Familienkrise bei den "Ehrenmännern"

Ein Mythos als Thema der Wissenschaft

27. April 2004

Die Mafia als Objekt kriminologischer Forschung: Letizia Paoli vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht räumt mit Mythen über die kriminelle Organisation auf. Diese steckt zwar in der schwersten Strukturkrise seit ihrem Bestehen, dennoch warnt die Wissenschaftlerin vor den bedenklichen Verflechtungen mit der amtierenden italienischen Regierung und einer daraus resultierenden möglichen Konsolidierung.

Die Mafia ist ein junges Forschungsobjekt: Erste Studien in den 1960-er Jahren setzten sich mit der Struktur der Gewaltorganisation auseinander. Doch wegen des Charakters einer Geheimgesellschaft und der Schweigepflicht drangen selten Interna über das Gefüge nach draußen. Doch Letizia Paoli, Spezialistin für organisierte Kriminalität, hat ein Standardwerk über deren spezielle italienische Erscheinungsform veröffentlicht.

Ein genauer Zeitpunkt für die Entstehung der Mafia lässt sich nicht festlegen, doch sind schon Mitte des 19. Jahrhunderts nach Gründung des italienischen Nationalstaats Vorläufer zu finden. Heute gelten als eigentliche, klassische Mafia die sizilianische Cosa Nostra und die kalabresische `Ndrangheta. Laut Letizia Paoli vom Freiburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafecht ruht die Mafia auf drei Säulen: eine komplexe Organisation mit hierarchischem Aufbau, Rituale jeglicher Art und gemeinsame Werte, allen voran "Onore e Omertà" (Ehre und Schweigen). Gerade die beiden letzten Faktoren weisen stark auf den Charakter der italienischen Mafia als exklusive Bruderschaft hin. Ohne Zweifel jedoch befindet sie sich seit einigen Jahren in einer Krise - der schwersten seit den Unterdrückungsmaßnahmen durch die faschistische Regierung. Wirklich besiegt ist sie jedoch nicht.

In den vergangenen 30 Jahren durchlief die Organisation eine "unternehmerische Transformation", wie Paoli es nennt. Der Einstieg in den internationalen Drogenhandel wie auch die Veruntreuung staatlicher Gelder führten zu einem immensen Reichtum. Zu Beginn der 1990-er Jahre war mit dem Geldregen dann Schluss. Rom - den Staatsbankrott vor Augen - unterband den Strom der offensichtlich missbrauchten Investitionen in den Süden, und das Drogengeschäft wurde mittlerweile von kriminellen Banden aus Albanien gesteuert. Verteilungs- und Machtkämpfe innerhalb der "Familien" führten zu den blutigsten Auseinandersetzungen in der Geschichte der Mafia.

Auch ging der Staat, nach enormen Protesten aus der Bevölkerung und unter starkem Druck der Medien, zunehmend mit rechtlichen Mitteln gegen den "Kraken" aus dem Süden vor. Mit dem von der Regierung nach dem Anschlag auf den obersten Mafiaermittler Dalla Chiesa verabschiedeten "La Torre-Gesetz" im Jahr 1982 führte die Justiz nun schon die Mitgliedschaft in der Mafia als Straftatbestand ein. Fast 15000 Personen wurden in den folgenden vier Jahren angeklagt. Nach den spektakulären Morden an den Ermittlern Giovanni Falcone und Paolo Borsellino 1992 kehrten selbst hochkarätige Bosse nach ihrer Verhaftung der Mafia den Rücken und wurden Kronzeugen.

Dennoch zeigt sich ein Wiedererstarken mafioser Strukturen - speziell im Wahlverhalten Süditaliens wird dies deutlich. Heute wie früher schanzen mafiose Politiker ihrer Klientel Arbeitsplätze und Posten zu - meist unter der Fahne der rechts-konservativen Berlusconi-Partei. Bezeichnenderweise gewann die Regierungskoalition bei den letzten nationalen Wahlen alle 60 Direktmandate auf Sizilien. Berlusconis Politik ermöglicht eine nachhaltige Konsolidierung der Mafia - und verführt zu der Frage, inwieweit beim italienischen Ministerpräsidenten eine Bringschuld im Spiel ist.

Letizia Paoli warnt - gerade wegen ihrer intimen Kenntnis der internen Strukturen - davor, bestimmte Charakteristika der italienischen Mafia auf andere Formen der organisierten Kriminalität zu übertragen: Sie sei ein Spezialfall, ein Produkt aus historischen, kulturellen, sozialen und politischen Konditionen, die es so nirgendwo sonst auf der Welt gibt.

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