Forschungsbericht 2013 - Max-Planck-Institut für Kohlenforschung

Textilorganische Katalyse: Moleküle auf Tuchfühlung

Organotextile catalysis: molecules get in touch with cloth

Autoren
James, Thomas; Lindner, Monika; Gombert, Sarah-Lena; List, Benjamin
Abteilungen
Homogene Katalyse
Zusammenfassung
Die aktuelle Forschung am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mülheim hat mit der Entdeckung einer vielfältig anwendbaren Methode, die die kovalente Immobilisierung von organischen Katalysatoren auf Textilien ermöglicht, signifikante Fortschritte in der heterogenen Organokatalyse gemacht. Dieses Verfahren resultierte in der Entwicklung von Nylontextilien, die chemische Reaktionen effizient katalysieren und mühelos für über 200 Reaktionszyklen wiederverwendet werden können.
Summary
Current research at the Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mülheim has made significant advances in heterogeneous organocatalysis which has resulted in the discovery of a widely applicable method allowing the covalent immobilisation of organic catalysts on textiles. This approach has resulted in the development of nylon textiles which efficiently catalyse chemical reactions and which can be easily recycled for over 200 reaction cycles.

Seit ihrer Entdeckung hat ein relativ junges Gebiet der chemischen Katalyse, die Organokatalyse, die moderne synthetische Chemie revolutioniert. Die Organokatalyse ermöglicht anspruchsvolle chemische Reaktionen ohne die Verwendung toxischer, kostspieliger oder umweltschädlicher Metallkatalysatoren. Katalysatoren sind eine Art molekulares Werkzeug, das chemische Reaktionen beschleunigen oder überhaupt erst ermöglichen kann.

Die Verwendbarkeit der umweltfreundlichen, günstigen Organokatalysatoren war in der Industrie bislang eher eingeschränkt. Grund dafür ist die oft geringere katalytische Aktivität und die folglich größere Menge an Katalysator, die man für eine Reaktion braucht. Auch die Schwierigkeiten bei der Rückgewinnung und der Wiederverwendbarkeit waren ein Hindernis für den Einsatz im industriellen Maßstab. Denn Organokatalysatoren ließen sich bisher meist nur in gelöster Form einsetzen und mussten anschließend sehr aufwändig von dem hergestellten Produkt und den in der Reaktion verwendeten Lösungsmitteln abgetrennt werden. Um diese Trennung zu umgehen und damit industrielle Anwendungen zu erleichtern, wurde am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung die Idee entwickelt, Organokatalysatoren auf einem festen Trägermaterial, zum Beispiel Textilfasern wie Nylon, zu binden.

Textilien sind seit Jahrtausenden ein fester Bestandteil des täglichen Lebens der Menschheit. Die Entwicklung einer Vielzahl moderner funktionaler Textilprodukte mit unterschiedlichen makroskopischen Eigenschaften ermöglichte beispielsweise die Herstellung von Löschdecken, wasserabweisenden Jacken und „intelligenter“ Kleidung. Auch atmungsaktive Schuhe oder besonders wärmende Wäsche sind längst etabliert. Die mikroskopische Modifizierung von Textilien, insbesondere ihre Anwendung in der Katalyse, wurde bislang jedoch kaum erforscht. Zu Beginn der Forschung zu Organotextilien war keine katalytische Anwendung auf Textilien immobilisierter, organischer Katalysatoren bekannt.

Zur Fixierung wurde der mit einem Katalysator versetzte Nylonstoff einige Minuten lang mit UV-Licht bestrahlt. Durch diese photochemische Anregung der mikroskopischen Oberflächenstruktur gelang es, kovalente Bindungen zwischen den kleinen organischen Molekülen des Katalysators und der Textilienoberfläche zu erzeugen (Abb. 1).

Immobilisierte Katalysatoren

Um eine selektive Immobilisierung der Organokatalysatoren auf der Textilienoberfläche zu gewährleisten, müssen spezielle chemische „Anker“ in der Katalysatorstruktur vorhanden sein. Es stellte sich heraus, dass ungesättigte Kohlenwasserstoffketten eine optimale Katalysatorbeladung auf geeigneten quervernetzten Materialien (PETA) ermöglichten.

Einige etablierte Organokatalysatoren wurden daraufhin modifiziert, um eben diese chemischen Anker einzubauen, ohne das katalytische Verhalten und damit diese so wichtige Eigenschaft signifikant zu verändern. Nylonstreifen wurden mit diesen modifizierten Katalysatoren versetzt, um so die funktionalisierten Organotextilien herzustellen (Abb. 2).

Die katalytischen Eigenschaften der Textilien wurden anschließend in mehreren Beispielreaktionen untersucht. Die Ausbeute der chemischen Reaktionen, die mit den beladenen Nylonstreifen durchgeführt wurden, kann sich sehen lassen: Die Katalysatoren setzten die Ausgangsstoffe zu rund 90 Prozent zu den gewünschten Produkten um.

Asymmetrische textilorganische Katalyse

Eine weitere Herausforderung dieses Forschungsprojekts ist die asymmetrische Synthese, also die Möglichkeit selektiv ein spiegelbildliches Molekül und somit ein Enantiomer im Überschuss zu erzeugen. Dazu wurde ein Katalysator eingesetzt, der sowohl eine basische als auch eine Säure-Funktionalität hat. Cinchona-Alkaloide sind weitverbreitete Katalysatoren in der asymmetrischen Organokatalyse. Sie dienen beispielsweise in der pharmazeutischen Industrie dazu, eine Reaktion zu einem von zwei Produkten zu lenken, die chemisch völlig identisch sind. Die beiden Formen (= Enantiomere) sind allerdings wie linke und rechte Hand spiegelbildlich gebaut, wobei nur eine Variante die gewünschte medizinische Wirkung zeigt.

Die Alkaloide beinhalten von Natur aus eine olefinische funktionelle Gruppe in ihrer Molekülstruktur. Diese Gruppe könnte als Anker für die Immobilisierung auf den Textilien verwendet werden und würde das Alkaloid so potentiell für asymmetrische textilorganische Katalysen nutzbar machen. Es stellte sich heraus, dass das Cinchona-Alkaloid 3, ein Chinin-Derivat, mühelos auf einer Polyamidoberfläche, also auf dem bereits erwähnten Nylon, durch die oben beschriebene Methode immobilisiert werden kann (Abb. 3).

Das erzeugte Organotextil OrganoTexCat-3 erwies sich als hocheffizienter Katalysator für die Durchführung von asymmetrischen Reaktionen. Die Umsetzung von symmetrischen Anhydriden mit Methanol in Anwesenheit von OrganoTexCat-3 führte zu hohen Ausbeuten von mehr als 95 Prozent und enantiomeren-angereicherten Halbestern, die in Medikamentsynthesen verwendet werden. Bei hunderten Versuchen zeigte der Katalysator kaum Verschleißerscheinungen.

Die größte Herausforderung bei der Verwendung organokatalytischer Methoden im industriellen Maßstab ist, wie eingangs erwähnt, die Rückgewinnung und Wiederverwendbarkeit der Katalysatoren. Auch dieses Problem wurde untersucht. Hierzu wurde eine Langzeitstudie zur asymmetrischen Öffnung zyklischer Anhydride durchgeführt (Abb. 4). OrganoTexCat-3 zeigte eine hohe Robustheit und Wiederverwendungsrate, das optisch angereicherte Produkt konnte in exzellenten Ausbeuten in mehr als 250 Reaktionszyklen generiert werden. Die einzige Isolierung und Aufreinigung des Katalysators bestand in einer simplen Filtration und aus einem Vorgang, der bei den meisten Textilien notwendig ist: Waschen.


Gegenüber anderen Möglichkeiten, Katalysatoren zu fixieren, kann die „textilorganische Katalyse“ [1] mit einigen Vorteilen aufwarten: Vor allem bieten Textilien den Reaktionspartnern eine größere Oberfläche als andere Trägermaterialien wie etwa Kunststoffkugeln oder -folien. Und je größer die Oberfläche, desto effizienter verläuft eine Reaktion. Zudem ist Nylon flexibel und sehr preiswert. Trockene, mit Katalysatoren beladene Stoffe lassen sich leicht transportieren, sodass sich die Voraussetzungen für manche chemische Prozesse leichter dort schaffen lassen, wo sich kaum anspruchsvolle chemische Anlagen errichten lassen. So könnte die textilorganische Katalyse etwa helfen, Wasser dort aufzuarbeiten, wo Menschen von der Wasserversorgung abgeschnitten sind.

Literaturhinweise

Lee, J.-W.; Mayer-Gall, T.; Opwis, K.; Song, C. E.; Gutmann, J. S.; List B.
Organotextile Catalysis
Science 341 (6151), 1225-1229 (2013)
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