Ein Schweizer Messer für die chemische Synthese

Metallfreier Katalysator beschleunigt Bildung der S-Form von Olean

20. März 2012

Ein Schweizer Messer ist eine geniale Erfindung, das Universalwerkzeug lässt sich für viele Zwecke nutzen. Die Synthese-Chemiker Benjamin List und Ilija Čorić vom Max-Planck-Institut für Kohlenforschung haben ein chemisches Werkzeug entwickelt, das zwar viel kleiner, aber ähnlich vielseitig und gleichzeitig präzise ist: einen neuartigen enantioselektiv arbeitenden Katalysator. Solche Katalysatoren produzieren fast ausschließlich eine von zwei möglichen, chemisch sehr ähnlichen Formen einer Substanz und könnten damit die Herstellung vieler Pharmazeutika erleichtern.

Die beiden Chemiker Benjamin List und Ilija Čorić erforschen, mit welchen chemischen Werkzeugen man chirale Moleküle auf einfache Weise herstellen kann. Chiral heißen diese Moleküle, weil sie in zwei verschiedenen Formen vorkommen, die sich wie die linke und die rechte Hand spiegelbildlich zueinander verhalten. Solche sogenannten Enantiomere sind sich zwar chemisch sehr ähnlich, ihre biologische Wirkung kann aber eine völlig andere sein: Beim Insekten-Pheromon Olean lockt beispielsweise die S-Form des Oleans die weibliche Olivenfliege an, während die R-Form auf das Männchen wirkt.

Beiden Max-Planck-Forschern ist es jetzt gelungen, gezielt nur eines der beiden Olean-Enantiomere zu synthetisieren. Dazu haben sie eigens ein Werkzeug entwickelt, das, wie sich jetzt herausgestellt hat, sich auch für die Herstellung anderer Substanzen eignet und somit ein breites Spektrum an Möglichkeiten bieten kann.

Olean wurde von den beiden Wissenschaftlern aber gezielt als Endprodukt für die Synthese ausgewählt, weil dieses Pheromon zur chemisch interessanten Gruppe der Spiroacetale gehört. Spiroacetale bestehen aus zwei kohlenstoffbasierten Ringverbindungen und werden in Zellen benötigt, um Kohlenhydrate und zahlreiche andere Moleküle zu konstruieren. Sie sind in vielen Insekten, Pflanzen, und Bakterien zu finden.

Allgemein sind spiroacetale Untereinheiten in einem Makromolekül nicht nur essentiell für seine Bioaktivität, sondern sind auch als bevorzugte Grundsubstanz in der Medikamentenentwicklung sehr begehrt. Darum ist es wichtig, diese Stoffklasse synthetisch herstellen zu können.

Spiroacetale als wichtige Bausteine in Zellen

Die Herstellung von Spiroacetalen ist aber bisher nur auf einem Weg gelungen: In der klassischen reagenziengetriebenen Synthese, bei der man beide Formen, R- und S-Olean gleichermaßen erhält. Weil aber Mischungen aus R- und S-Form fatale Folgen für den Menschen haben können, wie sich bei Thalidomid (Wirkstoff des Schlafmittels Contergan) zeigte, ist es für Pharmakologen und Chemiker wichtig, beide chirale Formen von Wirkstoffen getrennt herstellen zu können.

„Die Herstellung von Mischungen, den sogenannten Racematen, ist in der chemischen Industrie in vielen Bereichen immer noch der Status quo“ sagt Benjamin List. Nach der Synthese müssen die beiden Stereoisomere aufwendig voneinander getrennt und gereinigt werden: Ein Herstellungsprozess, bei dem viel Abfall entsteht. „Wenn wir aber grüne Chemie betreiben wollen, bedeutet das auch, dass wir Synthesewege ändern müssen, um weniger Abfall zu produzieren. Gute Synthesechemie ist immer grün, wenn sie atomökonomisch arbeitet.“

Grüne Chemie durch neue Katalysatoren

Grüne Chemie macht die Natur seit jeher mühelos, weil sie für die Stoffsynthese Enzyme verwenden kann. Enzyme funktionieren als Katalysatoren und können stereoselektive Reaktionen ermöglichen, bei denen nur eine Form entsteht. Benjamin List weiß, wie Enzymen dieses Kunststück gelingt: „Durch seine gefaltete Struktur hat das Enzym aktive „Taschen“. Die Taschen sind sehr eng und haben ein reaktives Zentrum im Taschenboden. Und weil die Tasche so eng ist, können nur ganz bestimmte Moleküle andocken: eben genau die, für die das Enzym spezialisiert ist.“

Wären die aktiven Zentren großräumiger, würden sie Platz für verschiedene Übergangszustands-Geometrien bilden und zu verschiedenen Isomeren führen. „Ein begrenzterer Raum beschränkt diese Freiheit und führt damit zu einer Erhöhung der Selektivität“ erläutern Benjamin List und Ilija Čorić ihren gedanklichen Ansatz.

Auf der Grundlage dieser Hypothese modellierten die beiden Chemiker räumlich anspruchsvolle Katalysatoren für die Herstellung von Olean, die als Beispiel für die katalytische Umsetzbarkeit der Spiroacetalisierung dient. „Wir ahmen die enge, reaktive Tasche des Enzyms nach“ sagt List. „Dazu haben wir einen Brönsted-Säure-Katalysator gebaut, der in der Mitte eine rein organische Substanz beherbergt: Imidodiphosphorsäure. Um das reaktive Zentrum herum haben wir große nicht-reaktive Gruppen gebaut, in diesem Fall zwei Binole und vier Arylreste. Sie sind so gebaut, dass sie das aktive Zentrum optimal einengen. Der Katalysator sieht jetzt wie ein Krebs aus, der seine Krebszangen vor die Mundöffnung hält.“

Dank des neuen Katalysator-Designs ist den beiden Chemikern die Herstellung von Spiroacetalen im Labor auf diese Weise erstmals gelungen: Die Versuche ergeben eine S-Olean-Ausbeute von 98%. Aber ihr neuer Reaktionsbeschleuniger kann augenscheinlich noch viel mehr: „Unser Katalysator-Design wird eine breite Anwendung in katalysegetriebenen asymmetrischen Reaktionen finden. Denn soweit wir es das jetzt getestet haben, eignet es sich auch für eine Vielzahl völlig anderer, kleiner Substrate.“

Der neue Katalysator ist so gebaut, dass er ohne teure Edelmetalle wie Rhodium und Ruthenium auskommt. So ist eine rein organische, effiziente katalytische Synthese möglich. Und ersten Tests zufolge scheint der neue Säurekatalysator das Zeug zu einem echten Universalwerkzeug zu haben. Und vielleicht wird er sogar das Schweizer Messer der Synthese-Chemiker werden.

NW

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