Forschungsbericht 2007 - Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie

Selbst-Toleranz in menschlichen B-Zellen

Self-Tolerance in human B cells

Autoren
Wardemann, Hedda
Abteilungen

Molekulare Immunologie (Wardemann) (Dr. Hedda Wardemann)
MPI für Infektionsbiologie, Berlin

Zusammenfassung
Somatische Rekombination und Mutation bilden die Vielfalt des Immunglobulin (Ig) Repertoires. Beide Mechanismen generieren Ig, die Fremd-Antigene erkennen, und Ig, die körpereigene Antigene binden. Die Frequenz, mit der letztere Ig gebildet und wo und wann sie zur Vermeidung von Autoimmunität kontrolliert werden, ist unklar. Die Herstellung monoklonaler Antikörper aus einzeln humanen B-Zellen hilft, diese Fragen zu beantworten.
Summary
Somatic recombination and somatic hypermutation generate the diversity of the immunoglobulin (Ig) repertoire. Both mechanisms form Ig that recognize foreign antigens and also Ig that react with self-antigens. The frequency at which autoreactive Ig are made and where and when they are regulated to avoid autoimmunity is unclear. The generation of recombinant monoclonal antibodies from single isolated human B cells helps to answer these questions.

Einführung

Charakteristische Merkmale des adaptiven Immunsystems sind die hohe Spezifität, mit der eindringende Pathogene über Oberflächen-Rezeptoren erkannt werden, und die Bildung eines immunologischen Gedächtnisses. B-Zellen sind Lymphozyten und damit Teil des adaptiven Immunsystems. Die Abwehrfunktion von B-Zellen beruht auf der Bildung hochspezifischer Antigen-Rezeptoren (Immunglobuline, Ig). Lösliche Ig, die ins Blut gelangen, werden als Antikörper bezeichnet. Sie sind die Effektormoleküle der humoralen Immunantwort, binden an Pathogene und bewirken, dass diese unschädlich gemacht werden. Gleichzeitig induzieren Infektionen die Bildung von B-Gedächtniszellen, die ohne Antikörper zu sezernieren lange Jahre ruhend im Körper verbleiben und in Folge einer wiederholten Infektion mit dem gleichen Erreger schnell hochspezifische Antikörper ausschütten können.

B-Zellen nutzen zwei Mechanismen, um der enormen Vielfalt an möglichen Krankheitserregern, denen wir permanent ausgesetzt sind, eine quasi ebenso große Vielfalt an spezifischen Antigen-Rezeptoren entgegenzusetzen: i.) die somatische Rekombination kleiner Ig-Genstücke, aus denen funktionale Ig-Gene zunächst während der frühen B-Zell Entwicklung zusammengebaut werden müssen, und ii.) die somatische Mutation bereits funktional rekombinierter Ig-Gene nach der B-Zell-Aktivierung durch Antigen-Kontakt in den sekundären lymphatischen Organen.

Somatische Rekomination und Selbst-Toleranz in naiven B-Zellen

Während des gesamten Lebens gehen B-Zellen aus hämatopoetischen Stammzellen des Knochenmarks hervor. Voraussetzung, das Knochenmark zu verlassen, ist die Expression funktionaler Ig als Teil des B-Zell Antigen-Rezeptors auf der Zelloberfläche. Ig sind Heterodimere aus je zwei identischen schweren (heavy, IgH) und leichten (light, IgL) Ketten, die jeweils von eigenen Genen kodiert sind. Die Bildung der Ig-Gene aus einer großen Anzahl von verschiedenen Variable (V), Diversity (D) und Joining (J) Gensegmenten im Knochenmark ist ein zufälliger Prozess, bei dem jeweils ein VH-, DH- und JH-Element für das IgH-Ketten-Gen und ein VL und JL für das IgL Ketten- Gen zusammengefügt werden. Der Verknüpfungsprozess ist nicht präzise und kann zum Verlust von Nukleotiden an den Verknüpfungsstellen führen, während gleichzeitig zur weiteren Erhöhung der Rekombinantionsvielfalt Nukleotide hinzugefügt werden. Zusammen mit der zufälligen Kombination der IgH- und IgL-Ketten entsteht durch somatische Rekombination ein Antikörper-Repertoire, das in seiner Diversität nur durch die Anzahl der B-Zellen limitiert ist. In anderen Worten: Jede B-Zelle, die neu entsteht, exprimiert ein einzigartiges Ig. Da das Zufallsprinzip ein wesentliches Merkmal des somatischen Ig-Gen-Rekombinationsprozesses ist, bedeutet dies, dass auch die Antigen- Spezifität jeder neu entstehenden B-Zelle ein Zufallsprodukt darstellt und damit nicht vorhersehbar ist. Hierin besteht während einer Infektion ein Vorteil: Unsere B-Zellen sind quasi gegen alle Erreger, denen wir ausgesetzt sind, gewappnet. Andererseits wirft es aber die Frage auf, wieso die B-Zellen unter normalen Umständen nur auf von außen eindringende Fremd-Antigene mit einer Abwehrreaktion reagieren, nicht jedoch auf alle unsere körpereigenen, sozusagen Selbst-Antigene.

Die grundlegende Frage, wie das Immunsystem Selbst von Fremd unterscheidet, bewegt die Wissenschaft schon seit der Zeit Paul Ehrlichs, der postulierte, dass es Mechanismen geben muss, die die Zerstörung des eigenen Körpers (Horror autotoxicus) verhindern und gleichzeitig einen effektiven Schutz gegen Fremd erlauben. Mithilfe gentechnisch veränderter Mäuse, deren neu entstehende B-Zellen alle ein identisches Ig mit einer gegen ein Selbst-Antigen gerichteten Spezifität exprimieren, konnten die Selbst-Toleranz-Mechanismen, die solche autoreaktiven B-Zellen regulieren, vor mehr als 20 Jahren entschlüsselt werden. Heute wissen wir, dass Defekte der Selbst-Toleranz die Ursache für die Entstehung von Autoimmunerkrankungen wie Rheumatoider Arthritis, Multipler Sklerose oder Myasthenia Gravis sind. Unbekannt blieb jedoch lange Zeit, wie viele der neu entstehenden B-Zellen unter normalen Umständen Selbst-Antigene erkennen und wie und wo diese Zellen während der B-Zellentwicklung der Selbst-Toleranz-Regulation unterliegen.

Um zu messen, wie viele der neu entstehenden B-Zellen in gesunden Menschen autoreaktive Ig exprimieren, wurde eine Methodik entwickelt, mit der es möglich ist, einzelne B-Zellen in bestimmten Stadien ihrer Entwicklung zu isolieren, ihre jeweiligen IgH- und IgL-Gene zu klonieren und darüber die Antikörper rekombinant in vitro herzustellen (Abb. 1; [1]). Diese Methodik bietet den Vorteil, dass komplette Gen-Sequenzinformationen der Ig aus jeder analysierten B-Zelle zur Verfügung stehen und die Antikörper nach der Klonierung in unlimitierter Menge in Zellkultur produziert werden können. Auf diese Weise können die Antikörper in vielen Tests genau untersucht werden, zum Beispiel, um Rückschlüsse auf die mögliche Autoreaktivität der B-Zelle, aus der die jeweiligen Ig-Gene kloniert wurden, ziehen zu können [1]. Über die Herstellung solcher rekombinanter monoklonaler Antikörper aus vielen einzeln isolierten B-Zellen und der Bestimmung ihrer Antigen-Spezifität lassen sich dann Aussagen über die Frequenz autoreaktiver B-Zellen in definierten B-Zell-Populationen, beispielsweise des Knochenmarks oder des Bluts, machen (Abb. 1; [2]).

Mithilfe dieser Methode konnte gezeigt werden, dass mehr als die Hälfte der neu entstehenden B-Zellen im Knochenmark zunächst ein autoreaktives Ig exprimieren. Zum Schutz des Körpers vor diesen potenziell gefährlichen autoreaktiven B-Zellen müssen alle Zellen, die das Knochenmark verlassen wollen, zuerst einen Selbst-Toleranz-Kontrollpunkt passieren. Die Analyse der monoklonalen Antikörper zeigte, dass an diesem ersten Kontrollpunkt die Mehrzahl insbesondere der stark autoreaktiven B-Zellen aussortiert wird (Abb. 2; [3]). Diese Zellen bekommen danach die Chance, durch erneute somatische Rekombination ihrer Ig-Gene einen neuen Antigen-Rezeptor herzustellen. Ein Merkmal der Selbst-Toleranz- Kontrolle im Knochenmark ist, dass sie einerseits sehr effizient B-Zellen filtert, die Antigen-Rezeptoren erkennen, welche unspezifisch an strukturell verschiedene Antigene binden und schon daher Selbst nicht von Fremd unterscheiden können, sowie andererseits B-Zellen kontrolliert, die Zellkern-Selbstantigene erkennen [3]. Serum Antikörper gegen Zellkern-Selbstantigene sind ein charakteristisches Merkmal einer Vielzahl von Autoimmunerkrankungen. Der strengen Regulation, der Zellkern-reaktive B-Zellen im Knochenmark unterliegen, könnte deshalb zur Vermeidung von Autoimmunerkrankungen eine besondere Bedeutung zukommen. Trotz der Kontrolle im Knochenmark exprimieren noch circa 40 % der B-Zellen, die das Knochenmark über das Blut verlassen haben, autoreaktive Ig (Abb. 2). Erst an einem zweiten Kontrollpunkt werden weitere autoreaktive B-Zellen aussortiert, sodass aber immer noch 20 % der reifen Blut-B-Zellen, die bereit sind, an einer Immunantwort teilzunehmen, Selbstantigene erkennen.

Somatische Mutationen und Selbst-Toleranz in B-Gedächtniszellen

Die Vielfalt des Ig-Repertoires, welches durch V(D)J-Rekombination gebildet wird, ermöglicht die Erkennung einer großen Anzahl verschiedener Antigene. Das bedeutet jedoch nicht, dass jedes Ig, das spezifisch ein Antigen erkennt, auch hoch affin daran bindet und eine effiziente Immunantwort vermitteln kann. Um die Affinität der Antikörper zu erhöhen, benutzen B-Zellen einen Mechanismus, der zufällig Punktmutationen in die IgH- und IgL-Gene einfügt. Dieser als somatische Hypermutation bezeichnete Prozess findet in Antigen aktivierten B-Zellen innerhalb der Keimzentren der sekundären lymphatischen Organe statt. Gleichzeit findet in dieser Umgebung auch der Ig-Klassenwechsel von IgM zu IgG statt. Die Zufälligkeit, mit der die Mutationen eingefügt werden, ermöglicht keine Vorhersagen darüber, ob die Antigenbindung verbessert wird. Das heißt, es können sowohl Ig mit erhöhter als auch mit niedrigerer Antigenaffinität entstehen, oder sogar Ig, die plötzlich Selbst- statt Fremdantigene erkennen. Daher werden alle B-Zellen mit mutierten Ig erneut auf Antigenbindung getestet. Nur B-Zellen, die die Affinitätsreifung erfolgreich durchlaufen und Ig mit verbesserter Antigen-Bindung exprimieren, werden selektioniert und können sich zu B-Gedächtniszellen und Antikörper sezernierenden Plasmazellen.entwickeln. Da B-Gedächtniszellen unter normalen Umständen, das heißt in gesunden Menschen als Antwort auf Infektionen, gebildet werden, sollten sie spezifisch und hoch affin Fremdantigene, aber keine Selbstantigene erkennen. Die Analyse rekombinanter monoklonaler Antikörper aus einzelnen IgM+ B-Gedächtniszellen gesunder Menschen hat diese Erwartung bestätigt. Nur 2 % der Zellen zeigten ein niedriges Maß an Autoreaktivität (Abb. 2; [4]). Überraschend zeigten jedoch über 40 % der Antikörper von IgG+ Gedächtniszellen gesunder Spender Selbstantigen-Bindung. Darunter befanden sich unter anderem Antikörper, die ähnlich wie Autoantikörper aus Patienten mit Autoimmunerkrankungen Zellkern-Selbstantigene erkannten [5]. Die Bedeutung der autoreaktiven IgG+ Gedächtniszellen ist unklar, und obwohl sie offensichtlich nicht autoaggressiv sind, zeigen die Daten, dass Autoreaktivität ein wesentlicher Bestandteil des Ig-Repertoires in gesunden Menschen ist. Die Beobachtungen legen den Schluss nahe, dass Defekte in der Kontrolle solcher Zellen zur Entstehung von Autoimmunkrankheiten beitragen könnten [2].

Die Analyse der gesunden Spender bildet die Grundlage für weitere Arbeiten zur Bestimmung der Frequenz und zur Charakterisierung von autoreaktiven B-Zellen in Patienten mit Autoimmunerkrankungen und hilft zu verstehen, an welchem Kontrollpunkt die Selbst-Toleranzmechanismen in den Patienten durchbrochen sind.

Originalveröffentlichungen

T. Tiller, E. Meffre, S. Yurasov, M. Tsuiji, M. C. Nussenzweig, H. Wardemann:
Efficient generation of monoclonal antibodies from single human B cells by single cell RT-PCR and expression vector cloning.
Journal of Immunological Methods 329, 112-124 (2008).
H. Wardemann, M. C. Nussenzweig:
B cell self-tolerance in humans.
Advances in Immunology 95, 83-110 (2007).
H. Wardemann, S. Yurasov, A. Schaefer, J. W. Young, E. Meffre, M. C. Nussenzweig:
Predominant autoantibody production by early human B cell precursors.
Science 301, 1374-1377 (2003).
M. Tsuiji, S. Yurasov, K. Velinzon, S. Thomas, M. C. Nussenzweig, H. Wardemann:
A checkpoint for autoreactivity in human IgM+ memory B cell development.
The Journal of Experimental Medicine 203, 393-400 (2006).
T. Tiller, M. Tsuiji, S. Yurasov, K. Velinzon, M. C. Nussenzweig, H. Wardemann:
Autoreactivity in human IgG+ memory B cells.
Immunity 26, 205-213 (2007).
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