Risikofaktoren für Gewalttätigkeit

Wenn Kinder und Jugendliche unter ungünstigen Umweltbedingungen aufwachsen, verhalten sie sich als Erwachsene eher aggressiv und kriminell

6. Juni 2018

Das Leben in der Großstadt, körperlicher oder sexueller Missbrauch, Migrationserfahrungen, Cannabiskonsum oder problematischer Alkoholgebrauch während der Jugend erhöhen das Risiko junger Menschen, sich als Erwachsene gewalttätig zu verhalten. Dies ist das Ergebnis einer von Hannelore Ehrenreich am Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin in Göttingen geleiteten Studie. Die Ergebnisse liefern damit erste wissenschaftlich fundierte Hinweise darauf, dass extreme soziale Bedingungen sogar die Genaktivität einer Person verändern können.

In einer früheren Studie haben die Forscher herausgefunden, dass sich bei genetisch entsprechend veranlagten Menschen eine Schizophrenie etwa zehn Jahre früher entwickeln kann, wenn sie unter Hochrisiko-Bedingungen aufwachsen, und in der Kindheit beispielsweise Misshandlungen, sexuellen Missbrauch oder Kopfverletzungen erfahren. Die neuen Ergebnisse zeigen nun, dass dieselben Bedingungen zu einer fünfmal höheren Wahrscheinlichkeit beitragen, als Erwachsener wegen gewalttätigen Verhaltens inhaftiert oder in eine forensische Station eingeliefert zu werden.

Für ihre Arbeit haben die Forscher sechs unabhängige Studienpopulationen analysiert. Die Daten stammen von 1500 Menschen mit Schizophrenie sowie 550 Personen aus der spanischen Allgemeinbevölkerung. Die Forscher haben dabei untersucht, ob eine Person vor dem 18. Lebensjahr in einer Großstadt gelebt hatte, eingewandert war, körperlich oder sexuell misshandelt worden war oder Cannabis oder Alkohol konsumiert hatte. Als Auswirkungen werteten die Forscher aus, ob Menschen mit akkumulierten Risikofaktoren für Gewaltverbrechen wie sexuelle Übergriffe, Totschlag, Körperverletzung oder Mord verurteilt oder jemals in eine forensische Einrichtung eingeliefert worden waren.

Höhere Wahrscheinlichkeit für Gewalt

In allen Gruppen hatten Personen, die mindestens einem dieser Risikofaktoren ausgesetzt waren, eine geringfügig höhere Wahrscheinlichkeit, als Erwachsener aggressiv zu werden. Mit jedem zusätzlichen Risikofaktor erhöhte sich die Wahrscheinlichkeit der Gewalttätigkeit schrittweise, was sich in einem regelrechten Treppenmuster in allen sechs Populationen widerspiegelte. Alle Hochrisikofaktoren zusammen genommen erhöhen die Wahrscheinlichkeit um das Zehnfache, dass ein Mensch mit drei oder mehr Risikofaktoren als Erwachsener gewalttätig wird.

„Unsere Daten unterstützen die These, dass sich gewalttätige Aggressionen bei Menschen entwickeln können, die vor dem Erwachsenenalter mehreren Umweltrisikofaktoren gleichzeitig ausgesetzt sind“, sagt Ehrenreich. „Dies geschieht krankheitsunabhängig. In allen Kohorten hängt die Häufung von Umweltrisikofaktoren vor dem Erwachsenenalter mit späteren gewalttätigen Handlungen zusammen. Auffallend ist, dass die Zusammensetzung der Risikofaktoren austauschbar ist.“

Epigenetische Veränderungen bei Hochrisiko-Patienten

Darüber hinaus haben die Forscher die Blutzellen einer Untergruppe von 142 Personen epigenetisch analysiert. In den Proben von 33 Männern mit hohem Risikoprofil wurden höhere Mengen an Histon-Deacetylase-1 (HDAC1) mRNA gefunden. HDAC1 ist ein Vermittler epigenetischer Prozesse und damit von Veränderungen, die durch Umweltfaktoren bewirkt werden können. „Dies ist ein erster Hinweis auf epigenetische Veränderungen bei den Hochrisiko-Patienten“, sagt Ehrenreich.

Die Ergebnisse der Studie können dazu beitragen, gefährdete Personen in Zukunft zu identifizieren und Vorsorgemaßnahmen sowie Behandlungsprogramme zu verbessern.

HE/HR

Weitere interessante Beiträge

Zur Redakteursansicht