Wie entsteht Massenpanik in einer Notsituation?

Studie untersucht virtuell menschliches Verhalten unter Stress

In Extremsituationen, wie bei Terroranschlägen, Naturkatastrophen oder Bränden, kommt es bei der Evakuierung immer wieder zu tragischen Unfällen, die durch Massenpaniken verursacht werden. Doch wie entstehen diese Paniken und wo sind die Gefahrenzonen? Dies untersucht eine Studie in einer virtuellen Umgebung, an der Forscher des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, des Disney Research Zürich, der ETH Zürich und der Rutgers University beteiligt sind. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift „Journal of the Royal Society Interface“ veröffentlicht.

Woran liegt es, dass es in Notsituationen, wie bei der Evakuierung eines Gebäudes, zu Unfällen durch Herdenverhalten und Gedränge kommt? Und welche Bereiche eines Gebäudes sind im Falle einer Evakuierung besonders gefährlich? Solche Fragen sind im realen Leben nur schwer zu untersuchen, weshalb das internationale Forscherteam 36 Probanden in einer dreidimensionalen, virtuellen Umgebung in eine Notfallsituation brachte. Alle Probanden saßen dabei gleichzeitig vor Computerbildschirmen und sollten einen Avatar steuern. In mehreren Experimenten untersuchten die Forscher die Verhaltensweisen der Probanden, in dem sie ihnen verschiedene Aufgaben stellten und sie beim Lösen unter Stress setzten.

Die Wissenschaftler konnten belegen, dass das Verhalten der Probanden im virtuellen Raum weitgehend übertragbar auf das Verhalten in der realen Welt ist. So sollten die Probanden zum Beispiel in einem schmalen Flur aneinander vorbei gehen, ohne sich zu berühren. Das Vermeidungsverhalten im virtuellen Raum war dabei das gleiche, wie es bereits Experimente in der realen Welt zeigten: 95 Prozent der Probanden wählten die rechte Seite, um aneinander vorbeizukommen. Frühere Studien belegen, dass Europäer in den meisten Fällen intuitiv auf der rechten Seite laufen. „Unsere Experimente haben gezeigt, dass virtuelle Umgebungen dabei helfen können, menschliches Verhalten in Notsituationen zu untersuchen, was aus ethischen und sicherheitstechnischen Gründen in der realen Welt gar nicht möglich wäre“, sagt Mehdi Moussaïd, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsbereich „Adaptive Rationalität“ des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung.

Um zu sehen, wie die Probanden in einer Notsituation reagieren, simulierten die Forscher eine Evakuierungssituation in einem unübersichtlichen Gebäude mit vier Ausgängen, von denen jedoch nur einer passierbar war. Zwar wusste der Großteil der Gruppe nicht, welche Ausgangstür die richtige war, jedoch gab es Einzelne, die per Richtungspfeil auf ihrem Bildschirm zur richtigen Tür gelotst wurden. Dies wusste auch der Rest der Gruppe, jedoch nicht, wer in der Gruppe im Vorteil war. Zusätzlich erhöhten die Forscher den Stresspegel, indem sie die Probanden unter zeitlichen und finanziellen Druck setzten. So musste das Gebäude innerhalb von 50 Sekunden verlassen werden, schafften sie das nicht, wirkte sich dies negativ auf die Bonuszahlungen am Ende aus. Dazu kamen eine schlechte Beleuchtung, rotblinkende Lämpchen und Feuer an den verschlossenen Ausgangstüren.

Bei Stress mehr Gedränge

Die Untersuchungen zeigten, dass die Zusammenstöße sowie das Gedränge untereinander unter Stress schnell zunahmen. Am gefährlichsten war es dabei an Stellen, wo Entscheidungen getroffen werden mussten, Engen auftraten und sich Rückstau bildete oder bei Gängen, die in Sackgassen endeten und Menschen zwangen umzukehren und gegen den Strom zu laufen.

Die Forscher schauten sich zudem die Gruppendynamiken während der stressigen Evakuierungssituation an. Ihre Analysen offenbaren, dass Menschen unter hohem Stress und bei Enge den sozialen Signalen in einer Gruppe stärker ausgesetzt sind als in weniger stressigen Situationen. Das heißt, sie nehmen intensiver wahr, wohin sich eine Gruppe bewegt, was sie tut, wie sie fühlt und sind somit stärker von der Gruppe beeinflusst. Die vorliegenden Studienergebnisse legen nahe, dass der Einzelne unter Einfluß dieser starken sozialen Signale eher einer Gruppe folgt. Dadurch entsteht schnell gedrängtes Herdenverhalten, welches zu Unfällen führen kann.

„Wir konnten zeigen, dass das menschliche Verhalten im virtuellen Raum dem im realen Leben gleicht, was nicht nur der Verhaltensforschung neue Möglichkeiten bietet. So könnten in Zukunft auch Städteplaner oder Architekten solche virtuellen Umgebungen nutzen, um zum Beispiel Evakuierungspläne zu testen“, sagt Mehdi Moussaïd.

KS

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