Vera Rubin: Pionierin der Dunklen Materie

Vera Rubin revolutionierte unser Verständnis von Galaxien, begab sich früh auf die Spuren der Dunklen Materie und kämpfte unermüdlich für die Gleichstellung von Frauen in der Wissenschaft

Auf den Punkt gebracht

  • Wegbereitende Astronomin: Vera Cooper Rubin revolutionierte unser Verständnis von Galaxien und Dunkler Materie als eine der bedeutendsten Wissenschaftlerinnen des 20. Jahrhunderts.

  • Pionierin der Dunklen Materie: Ihre Messungen der Rotationsgeschwindigkeit von Galaxien zeigten, dass sich Sterne schneller als erwartet um das Zentrum von Galaxien bewegen, was auf die Existenz von Dunkler Materie hinweist.

  • Technische Innovation: Rubin nutzte innovative optische Spektroskopie in Zusammenarbeit mit Kent Ford, um die Sterngeschwindigkeiten in der Andromedagalaxie und der Milchstraße zu messen.

  • Vorbild: Sie setzte sich unermüdlich für die Gleichstellung von Frauen in der Wissenschaft ein und ist eine bedeutende Mentorin für nachfolgende Generationen.

Es gibt nicht allzu viele große Sternwarten und Teleskope, die nach Frauen benannt sind. Doch jetzt hat das Vera C. Rubin Observatory im Norden Chiles sein Auge geöffnet und blickt mit einem 8,4-Meter-Spiegel ins All. Im Fokus stehen unter anderem die Kartierung der Milchstraße und die Beobachtung von erdnahen Asteroiden. Zu den Aufgaben gehört auch die Fahndung nach der Dunklen Materie – ein Forschungsgebiet, auf dem die Namensgeberin wertvolle Beiträge geleistet hat.

Kampf gegen die Diskriminierung von Forscherinnen

Die Karriere von Vera Florence Cooper (verheiratet Rubin) begann im Alter von zwölf. Damals, Anfang der 1940er-Jahre, guckte sie stundenlang zum Sternenhimmel empor, beobachtete Mond und Planeten und zeichnete die Leuchtspuren von Meteoren auf. Früh stand für Vera fest, dass sie Astronomin werden wollte. Sie bekam ein Stipendium am renommierten Vasser College im US-Bundesstaat New York, an dem damals ausschließlich Frauen ausgebildet wurden. Nebenbei arbeitete sie während der Sommermonate in Washington D.C. als Hilfskraft am Naval Research Laboratory.

Nach dem glänzenden Bachelorabschluss in Astronomie bewarb sich Rubin 1948 um ein Graduiertenprogramm an der Princeton University – und wurde prompt abgelehnt. Begründung: Sie sei als Frau nicht zum Studium zugelassen. Dieses Erlebnis prägte die junge Vera und ließ sie ihr ganzes Leben lang gegen die Diskriminierung von Forscherinnen und für deren Gleichberechtigung kämpfen. Doch zunächst musste die Zwanzigjährige ihren eigenen Weg finden. Die Cornell University nahm sie auf, berühmte Wissenschaftler wie Hans Bethe und Richard Feynman unterrichteten sie. Dort traf sie auch auf die Astronomin Martha Stahr Carpenter, bei der sie erfolgreich ihre Masterarbeit über die Geschwindigkeitsverteilung von Galaxien schrieb.

Diese Forschungen schienen den Fakultätsleiter in Cornell zu überzeugen. Er schlug vor, sie auf einer Tagung der American Astronomical Society zu präsentieren – unter der Bedingung, seinen Namen in die Arbeit mitaufzunehmen. Vera C. Rubin lehnte ab und fuhr allein zur Tagung. Während die Washington Post in einem Bericht die Reaktionen auf ihren Vortrag „höflich“ aber auch „hartnäckig“ nannte, erinnerte sich Rubin viele Jahre später in einem Zeitschriftenartikel, dass es am Ende von den männlichen Kollegen auf dem Kongress wütende Proteste gegeben habe.

In ihrer Doktorarbeit an der Georgetown University beschäftigte sich die Astronomin mit der Verteilung von Galaxien im Weltall. Die Absprachen mit ihrem Doktorvater gestalteten sich schwierig, weil sein Büro in einem Bereich auf dem Campus lag, zu dem Frauen keinen Zutritt hatten. Gleichwohl verfolgte Vera C. Rubin ihr Ziel unbeirrt und fand heraus, dass die Sternsysteme keineswegs gleichmäßig im Raum auftreten, sondern in Haufen. Dieses Resultat wollte sie nach Abschluss der Promotion im Jahr 1954 im Astrophysical Journal veröffentlichen. Der Chefredakteur Subrahmanyan Chandrasekhar, 1983 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet, lehnte dies mit der Begründung ab, sein eigener Doktorand arbeite am selben Thema und sein Beitrag solle als erstes erscheinen.

Nach der Promotion blieb Vera C. Rubin noch einige Jahre an der Georgetown University und ging in dieser Zeit als Beobachterin an verschiedene Sternwarten in den USA. Schließlich wurde sie zu einem Aufenthalt an das Observatorium auf dem Mount Palomar in Kalifornien eingeladen, welches das seinerzeit größte Teleskop der Welt beherbergte. Der Direktor machte eine Ausnahme, denn Frauen waren in seiner Einrichtung nicht zugelassen. Gleich während ihres ersten Aufenthalts auf dem Berg zeichnete Rubin eine Figur mit Rock und brachte das Bild an der Tür einer Toilette an.

Im Jahr 1965 nahm Rubin, mittlerweile vierfache Mutter, eine Teilzeitstelle an der Carnegie Institution in Washington an und lernte dort Kent Ford kennen. Der Physiker hatte einen empfindlichen Bildröhren-Spektrografen entwickelt, der sich ideal dazu eignete, die Verschiebung der Spektrallinien und damit die Geschwindigkeit von Sternen zu messen. Rubin erkannte den Wert dieses mächtigen Instruments für ihre Forschungen an Galaxien, deren sogenannte Rotationskurven sie bestimmen wollte.

Rätselhafte Rotation der Galaxien

Seit vielen Jahren wusste man, dass Galaxien – auch die Milchstraße – rotieren. Alle Sterne kreisen um das Zentrum, die Sonne etwa einmal in rund 230 Millionen Jahren. Nach der Newtonschen Physik sollten die Sterne mit wachsendem Abstand vom Herz der Milchstraße immer langsamer werden, ähnlich wie die Planeten im Sonnensystem. So ist beispielsweise der sonnenferne Neptun mit gemächlicherem Tempo unterwegs als der schnell dahinrasende sonnennahe Merkur. Doch bisher hatte noch niemand die Rotationsgeschwindigkeit einer fernen Welteninsel gemessen. Dann kamen Rubin und Ford.

Im Fokus ihres Interesses stand die Andromedagalaxie, die man im gleichnamigen Sternbild in einer klaren Herbstnacht bereits mit bloßem Auge als verwaschenes Fleckchen am Himmel erspähen kann. Während zweier Beobachtungsläufe gewannen Rubin und Ford am Zwei-Meter-Teleskop des Lowell-Observatoriums insgesamt 123 Spektren. Dabei fokussierten sie sich nicht nur auf Sterne, sondern nahmen auch Gasnebel ins Visier, die ebenfalls das Herz der Andromedagalaxie umlaufen.

Das verblüffende Ergebnis: Alle Objekte bewegten sich in einem Abstand von 10.000 bis 60.000 Lichtjahren vom galaktischen Zentrum mit ähnlicher Geschwindigkeit. Diese Messungen standen im Einklang mit einer Studie, die Rubin Anfang der 1960er-Jahre mit Studenten erarbeitet und in der sie die Geschwindigkeiten von tausend Sternen in der Milchstraße bestimmt hatte. Auch diese bewegten sich mit konstantem Tempo.

Auf den Spuren einer unsichtbaren Materie

Bei den Messungen an vielen weiteren Galaxien gewannen Rubin und Ford ähnliche Ergebnisse. Obwohl sie teils mit großer Skepsis betrachtet wurden, setzte sich allmählich die Auffassung durch, dass hier etwas Unbekanntes im Spiel war. Die Idee: Um eine solche dynamische Wirkung zu entfalten und den Sternen ihre gleichmäßige Gangart zu verleihen, musste in und um den Galaxien eine beträchtliche Menge eines unsichtbaren „Stoffs“ existieren. Die beiden Forschenden waren der Dunklen Materie auf die Spur gekommen. Heute wissen wir, dass sie ungefähr 85 Prozent der gesamten Materie im Universum ausmacht. Ihre Natur verstehen wir bis heute nicht.

Vera C. Rubin starb am 25. Dezember 2019 im 89. Lebensjahr. Weil sie in einer von Männern dominierten Wissenschaft trotz aller Hürden ihren Weg ging, konnte sie nicht zuletzt dank ihrer Hartnäckigkeit den Grundstein für ein spannendes Kapitel der modernen Astronomie legen, das noch heute Forscherinnen und Forscher weltweit beschäftigt. Rubin erhielt viele Auszeichnungen, darunter die Goldmedaille der Royal Astronomical Society und den Gruber-Preis für Kosmologie, bei dessen Verleihung ihre Vorbildfunktion für junge Wissenschaftlerinnen betont wurde. Der Nobelpreis blieb ihr verwehrt – eine Auslassung, die im Nachhinein weithin als bedeutendes Versäumnis angesehen wird.

HOR

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