Atome vernetzen sich anders

Physiker entdecken überraschendes Verhalten von Quanten-Zufallsnetzwerken

7. Juni 2010

Das Internet oder die sozialen Beziehungen innerhalb einer Gruppe von Menschen - komplexe Netzwerke bestimmen unseren Alltag. Forscher zeigten in der Vergangenheit, dass solche gewachsenen Netzwerke trotz ihrer ungeordneten Struktur Gemeinsamkeiten haben, etwa die "Kleine-Welt-Eigenschaft" - das Phänomen, dass fast jeder Mensch über ein paar Ecken mit einer berühmten Person bekannt ist. In Zukunft könnte eine weitere Art von Netzen eine wichtige Rolle im Alltag spielen: Quantenkommunikations-Netzwerke, wie sie bereits aufgebaut und getestet wurden. Zum ersten Mal hat jetzt eine Gruppe um Ignacio Cirac, Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching bei München, Quanten-Netzwerke theoretisch untersucht, die eine zufällige Struktur und die Kleine-Welt-Eigenschaft besitzen. Die Forscher fanden heraus, dass die Quanten-Netze darüber hinaus überraschende Eigenschaften zeigen, die sich für besondere Kommunikationsmöglichkeiten ausnutzen lassen könnten. (Nature Physics, Advanced Online Publication, DOI:10.1038/NPHYS1665)

Quanten-Netzwerke bringen große Vorteile gegenüber klassischen Informationsnetzwerken mit sich, etwa eine größere Sicherheit beim Austausch vertraulicher Informationen. Denn niemand kann unbemerkt eine Nachricht belauschen, die mithilfe von Zuständen von Quantenteilchen, etwa der Polarisation von Lichtteilchen (Photonen), verschlüsselt sind.

Vor der aktuellen Arbeit der Physiker des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik in Garching sind nur regelmäßige Quanten-Netzwerke theoretisch untersucht worden, also Netze, bei denen jeder Knoten mit der gleichen Anzahl von Nachbarn verbunden ist. "In der wirklichen Welt wird es aber keine regelmäßigen Quanten-Netzwerke geben", sagt Sébastien Perseguers, Physiker am Garchinger Max-Planck-Institut und Erstautor der Nature-Physics-Arbeit. Daher untersuchte das Team um Ignacio Cirac ein Modell eines Quanten-Netzwerkes, bei dem die Knoten zufällig verbunden werden, etwa so wie sich bei einer Party auch zufällig Kontakte zwischen Gästen ergeben.

Herkömmliche Netzwerke dieser Art modellieren Mathematiker so, dass eine Verbindung zwischen zwei beliebig herausgegriffenen Knoten umso unwahrscheinlicher ist, je mehr Knoten das Netzwerk besitzt, was der Erfahrung entspricht, dass auf einer kleinen Party eher jeder mit jedem spricht als auf einer großen. Darüber hinaus hängt in diesen Modellen die Verbindungswahrscheinlichkeit noch von anderen Gegebenheiten als der Gesamtzahl der Knoten ab, kann also generell groß oder klein sein; im Bild der Party könnte etwa die Musik sehr laut sein, was die Kommunikation erschwert.

Innerhalb herkömmlicher Netzwerk-Modelle bilden sich kleine Inseln von miteinander verbundenen Knoten - Dreiecke, Vierecke oder Sterne; vergleichbar mit Grüppchen auf der Party. Es hängt von der Verbindungswahrscheinlichkeit ab, wie komplex die Inseln sind: bei einer kleinen Wahrscheinlichkeit treten zunächst keine Verbindungen auf, hebt man die Wahrscheinlichkeit kontinuierlich an, treten bei bestimmten Schwellenwerten Paare verbundener Knoten auf, dann Dreiecke, dann Vierecke und so weiter.

In ihrem Modell eines Quanten-Netzwerkes beobachteten die Max-Planck-Forscher ein ganz anderes Verhalten. Schon bei einer kleinen Verbindungswahrscheinlichkeit, bei der in klassischen Netzen nur Paare auftreten, entstanden im Quantennetzwerk alle Formen von Verbindungsmustern. Allerdings müssen hierfür die Verbindungen auf eine bestimmte Weise hergestellt werden. An den Knoten des Modell-Netzes platzierten die Wissenschaftler jeweils mehrere Atome. Jedes von ihnen kann eine Verbindung zu einem zweiten Atom an einem anderen Knoten aufnehmen, wodurch das Netzwerk entsteht.

Die Verbindung ist von einer besonderen Art, wie sie nur in der Quantenwelt möglich ist. Forscher nennen sie "Verschränkung". Sie verknüpft einzelne Teilchen so, dass sie nur noch als ein Ganzes zu betrachten sind und Eigenschaften eines Teilchens von jenen des Partnerteilchens abhängen. Die Verschränkung ermöglicht Quantenphänomene wie die Teleportation von Quantenzuständen oder die Quantenkryptographie.

Die Garchinger Physiker verschränkten die Atome mithilfe polarisierter Photonen, aber nur teilweise. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit wird die Verschränkung vollständig hergestellt, sobald jemand eine physikalische Operation, etwa eine Messung, an einem der Atome vornimmt. Macht man das mit allen Atomen, entsteht ein Zufalls-Netzwerk, bei denen manche Atompaare verschränkt werden, andere aber nicht. Die komplexen Verbindungsmuster entstehen nur, wenn die Operation an allen Atomen eines Knotens gleichzeitig erfolgt, statt an einzelnen Atomen nacheinander.

Perseguers hat eine qualitative Erklärung für das Phänomen parat. In der Quantenwelt überlagern sich mehrere physikalische Zustände eines Teilchens zu seinem Gesamtzustand. Ebenso überlagern sich bei der Verschränkung durch die Photonen zunächst viele Zufalls-Netzwerke, vergleichbar mit einem Stapel von Klarsichtfolien auf denen je eines davon aufgezeichnet ist. "Durch die Operationen an einzelnen Atomen eines Knotens greift man irgendeine dieser Folien heraus und erhält das ‚klassische’ Verbindungsmuster dieser Folie", sagt Perseguers. Führe man hingegen die Operation an allen Atomen gleichzeitig aus, projiziere man mehrere der Folien auf eine einzige Folie. Diese Folie ist das neue Netzwerk, das alle Verbindungen der auf sie projizierten Folien enthält. Letztlich führt eine kleine Verbindungswahrscheinlichkeit dank dieser Vereinigung vieler Möglichkeiten zu einem dichten und komplexen Netz.

"Die Designer von Quantennetzwerken können von diesem Ergebnis profitieren", ist Perseguers überzeugt. Es sei ein Rezept, dichte Zufalls-Quantenetzwerke herzustellen, die Kommunikationsmöglichkeiten nicht nur zwischen zwei, sondern zwischen drei, vier oder mehreren Teilnehmern bereitstellten. Jetzt wollen die Forscher Modelle von Quanten-Netzwerken entwerfen, die in ihrer Komplexität an Netzwerke in der Natur oder in der Gesellschaft heranreichen.

Zur Redakteursansicht