Pflanzen steuern die Bildung von Seitentrieben und Blattfiedern mit sehr ähnlichen Gen-Modulen

An den Grenzschichten zur Blattanlage und den Blattfiedern werden homologe Gene aktiv

16. November 2011

Bis hierher und nicht weiter: Bei der Anlage von Blättern und Blattfiedern muss klar sein, wo deren Platz endet. Pflanzen erreichen dies durch charakteristische Grenzschichten, in denen ganz bestimmte Gene aktiv sind.  In der Grenzschicht zum Blatt bilden sich später neue Wachstumspunkte, so genannte Achselmeristeme, aus denen Seitentriebe hervorgehen. Klaus Theres vom Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung in Köln und seine Kollegen haben jetzt gezeigt, dass beide Grenzschichten – die zum Blatt und die zu den Blattfiedern hin - übereinstimmende Gen-Module verwenden. Verzweigung und Blattfiederung werden dadurch auf ähnliche Weise reguliert. Die Ergebnisse der Kölner Wissenschaftler könnten zur Züchtung von ertragreicheren, unverzweigten Pflanzensorten beitragen.

Pflanzen beenden ihre Embryonalentwicklung nicht mit einer vorgefertigten Form, sondern bringen immer neue Blätter und Seitentriebe hervor, die ihnen eine mehr oder weniger buschige Gestalt geben. Dabei wachsen sie in fortlaufenden Funktionseinheiten, die aus einem Blatt, einer aus dem Achselmeristem hervorgegangenen Achselknospe und dem dazugehörigen Stängelabschnitt bestehen. Der primäre Wachstumspunkt im oberirdischen Teil einer Pflanze ist das obere Ende der Sprossachse mit dem so genannten Sprossmeristem. Blätter werden angelegt, indem eine Gruppe von Zellen durch eine Grenzschicht vom Rest des Sprossmeristems abgegrenzt und ein bestimmtes Programm zur Blattentwicklung angeschaltet wird. Theres dazu: „Ein wichtiges Merkmal dieser Grenzschicht ist die Wachstumshemmung. Dadurch wird die Zone zur Einkerbung. Diese macht deutlich, wo die Blattanlage ihren Platz hat und wo die Zellen später kräftig wachsen müssen, damit das Blatt austreibt. Auf ein noch unbekanntes Signal hin, legt die Grenzschicht später auch ein Achselmeristem an. Deren Zellen haben wegen ihrer besonderen Identität die Kompetenz dazu.“

Auch bei der Blattfiederung müssen Grenzen gezogen werden, um die kleinen Blättchen voneinander abzugrenzen. Theres und seine Kollegen konnten nun zeigen, dass bei Tomaten in beiden Grenzschichten sehr ähnliche Sets an Genen aktiv sind. Dabei waren die Wissenschaftler zunächst von zwei als nicht übereinstimmend betrachteten Genen ausgegangen: das Potato Leaf-Gen und das Blind-Gen. In mutierter Form sorgt das Potato Leaf-Gen dafür, dass die Tomatenblätter kaum gefiedert sind und eher wie Kartoffelblätter aussehen, statt wie Tomatenblätter. Das Blind-Gen spielt eine Rolle bei der Anlage des Achselmeristems. Theres: „Wir haben jetzt gezeigt, dass beide Gene homolog zueinander sind. Sie unterscheiden sich allerdings in ihrer Promotorregion. Ein Promoter legt fest, wann und wo das nachgeschaltete Gen abgelesen wird. Das Blind-Gen wird in der Grenzschicht zur Blattanlage hin abgelesen, das Potato Leaf-Gen in der Grenzschicht zu den Blattfiedern hin. Das ist ein sehr überraschender Befund, denn die Anlage eines Achselmeristems und die Blattfiederung galten als nicht verwandte Prozesse.“

Theres und seine Kollegen vermuten nun, dass die beiden Gene in der Evolution durch eine Verdopplung des Erbguts entstanden sind. Dieser Vorgang ist bei Pflanzen nicht ungewöhnlich. Es könnte sein, dass das ursprüngliche Gen in beiden Grenzschichten aktiv war und damit auch beide Aufgaben erfüllt hat. Heute sind die Anlage des Achselmeristems und die Blattfiederung getrennte Funktionen und werden von dem Potato Leaf -Gen und dem Blind-Gen übernommen. Für diese These spricht die Tatsache, dass ein weiteres Gen der Tomate, das Goblet-Gen, tatsächlich beide Funktionen hat, aber nicht im gleichen Stoffwechselweg aktiv ist, wie das Potato Leaf -Gen. Theres: „Schaut man sich den Phänotyp der potato leaf-Mutante und der goblet-Mutante an, so zeigen beide Pflanzen das gleiche Erscheinungsbild. Die Blätter haben keinen gezackten Rand mehr und weisen deutlich weniger Fiedern auf. Die Doppelmutante hat langgezogene völlig ungefiederte Blätter, die gar nicht mehr wie Tomatenblätter aussehen. Das spricht dafür, dass beide Gene in unterschiedlichen Stoffwechselwegen aktiv sind. Sonst müsste die Doppelmutante den gleichen Phänotyp haben wie die Einzelmutanten.“

Die Kölner Forscher konnten auch zeigen, dass ein weiteres Gen, das für die Anlage eines Achselmeristems zuständig ist, in der Grenzschicht zu den Blattfiedern abgelesen wird. Das ist ein weiterer Hinweis darauf, dass die die Anlagen von Seitentrieben und die Blattfiederung von homologen Genen gesteuert wird.

Welchen praktischen Nutzwert hat diese Forschung? Verzweigte Tomatenpflanzen haben weniger Ertrag als unverzweigte Pflanzen. Deshalb werden die Achselknospen per Hand entfernt. Was für den Hobbygärtner ein Vergnügen sein kann, ist bei der gewerblichen Produktion ein mühsames und teures Unterfangen. Deshalb besteht großes Interesse daran, Tomatenpflanzen zu züchten, die kaum verzweigt sind, deren Ertrag aber auch nicht beeinträchtigt ist, so wie das bei den bisher verfügbaren Mutanten der  Fall ist.

CW/HR

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