Neue Erkenntnisse bei der Hirntomografie
Wissenschaftler zeigen, dass Signale der funktionellen Hirnbildgebung Abschwächungen der Hirnaktivität abbilden
Die funktionelle Hirntomografie findet breite Anwendung bei der Erforschung der Hirnfunktion, sowohl in Hinblick auf das Verständnis der Arbeitsweise des Gehirns als auch bei der Untersuchung von Erkrankungen. In jüngerer Zeit beginnt sie auch bei der Diagnose von neurologischen und psychischen Störungen eine Rolle zu spielen sowie bei der Planung von neurochirurgischen Eingriffen. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für biologische Kybernetik in Tübingen haben in einer in Nature Neuroscience veröffentlichten Studie gezeigt, dass verminderte und im Vergleich zum Normalzustand "negative" Signale der funktionellen Hirntomografie und die Abnahme der neuronalen Aktivität miteinander in Zusammenhang stehen und dass lokale Rückgänge der neuronalen Aktivität dem negativen Antwortsignal der Bildgebung zugrunde liegen. Die Erkenntnisse der Tübinger Neurobiologen ermöglichen eine erweiterte Nutzung der funktionellen Hirntomografie.
Bei der Wahrnehmung eines Objekts sind andere Teile des Gehirns aktiv als beispielsweise beim Lösen einer Rechenaufgabe. Auch der Hirnstoffwechsel und die Versorgung des Gehirns mit Blut folgen dieser Spezifität: Wenn eine Person eine Erkennungsaufgabe ausführt, bekommen die Hirnareale, die während dieses visuellen Erkennungsprozesses spezifisch aktiv sind, mehr Blut als andere Hirnregionen. Da der Blutfluss zu momentan aktiven Hirnarealen zunimmt, steigt auch die Sauerstoffkonzentration in diesen Arealen. Dieses Prinzip ermöglicht das Studium der Gehirnaktivität in Verbindung mit einer Vielfalt von Aufgaben und Bedingungen. Man bezeichnet das als funktionelle Hirntomografie oder -bildgebung.
Die Mehrheit der Studien mit funktioneller Hirnbildgebung nutzt Techniken wie die Magnetresonanz- oder Kernspintomografie (MRI), die Positronen-Emissions-Tomografie (PET) oder die optische Bildgebung. Diese Techniken ermöglichen die Messung von räumlichen und zeitlichen Veränderungen des Blutzuflusses oder der Sauerstoffkonzentration im Gehirn. Sie messen damit quasi Sekundärsignale, nicht erfasst wird die neuronale elektrische Aktivität. Um die Signale, die wissenschaftliche Untersuchungen mit funktioneller Hirntomografie ermitteln, richtig interpretieren zu können, ist es von entscheidender Bedeutung, die Beziehung zwischen diesen Signalen und der ihnen zugrunde liegenden neuronalen Aktivität zu verstehen [1].
Neben den allgemein verzeichneten Signalsteigerungen trifft man in Studien mit funktioneller Hirnbildgebung immer wieder auch auf anhaltende Verminderungen des Blutflusses und des Blutsauerstoffgehalts im Gehirn. Diese gewissermaßen "negativen" Signale könnten das Ergebnis von vaskulären Vorgängen darstellen und unabhängig sein von lokalen Veränderungen der neuronalen Aktivität. Eine Zunahme des Blutflusses in einem Areal könnte aufgrund der insgesamt limitierten Blutmenge zu einer Abnahme des Blutflusses in anderen Arealen führen. Die Wissenschaftler bezeichnen dieses Phänomen als "Stealeffect" (engl. steal: stehlen). Stimmt dieses Szenario, dann wären diese negativen Antwortsignale als Begleiterscheinungen einzustufen. Im Gegensatz dazu könnten die negativen Antwortsignale aber auch eine Reduktion der neuronalen Aktivität widerspiegeln.
In einer unlängst in Nature Neuroscience veröffentlichten Studie haben Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für biologische Kybernetik in Tübingen den Zusammenhang zwischen dieser Verminderung des funktionellen MRI Signals und der zugrundeliegenden neuronalen Aktivität untersucht. Sie verwendeten dabei einen sensorischen Stimulus, mit dem nur Teile des Sehfeldes stimuliert werden. Die Regionen im hinteren Teil des Gehirns, die an der Verarbeitung visueller Informationen mitwirken, sind in Karten organisiert, auf denen kleine Neuronengruppen Teile des Sehfeldes repräsentieren. Stimulierten die Wissenschaftler nur einen Teil des Sehfeldes, führte das zu negativen Antwortsignalen in den Regionen, die nicht das stimulierte Stück des Sehfeldes repräsentierten.
Amir Shmuel, Mark Augath, Axel Oeltermann und Nikos Logothetis fanden heraus, dass dieses negative Antwortsignal bei der funktionellen Bildgebung tatsächlich mit einer Abschwächung der neuronalen Aktivität verknüpft ist. Sowohl in den Synapsen als auch in den Zellkörpern der lokalen Neuronen nahm die elektrische Aktivität ab. Während das Absinken der synaptischen Aktivität eine Abnahme des Inputs in die lokalen Neuronen widerspiegelt, ist es beim Absinken der Aktionspotenziale, die von den Zellkörpern produziert werden, eine Abnahme des Output-Signals. Da das Auftreten des neuronalen Aktivitätsabfalls sofort erfolgte, konnte die später auftretende Verringerung des Blutflusses nicht die Ursache dafür sein, die Abnahme der neuronalen Aktivität also keine durch einen "Stealeffect" bewirkten vaskulären Gründe haben.
Die Wissenschaftler halten es für am plausibelsten, dass ein signifikanter Teil des negativen Antwortsignals der funktionellen MRI durch die Abnahme der neuronalen Aktivität ausgelöst wird. "Die vorliegende Studie ermöglicht es den Forschern, die negativen Signale der funktionellen Hirnbildgebung zu nutzen", erklärt Nikos Logothetis, "um daraus auf Abschwächungen der Hirnaktivität in Verbindung mit bestimmten kognitiven Aufgaben oder neurologischen Erkrankungen zu schließen."