Molekulare Modulation der Signalübertragung

Göttinger Max-Planck-Forscher zeigen, wie Schlüsselproteinen die Intensität chemischer Signale zwischen Nervenzellen modifizieren können

10. Februar 2004

Dynamische Veränderungen an den Kontaktstellen zwischen Nervenzellen sind die Basis für die integrativen Leistungen unseres Gehirns, also Lernen, Gedächtnis und Denken. Doch bisher wußte man wenig darüber, auf welche Weise es die Nervenzellen schaffen, ihre Kommunikation untereinander einerseits sehr schnell ablaufen zu lassen, so dass Gedankenprozesse noch in einer tolerierbaren Zeit zu einem Ergebnis kommen, sie andererseits aber so flexibel zu gestalten, dass Signale auch unterschiedlich stark übertragen werden können. Einem Forscherteam des Max-Planck-Instituts für biophysikalische Chemie in Göttingen ist es jetzt unter der Leitung des Nobelpreisträgers Professor Erwin Neher gelungen, zwei molekulare Mechanismen aufzudecken, über die die Signalübertragung mittels chemischer Botenstoffe gesteuert wird (Neuron, 5. Februar 2004).

Der menschliche Körper besteht aus vielen Milliarden Zellen, deren Aktivität fein aufeinander abgestimmt sein muß. Dazu nutzen die Zellen eine Kombination von elektrischen und chemischen Signalen. Im Gehirn und in so gennanten neurosekretorischen Zellen sind diese Signale eng miteinander verknüpft: Verändert sich die elektrische Spannung in einer Zelle, werden chemische Botenstoffe freigesetzt, die dann von spezialisierten Rezeptorproteinen von anderen Zellen wahrgenommen werden und dort wieder elektrische Spannungsänderungen auslösen können. Allein im Gehirn passiert dieser Vorgang unzählige Mal in den Kontakstellen zwischen den Nervenzellen, den Synapsen, von denen es beim Menschen mindestens 1.000.000.000.000.000 gibt.

Wie schaffen es Synapsen, schnell und kontrolliert zu reagieren? Und wie kann ihre Kommunikation flexibel ablaufen, ohne dass die Geschwindigkeit der Signalübertragung darunter leidet? Viele Forschungsarbeiten weisen darauf hin, dass Synapsen sich einen Vorrat an Vesikeln anlegen, die mit Botenstoffen gefüllt sind. Kommt ein Nervenimpuls an der Synapse an, verschmelzen die Vesikel mit der Zellmembran. Der Botenstoff wird freigesetzt und stimuliert wiederum die Nachbarzelle. Ist diese ausreichend angeregt, wird wiederum ein Nervenimpuls ausgelöst. Dadurch überträgt sich die Erregung von einer Nervenzelle auf die andere. Ein Teil der Vesikel ist bereits vor Ankunft des Nervenimpulses ausgereift und kann deshalb so schnell mit der Zellmembran verschmelzen, dass der Botenstoff innerhalb von einem Bruchteil einer Millisekunde freigesetzt wird. Gesteuert wird diese Freisetzung durch den Anstieg der Kalzium-Konzentration in der Zelle, der durch den Nervenimpuls zustande kommt.

Protein-Phosphorylierung bringt Flexibilität in der Kommunikation
Die synaptischen Verbindungen zwischen Nervenzellen sind jedoch nicht starr, sondern aufgrund von Sinneseindrücken und gedanklichen Prozessen in ständiger Veränderung. Diese so gennanten 'plastischen' Veränderungen führen dazu, dass sich einige Nervenzellen enger miteinander verbinden, während andere sich eher voneinander entkoppeln. Auf diese Weise sind die Schaltkreise im Gehirn in ständiger Veränderung, was schließlich die Grundlage für Gedächtnis und Lernen bildet.

Wissenschaftler versuchen schon seit Jahren, die molekularen Grundlagen dieser Plastizität verstehen. Inzwischen räumt man der so genannten Phosphorylierung synaptischer Proteine eine große Bedeutung ein. Bestimmte Enzyme - die Kinasen - bauen gezielt Phosphatgruppen in die Proteine sein, so dass sich deren Eigenschaften verändern - die Proteine werden aktiviert. Andere Enzyme - die Phosphatasen - können die Phosphatgruppe wieder entfernen und die Proteine deaktivieren. Diese Phosphorylierungszyklen sind an vielen Regelungsprozessen im Körper beteiligt. Die Phosphorylierung erfolgt durch die Aktivierung von Membranrezeptoren oder als Folge einer intensiven Aktivierung einer Synapse. Die Phosphorylierung stärkt wiederum die Synapse, zum Beispiel dadurch, dass bei jeder Aktivierung mehrere Vesikel und damit eine größere Menge Botenstoffe freigesetzt wird. Doch die daran beteiligten Proteine sind bisher weitgehend unbekannt, obwohl ihnen offensichtlich eine grundlegende Bedeutung für die Funktionsweise des Gehirns zukommt.

Die Mechanik der Vesikelverschmelzung
Bevor zwei Lipidmembranen miteinander verschmelzen, muß zuvor eine erhebliche Energiebarriere überwunden werden, die u.a. dadurch zustande kommt, dass sich die negativen Ladungen auf der Oberfläche beider Membranen gegenseitig abstoßen. Untersuchungen in einer Reihe von Arbeitsgruppen haben ergeben, dass die mit Botenstoff gefüllten Vesikel mit der Zellmembran durch einen so genannten ‚SNARE‘-Komplex verbunden sind. Dieser Komplex besteht aus drei Proteinen, von denen eins, das Protein Synaptobrevin, in der Vesikelmembran, und die beiden anderen, Syntaxin und SNAP-25, in der Zellmembran verankert sind. Alle drei Proteine haben spiralförmige Bereiche (alpha-Helices), die parallell orientiert sind, so dass die Membranverankerungen auf der einen Seite des Komplexes liegen (s. Abb. 2).

Nach vorherrschender Meinung arbeiten die drei Proteine wie ein molekularer Reißverschluss: Der Komplex beginnt sich an dem Ende zu formen, dass der Membran am fernsten liegt und bildet sich weiter in Richtung Membranverankerungen aus. Auf diese Weise kommen sich die Membranen immer näher, bis sie schließlich verschmelzen. Diese Verbindung ist extrem stabil, und mit der dabei freigesetzten Energie wird die genannte Energiebarriere überwunden. Der SNARE-Komplex ist also entscheidend an der Verschmelzung von Vesikeln mit der Zellmembran beteiligt. Das betrifft nicht nur botenstoffgefüllte Vesikel. Ähnliche Proteinkomplexe sind auch an Membranverschmelzungen im Endoplasmatischen Reticulum, im Golgi-Apparat oder in den Endosomen beteiligt. Eine Besonderheit des SNARE-Komplexes liegt darin, dass er an die intrazelluläre Kalziumkonzentration gekoppelt ist. Diese Kopplung wird wahrscheinlich durch das kalziumbindenden Protein Synaptotagmin vermittelt, das ebenfalls in der Vesikelmembran verankert ist. Die Verschmelzung des Vesikels wird also so lange verzögert, bis die Kalziumkonzentration so hoch ist, dass ein Vesikel freigesetzt wird. Diese Kopplung sorgt dafür, dass sich zwischen den Aktivitätsperioden in den Nervenzellen ein Vorrat an verschmelzungsbereiten Vesikeln bildet, der bei Bedarf sehr schnell mit der Zellemembran reagieren kann.

Molekulare Grundlage für die Freisetzung von Botenstoffen
Die neuen Untersuchungen haben die Wissenschaftler um Prof. Neher an Chromaffinzellen aus dem Nebennierenmark von Rindern oder Mäusen durchgeführt, die man als modifizierte Nervenzellen betrachten kann. Chromaffinzellen erzeugen im Stresszustand das Neurohormon Adrenalin und werden, anders als ‘richtige’ Nervenzellen, als ‘neurosekretorische Zellen’ bezeichnet. Doch ihre Sekretionsmechanismen sind denen der Nervenzellen sehr ähnlich. Vor allem aber haben Chromaffinzellen den Vorteil, dass sich die beteiligten Moleküle mit molekularbiologischen Methoden manipulieren lassen und dass die Sekretion sehr genau und zeitnah gemessen werden kann.

Mit molekularbiologischen Methoden wurden die Chromaffinzellen dazu gebracht, veränderte SNAP-25 Proteinen zu erzeugen. In einer früheren Studie hatten die Wissenschaftler bereits herausgefunden, dass sich die Sekretion der Zellen nicht veränderte, wenn das normale, also nicht mutierte SNAP-25-Gen eingesetzt wurde. Dieses Ergebnis stellte also das dazu notwendige Kontrollexperiment dar. In der neuen Studie zeigte sich nun, dass SNAP-25 an einer bestimmten Stelle, der Aminosäure Threonin-138, phosphoryliert wird, wenn die Zelle entsprechend stimuliert ist. Um zu prüfen, welchen Effekt diese Phosphorylierung auf die Sekretion hat, benutzten die Wissenschaftler einen Trick: Sie ersetzten Threonin-138 entweder durch eine negativ geladene Aminosäure (Aspartat) oder durch eine neutrale, nicht phosphorylierbare Aminosäure (Alanin).

Durch diesen Einbau wurden die dynamischen Effekte der Aktivierung oder Blockade der Phosphorylierung nahezu völlig eliminiert: Damit steht fest - die Phosphorylierung von SNAP-25 spielt eine wichtige Rolle bei der Verschmelzung der Vesikel mit der Zellmembran. Zudem stellten die Wissenschaftler fest, dass SNAP-25 auch an die Größe des Vesikelvorrats regelt. So bauten die Zellen eine größere Zahl von Vesikeln auf, wenn SNAP-25 phosphoryliert ist. Dadurch wird bei Stimulation mehr Botenstoff freigegeben. Der Verschmelzungsprozess verlief in jedem Fall und unabhängig von dem Phosphorylierungszustand gleich schnell. Auf diese Weise wird also die Gesamtmenge des ausgeschütteten Botenstoffs reguliert und die Kommunikation kann flexibel gestaltet werden, ohne dass die Freisetzungsgeschwindigkeit in Mitleidenschaft gezogen wird. Da die Phosphorylierung relativ schnell, also innerhalb von Sekunden bis Minuten erfolgt, und durch Dephosphorylierung schnell wieder rückgängig gemacht werden kann, eignet sich die Protein-Phosphorylierung somit besonders gut für eine akute Regulation der Nervenzell-Kommunikation.

Mechanismen für die kurz- bzw. die langfristige Regulation
In einer früheren Studie hatten die Göttinger Wissenschaftler bereits nachgewiesen, dass SNAP-25 auch noch auf eine andere Art und Weise die Botenstoff-Sekretion regulieren kann. Die Expression aller Proteine fängt im Zellkern an, wo eine Kopie des Gens gemacht wird. Während das Gen aus der doppelsträngigen DNS (Deoxyribonucleinsäure) besteht, ist die Kopie aus einsträngiger RNS (Ribonucleinsäure) gemacht. Die RNS wird aus dem Zellkern exportiert und gelangt im Zytosol (‘Zellwasser’) zu einem Ribosom, einer "Proteinfabrik". Hier wird das Protein mit Hilfe des in der RNS kodierten Bauplans synthetisiert. Von dort wird das Protein dann zu jener Stelle transportiert, wo es benötigt wird. Manche Gene enthalten mehrere, ähnliche Pläne, die zu unterschiedlichen Proteinen führen können. Im Falle von SNAP-25 ist seit Jahren bekannt, dass ein Teil seines Gens in zwei Versionen vorkommt. Bei Expression des Gens werden zuerst beide Versionen in RNS eingebaut. Doch bevor die RNS dann aus dem Zellkern gelangt, wird die eine oder andere Version wieder ausgeschnitten - ein Prozess, den man als "RNS-Spleißen" bezeichnet. Je nachdem, welche Version im Zellkern zurückbleibt, wird in der Zelle dann nur die eine oder die andere "Isoform" des Proteins produziert, die dann zu einem jeweils unterschiedlich großen Vesikelvorrat führen: So war der Vesikelvorrat bei Expression einer der Isoformen (SNAP-25b) zwei bis drei Mal größer als bei der anderen Isoform (SNAP-25a).

Damit ergibt sich folgender neuer Befund: Zellen können sowohl durch Phophorylierung als auch durch alternatives RNS-Spleißen die Zahl ihrer bevorrateten Vesikel regulieren. Die Regulation über Spleißen wirkt jedoch eher langfristig, denn ein Protein bleibt über längere Zeit in der Zelle, ehe es wieder abgebaut wird. Es würde also Tage dauern, bis eine Isoform durch die andere ersetzt wäre. Hingegen ist die Phosphorylierung bestens für eine kurzfristige Regulation des Vesikelvorrats geeignet. Auf Grundlage dieser Erkenntnis wollen die Göttinger Wissenschaftler jetzt der Frage nachgehen, ob es Nervenzellen gibt, die vorwiegend die eine oder die andere Isoform expremieren? Sie fragen danach, unter welchen Bedingungen und zu welchem Zeitpunkt SNAP-25 phosphoryliert wird und - welche Rolle diese Prozesse für die Plastizität des Gehirns spielen?

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