Rosettas Steckbrief eines Kometen
Messergebnisse der ESA-Raumsonde liefern ein umfassendes Bild von 67P/Churyumov-Gerasimenko
Eine wärmeisolierende Schicht an der Oberfläche. Bizarre Landschaften, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Eine geringe Dichte vergleichbar mit der von Kork sowie Fontänen aus Staub und Gas, die einem eigenen Rhythmus folgend ins All strömen: Messdaten der wissenschaftlichen Instrumente an Bord der ESA-Raumsonde Rosetta zeichnen ein immer genaueres Bild des Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko, den sie seit 2014 auf seinem Weg in Richtung Sonne begleitet. Einen Überblick über den aktuellen Kenntnisstand bietet eine Sonderausgabe des Fachmagazins Science. Zu fünf der sieben dort erscheinenden Artikel haben Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung in Göttingen maßgeblich beigetragen.
Als der Komet 67P/Churyumov-Gerasimenko im Frühjahr 2014 erwachte und begann, Staub und Gas ins All zu spucken, war die Raumsonde Rosetta bereits zur Stelle: Viele der insgesamt zehn Instrumente an Bord fingen in der Anflugphase erste Messdaten ein. Spätestens seit der Ankunft der Sonde an „ihrem“ Kometen im August 2014 steht 67P/Churyumov-Gerasimenko unter Dauerbeobachtung. Den Forschern zeigen sich nicht nur überraschend vielfältige Oberflächenstrukturen, sondern auch ausgesprochen dynamische Prozesse, die die Atmosphäre des Schweifsterns speisen.
Aus dem Mosaikbild des Kometen, das die Forscher aus den verschiedensten Messergebnissen nach und nach zusammensetzen, wollen sie vor allem eins ablesen: Wie ist der Komet 67P/Churyumov-Gerasimenko entstanden? War er ursprünglich ein einzelner, größerer Brocken, der bei seinen bisherigen Umläufen um die Sonne Material verlor und so seine heutige zweigeteilte Gestalt erhielt? Oder vereinten sich einst zwei kleinere Brocken, die heute den Kopf und den Körper des Kometen bilden? Dies könnte helfen zu verstehen, wie Kometen in der Frühphase des Sonnensystems geboren wurden.
Entscheidende Hinweise erhoffen sich Wissenschaftler von einem Vergleich der verschiedenen Teile des Kometen. Während sich bisher nur wenige grundsätzliche Unterschiede zwischen dem Kopf und dem Körper zeigen, sticht die Halsregion heraus. Sie war in den vergangenen Monaten nicht nur Hauptausgangspunkt der Gas- und Staubemissionen des Kometen, sondern könnte sich auch in weiteren Eigenschaften unterscheiden.
Kometenkern und Aktivität
Mithilfe von Aufnahmen des Kamerasystems OSIRIS erstellten Forscher in den vergangenen Monaten ein dreidimensionales Modell des Kometen und konnten ihn so genau vermessen: Während der kleinere Teil, der sogenannte Kopf, eine Größe von 2,6 x 2,3 x 1,8 Kilometern besitzt, erstreckt sich der größere Teil, der Körper, über 4,1 x 3,3 x 1,8 Kilometer. Zusammen mit der Masse des Kometen, die das Instrument RSI bestimmte, ergibt sich eine Dichte von 470 Kilogramm pro Kubikmeter – vergleichbar etwa mit der Dichte von Kork. Dies ist die erste direkte Messung der Dichte eines Kometenkerns.
„Wir gehen davon aus, dass der Komet aus Eis und Staub besteht, Materialien die beide eine deutlich höhere Dichte aufweisen“, sagt Holger Sierks vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, Leiter des OSIRIS-Teams. „Der gemessene Wert lässt somit darauf schließen, dass der Komet eine Porosität von 70 bis 80 Prozent aufweist. Wir verstehen ihn derzeit als eine Art lockere Ansammlung von Eis- und Staub-Teilchen mit vielen, vielen Zwischenräumen“, ergänzt Sierks.
Überraschend unauffällig zeigt sich die Farbgebung von 67P. Anders als etwa bei Asteroiden lassen sich nahezu keine farblichen Variationen auf der Oberfläche erkennen. Lediglich der Halsbereich, der den größeren mit dem kleineren Teil verbindet, sowie vereinzelte Brocken auf der Oberfläche zeigen sich in den Aufnahmen heller als die Umgebung.
Von diesem Bereich geht zudem ein Großteil der Aktivität des Kometen aus: Fast alle Staubfontänen, die sich insbesondere in den ersten Monaten zeigten, nehmen dort ihren Ursprung. „Wir sehen, dass sich diese Region deutlich vom Rest des Kometen unterscheidet“, so Sierks. Rechnungen des OSIRIS-Teams haben ergeben, dass der Hals keineswegs wie zunächst vermutet mehr Wärmeenergie von der Sonne aufnimmt als andere Regionen. Im Gegenteil: In den vergangenen Monaten war 67P so zur Sonne orientiert, dass der Hals sogar weniger Energie erhielt als andere Bereiche. „Das Eis in der Halsregion könnte Anteile von Kohlenmonoxid oder -dioxid aufweisen oder einfach dichter an der Oberfläche liegen“, sagt Holger Sierks.
In der Nähe des Halsbereiches auf dem Rücken finden sich zudem weitere Aktivitätsquellen: zylindrische Vertiefungen mit einem Durchmesser von bis zu 300 Metern und einer Tiefe von bis zu 200 Metern, die Einblicke in die Tiefenstruktur des Kometen geben. Die Gebilde könnten Hinweise auf die frühe Bildungsphase des Sonnensystems geben.
Bizarre Landschaften
Etwa 70 Prozent der Oberfläche des Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko hat das wissenschaftliche Kamerasystem OSIRIS bereits abgelichtet und aus den Aufnahmen detaillierte Geländekarten erstellt. Dabei zeigen sich Landschaften, die unterschiedlicher kaum sein könnten: Glatte Gebiete wechseln sich ab mit zerklüfteten und zerfurchten oder solchen, die von einer möglicherweise meterdicken Staubschicht bedeckt sind. Insgesamt 19 morphologisch unterschiedliche Regionen haben die Forscher identifiziert und in fünf Kategorien eingeteilt. Benannt wurden diese Regionen nach ägyptischen Gottheiten.
„Auch aus morphologischer Sicht hebt sich die Halsregion des Kometen deutlich von anderen Bereichen ab“, sagt Sierks. Anders als die Gebiete auf dem Kopf und dem Körper des Kometen ist die Oberfläche dort glatt: frei von jedweden Kratern, Furchen oder Klippen. Ein langer Riss zeigt sich allerdings, der auf mechanischen Stress im Kometenkern hindeutet.
Andere Regionen – besonders auf der Nordhalbkugel des Kometen – liegen unter einer lockeren Staubschicht, die an manchen Stellen Verwehungen und dünenartige Strukturen aufweist. „Fast erinnern die Bilder an solche, die man aus den Wüstenregionen der Erde kennt“, so Sierks. Die Wissenschaftler vermuten, dass Staub, der dem Schwerefeld des Kometen nicht entkommen konnte und auf die Oberfläche zurückfällt, diese Landschaften formt.
Auch die gewaltigen Temperaturunterschiede, denen der Körper auf seiner Reise von den eisigen Tiefen des Weltalls bis in eine Entfernung von 180 Millionen Kilometern von der Sonne ausgesetzt ist, hinterlassen ihre Spuren: An manchen Stellen zeigen sich bizarre Landschaften, die von Rillen, Rissen und Furchen dominiert werden.
Zudem finden sich Bereiche mit Oberflächenmaterial, das vergleichsweise hart und verfestigt sein könnte sowie jeweils eine große beckenförmige Vertiefung auf Kopf und Körper des Kometen.
Gut isoliert
Das Instrument MIRO untersucht die elektromagnetische Strahlung, die der Komet 67P/Churyumov-Gerasimenko ins All sendet, in den Wellenlängenbereichen um 1,6 und 0,5 Millimetern. Diese Strahlung umfasst nicht nur die Wärmestrahlung, die vom Kometen ausgeht, sondern enthält auch charakteristische Fingerabdrücke von Wassermolekülen.
Bereits im Juni 2014 konnte das MIRO-Team unter Leitung von Sam Gulkis vom Jet Propulsion Laborarory (USA) auf diese Weise Wasserdampf in der Atmosphäre des Kometen nachweisen. Zu diesem Zeitpunkt „schwitzte“ der Komet unter dem Einfluss der Sonne etwa 300 Milliliter Wasser pro Sekunde aus. Ende August war diese Menge auf 1,2 Liter pro Sekunde gestiegen.
Besonders auffällig: Die gemessenen Wassermoleküle bewegen sich überwiegend in Richtung Sonne, verdampfen also in erster Linie von der Tagseite des Kometen. Dort, wo Sonnenlicht auf die Oberfläche trifft, erwärmt sie sich soweit, dass Eis sublimieren kann. Auf der Nachtseite bleiben die Temperaturen indes unter der Sublimationstemperatur zurück. „Auch die Temperaturmessungen bestätigen starke Temperaturunterschiede zwischen Tag- und Nachtseite“, erklärt Paul Hartogh vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, Mitglied des MIRO-Teams. Zudem treten jahreszeitliche Schwankungen während eines Umlaufs um die Sonne auf.
Insgesamt lassen die Daten darauf schließen, dass die staubige Oberflächenschicht des Kometen zwar schnell auf Temperaturänderungen reagiert, Wärme jedoch ausgesprochen schlecht leitet. So bildet sie eine Art Wärmeisolierung, die tiefer liegende Schichten vor dem Einfluss der Sonne schützt. „Das könnte erklären, warum 67P und andere Kometen, die ins innere Sonnensystem vordringen, so langlebig sind und viele Umläufe um die Sonne überstehen“, so Hartogh.
Gase aus der Tiefe
Ebenfalls einen genauen Blick auf die Gasumgebung des Kometen hat der Massenspektrograf ROSINA in den vergangenen Monaten geworfen. Dabei konnte das Team unter Leitung von Katrin Altwegg von der Universität zu Bern nicht nur Wasserdampf, sondern auch Kohlendioxid und -monoxid identifizieren. „Die Gase treten jedoch sehr unterschiedlich auf – sowohl was ihre räumliche Verteilung betrifft, als auch im Verlaufe einer Drehung des Kometen um die eigene Achse“, sagt Urs Mall vom Göttinger Max-Planck-Institut, Mitglied des ROSINA-Teams.
Während der beiden Messperioden fand das ROSINA-Team eine starke Abhängigkeit der Menge der vom Kometen emittierten Gase von der Rotationsrichtung des Kometen relativ zur Raumsonde. Ob generell aus der Halsregion in erster Linie Wasserdampf austritt, während von der Unterseite vermehrt Kohlendioxid ausgast, wird sich in weiteren Messungen zeigen. Ein ähnliches Verhalten ist nämlich vom Kometen 103P/Hartley2 bekannt, Ziel der EPOXI-Mission im Jahre 2010.
Ob sich daraus schließen lässt, das die gefrorenen Gase ungleichmäßig auf dem Kometenkern verteilt sind, ist noch unklar. Auch jahreszeitliche Effekte könnten hier eine Rolle spielen. So wird die Unterseite des Kometen derzeit nur schwach von der Sonne beleuchtet. Dort herrscht Winter. Es ist denkbar, dass in den wärmeren Sommermonaten auch dort mehr Wasserdampf entsteht.
„Allerdings beobachten wir, dass die Emission von Kohlendioxid und -monoxid nicht so stark im Verlauf einer Kometenumdrehung schwankt wie die von Wasserdampf“, so Mall. Dies könnte möglicherweise darauf hinweisen, dass diese Gase aus größerer Tiefe verdampfen, wo sich die Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht nicht so stark bemerkbar machen.
Staubteilchen im Orbit
Das Teilcheninstrument GIADA hat in den vergangenen Monaten Masse und Größe, das Kamerasystem OSIRIS Fluggeschwindigkeit und -richtung der Staubteilchen in der Umgebung des Kometen untersucht. Die Forscher entdeckten nicht nur Teilchen, die sich von der Kometenoberfläche fortbewegen, sondern auch solche in einer stabilen Umlaufbahn. Die gebundenen Staubklumpen halten sich in einem Abstand von bis zu etwa 145 Kilometern von der Kometenoberfläche auf.
Die Wissenschaftler vermuten, dass diese Teilchen den Kometen seit seinem letzten Vorbeiflug an der Sonne begleiten. Als die Gas- und Staubaktivität von 67P nach der Sonnenpassage wieder abnahm, konnte kein ausgasendes Material die Bewegungen der Klumpen mehr stören und sie blieben auf stabilen Umlaufbahnen gebunden. Wenn der Komet in den kommenden Monaten der Sonne wieder näher kommt und die Emission von Staub und Gas dramatisch zunimmt, werden sich diese Klumpen voraussichtlich in den Weiten des Alls verlieren.
In den Daten von GIADA, OSIRIS und MIRO fanden die Forscher zudem Hinweise darauf, dass 67P in den vergangenen Monaten viermal so viel Staub wie Gas ins All spuckte. Frühere Messungen an anderen Kometen ergaben hingegen einen höheren Massenanteil von Gasen. Allerdings ist zu erwarten, dass die Gasproduktion von 67P in den nächsten Monaten deutlich zunimmt.
BK / HOR