohwerder.

Trotz der offenen Fragen ist der Forscher optimistisch, dass kleine Blechschäden irgendwann selbst heilen werden. „Die Chrom-VI-Beschichtungen wurden auch über Jahrzehnte hin entwickelt“, sagt Rohwerder. „Dann können wir das nicht in wenigen Jahren schaffen.“ Und wenn dabei noch grundlegende Verständnislücken zu schließen sind, spornt das die Düsseldorfer Forscher umso mehr an. „Wir machen das schließlich nicht, um die Tagesprobleme der Industrie zu lösen“, erklärt Martin Stratmann. „Wir wollen mit unserer Forschung das grundlegende Wissen über Korrosion und Korrosionsschutz voranbringen und schauen aus diesem Grund weit in die Zukunft.“

Auf den Punkt gebracht

Korrosion wie etwa Rost richtet gewaltige Schäden an. Chrom-VI-haltige Verbindungen waren jahrzehntelang das Maß der Dinge im Korrosionsschutz, sind aber giftig und umweltschädlich.

Mit selbstheilenden Polymerschichten versuchen Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Eisenforschung, die Korrosion von Metallen zu verhindern. Diese Schichten sollen sich von selbst regenerieren, wenn sie beschädigt werden.

Die Haut für Metalle enthält Kapseln, welche die Komponenten des Kunststoffs dauerhaft speichern und sie bei einem Defekt zuverlässig freisetzen, und zwar in ausreichender Menge, um zurzeit Risse bis zu einem Zehntelmillimeter zu heilen. An der Selbstheilung größerer Defekte wird gearbeitet. Als Wandmaterial für die Container eignen sich leitfähige Polymere besonders gut.

Glossar

Elektrochemisches Potenzial:
Es gibt an, wie leicht eine Substanz in wässriger Lösung Elektronen abgibt oder aufnimmt, und hängt unter anderem von der Ionenkonzentration und dem pH-Wert in der Lösung ab. Je niedriger das Potenzial, desto leichter wird ein Stoff – wie zum Beispiel ein Metall – oxidiert. Ein Vergleich elektrochemischer Potenziale verschiedener Substanzen ermöglicht eine Aussage, ob sie miteinander reagieren.

Kelvinsonde:
Das Instrument misst mit einer Elektrode die Arbeit, die verrichtet werden muss, um Elektronen aus einer Oberfläche zu lösen. Mit der Kelvinsonde lässt sich Korrosion unter einer Flüssigkeit und sogar unter einer Kunststoffschicht detektieren.

Passivierung:
Auf Eisen bildet sich eine dünne Oxidschicht, die an der Atmosphäre nur einen geringen Schutz bietet, auf Zink bildet sich eine dickere oxid- und carbonathaltige Schicht, die für Sauerstoff undurchlässig ist und das Metall deutlich besser vor Korrosion schützt.

pH-Wert:
Gibt den sauren oder basischen Charakter einer wässrigen Lösung auf einer Skala von 0 (sauer) bis 14 (basisch) an. Er ist definiert über den Logarithmus der Protonenkonzentration – je höher diese, desto saurer das Milieu und desto niedriger der pH-Wert.

Polymer:
Ein Kettenmolekül, das aus zahlreichen gleichen Baueinheiten, den Monomeren, aufgebaut ist. Elektrisch leitende Polymere der Wissenschaftler bestehen aus einem positiv geladenen Gerüst und beweglichen, negativen Ionen.

Raman-Spektroskopie:
Sie ermöglicht Aussagen über Art und Eigenschaften eines Materials. Sie beruht darauf, dass eine Probe mit Laserlicht bestrahlt wird, wobei die Schwingungs- und Rotationsenergie ihrer Moleküle sich in charakteristischer Weise ändern kann.

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