Depressive Fische könnten bei der Suche nach neuen Medikamenten helfen

Antidepressivum normalisiert das Verhalten von Zebrafischen mit einem defekten Stresshormon-Rezeptor

30. Juli 2013

Chronischer Stress kann beim Menschen zu Depressionen und Angstzuständen führen. Wissenschaftler um Herwig Baier, Direktor am Max-Planck-Institut für Neurobiologie in Martinsried bei München, haben nun einen ganz ähnlichen Zusammenhang in Fischen entdeckt. Normalerweise hilft das Stresshormon Cortisol Fischen, wie auch dem Menschen, Stress zu regulieren. Fische, denen der Rezeptor für Cortisol aufgrund einer genetischen Veränderung fehlte, zeigten einen konstant hohen Stresslevel. Sie waren nicht in der Lage, sich an eine ungewohnte neue Situation zu gewöhnen. Mit einem Antidepressivum im Wasser normalisierte sich das Verhalten der Fische wieder. Die Ergebnisse zeigen einen direkten Zusammenhang zwischen chronischem Stress und Verhaltensänderungen, die einer Depression ähneln. Sie könnten auch die Tür für die effektive Suche nach neuen Medikamenten für psychiatrische Erkrankungen öffnen.

In einer Stresssituation schüttet der Körper Hormone aus, um für Flucht oder Kampf bereit zu sein. Ebenso wichtig wie diese Reaktion ist es, dass sich der Hormonspiegel nach einiger Zeit wieder normalisiert. Geschieht dies nicht, kann chronischer Stress entstehen, der unter anderem mit Depressionen und Angsterkrankungen in Verbindung gebracht wird. Ob Stress ein Auslöser oder nur eine Begleiterscheinung solcher sogenannter affektiver Störungen ist, ist nach wie vor unklar.

Aus einer ganz unerwarteten Ecke kommt nun der Hinweis auf einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Stress und Depressionen. Wissenschaftler um Herwig Baier vom Max-Planck-Institut für Neurobiologie in Martinsried und der Universität von Kalifornien in San Francisco haben beobachtet, dass Zebrafische, die aufgrund einer genetischen Veränderung (Mutation) chronisch gestresst sind, in Verhaltenstests Anzeichen einer Depression zeigen. Der Zebrafisch ist ein beliebtes Modell für biologische und medizinische Fragestellungen. Er war jedoch bislang kein naheliegendes Forschungsobjekt für die Untersuchung psychiatrischer Erkrankungen. Dies könnte sich jetzt schlagartig ändern.

"Diese Fischmutanten verhielten sich sehr merkwürdig, wenn wir sie in ein neues Aquarium umsetzten", berichtet Herwig Baier. Für alle Tiere bedeutet das Umsetzen in eine ungewohnte Umgebung Stress. Die Trennung von Artgenossen setzt die Fische zusätzlich unter Druck. Zebrafische ziehen sich in solch einer Situation erst einmal zurück und schwimmen in den ersten Minuten nur sehr zögerlich. Schließlich siegt die Neugier, und sie beginnen, den neuen Tank zu erkunden. Die Fische mit der Mutation reagierten jedoch besonders stark auf die Isolierung: Sie ließen sich zum Beckenboden sinken und verhielten sich ganz still. An die neue Umgebung gewöhnten sie sich nur äußerst langsam.

Eine Analyse dieser "lethargischen" Fische zeigte, dass bei ihnen die Konzentrationen der  Stresshormone Cortisol, CRH und ACTH deutlich erhöht war. "Wir vermuteten daher, dass diese Fische unter chronischen Stress standen und dadurch bedingt ein depressives oder vielleicht überängstliches Verhalten zeigten", so Baier. Dieser Vermutung folgend gaben die Wissenschaftler das Antidepressivum Fluoxetin (im Handel unter anderem als Prozac bekannt) ins Wasser. Tatsächlich verhielten sich die Fische kurz darauf wieder ganz normal.

Was machte diese Fische so anders? Die Wissenschaftler fanden eine Mutation in dem  sogenannten Glucocorticoid-Rezeptor, der in fast allen Zellen des Körpers vorkommt und das Hormon Cortisol bindet. Normalerweise wird durch die Bindung von Cortisol an diesen Rezeptor die Ausschüttung der Stresshormone CRH und ACTH reduziert. Dieser Regelmechanismus erlaubt es Menschen und vielen Tierarten mit Stress umzugehen. In der untersuchten Fischvariante war der Glucocorticoid-Rezeptor jedoch funktionsuntüchtig und der Stresshormonlevel blieb somit hoch.

"Obwohl es eine ganze Reihe wirksamer Medikamente gegen Depressionen gibt, ist nach wie vor unklar, welcher Zusammenhang zwischen ihrer Wirkung und den Stresshormonen besteht", erklärt Herwig Baier. "Unsere Ergebnisse zeigen nun erstmals eine mögliche Verbindung." Das Verständnis der molekularen und neurobiologischen Zusammenhänge zwischen Stressregulierung und affektiven Störungen ist für die Suche nach neuen Therapien und Medikamenten wichtig. Die Entdeckung der Wissenschaftler ist daher auch für die Pharmaindustrie interessant, denn der Zebrafisch könnte sich zu einem guten Modellorganismus für eine groß angelegte Suche und den Test neuer Medikamente entwickeln.

SM/HR

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