Forschungsbericht 2003 - Max-Planck-Arbeitsgruppen für strukturelle Molekularbiologie am DESY

Struktur der Ribosomen

Structure of the Ribosomes

Autoren
Schlünzen, Frank; Harms, Jörg M.; Yonath, Ada
Abteilungen

Ribosomenstruktur
MP Arbeitsgruppen für strukturelle Molekularbiologie am DESY, Hamburg

Zusammenfassung
Die Interpretation des genetischen Codes und die entsprechende Produktion funktioneller Proteine ist die primäre Aufgabe der Ribosomen. Kristallographische Untersuchungen bestimmen die spezifischen Wechselwirkungen zwischen den Substraten und dem Ribosom. Sie zeigen, dass Ribosomen nicht aktiv die Bildung der Peptidbindung katalysieren, sondern durch eine präzise Positionierung der Substrate eine thermodynamisch günstige Reaktion beschleunigen. Wesentlich für diesen Mechanismus ist die interne Symmetrie des katalytischen Zentrums, die präzise die Symmetrie der Substrate reflektiert. Seine Universalität macht das Ribosom gleichzeitig zu einem bevorzugten Angriffspunkt eines weiten Spektrums verschiedener Antibiotika. Jene Antibiotika, die die große ribosomale Untereinheit angreifen, binden fast ohne Ausnahme in derselben Region: direkt im katalytischen Zentrum oder am Eingang des ribosomalen Tunnels, durch den alle produzierten Polypeptidketten hindurch geleitet werden. Die neuesten Untersuchungen solcher Ribosom-Antibiotika-Komplexe befassen sich mit einer außerordentlich wirksamen Kombination zweier Streptogramine, die auf synergistische Weise beide neuralgischen Punkte angreifen und eine stabile Veränderung des Ribosoms verursachen. Die Untersuchungen der spezifischen Wechselwirkungen zwischen Antibiotika und Ribosomen unterstützen und beschleunigen die Entwicklung dringend benötigter, neuer Wirkstoffe.
Summary
The interpretation of the genetic code and formation of functional proteins is performed by the ribosome. Structural studies of both ribosomal subunits revealed the specific interactions between the ribosome and its substrates. The results show, that ribosomes do not actively catalyse peptid bond formation, but rather position the substrate accurately, which facilitates and accelerates a thermodynamically favored reaction. Crucial for this mechanism is the internal symmetry within the catalytic core, which precisely reflects the symmetry of the substrates. Its universality makes the ribosome an attractive target for a large number of structurally diverse antibiotics. Almost all antibiotics targeting the large ribosomal subunit, bind in the same region: either directly in the peptidyl transferase center directly inhibiting peptide bond formation; or at the entrance of the ribosomal tunnel inhibiting elongation of the nascent protein. The most recent studies of such ribosome-antibiotic complexes revealed the inhibitory mechanism of two streptogramins. These compounds attack both sites simultaneously and in a synergistic manner, which induces a rather stable alteration of the peptidyl transferase center. The detailed knowledge of the specific interactions between different classes of antibiotics and the ribosome might facilitate and accelerate the development of urgently desired new drugs.

Der genetische Code ist auf den ersten Blick nur eine Abfolge von vier unterschiedlichen Nukleinsäure-Bausteinen. Jeweils drei dieser Nukleotide (ein Codon) kodieren eine Aminosäure. Die Übersetzung des genetischen Codes und die Verknüpfung der einzelnen Aminosäuren zu einer Proteinkette wird durch eine universelle Zellorganelle, das Ribosom, geleistet - und zwar in atemberaubender Geschwindigkeit und mit einer sehr geringen Fehlerrate. Dieser Prozess der Protein-Biosynthese ist außerordentlich komplex und erfordert eine Vielzahl verschiedener Co-Faktoren, die einzelne Schritte der Proteinsynthese regulieren.

Das Ribosom besteht aus zwei verschiedenen Untereinheiten, die jeweils eigene Funktionen im Rahmen der Protein-Biosynthese erfüllen. Die kleine Untereinheit (30S in Prokaryonten, bestehend aus der 16S-rRNA und 20 ribosomalen Proteinen) ist für die Interpretation des genetischen Codes verantwortlich. Die große Untereinheit (50S in Prokaryonten, bestehend aus 5S-rRNA, 23S-rRNA und 33 ribosomalen Proteinen) fügt die einzelnen Aminosäuren dem Bauplan entsprechend zu einer langen Peptid-Kette zusammen; als Transporter fungiert die so genannte transfer-RNA (tRNA). Die zentrale Rolle des Ribosoms in der Protein-Biosynthese macht dieses Zellorganell zugleich zum primären Angriffspunkt (Target) vieler Antibiotika.

Basierend auf den strukturellen Untersuchungen der 50S-ribosomalen Untereinheit von Deinococcus radiodurans (D50S) konnten in den vergangenen Jahren einige wichtige Mechanismen der ribosomalen Proteinsynthese erfolgreich charakterisiert werden. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um drei eng miteinander verbundene Themenbereiche: die Katalyse der Peptid-Bindung durch die 50S-Untereinheit; Regelmechanismen innerhalb des ribosomalen Tunnels; die Wirkungsweise von Antibiotika, die an der 50S-Untereinheit angreifen.

Katalyse der Peptid-Bindung

Der primäre Mechanismus des Ribosoms - die Bildung der Peptid-Bindung aufeinander folgender Aminosäuren - erfolgt im Peptidyl-Transferase-Zentrum (PTC) der 50S-Untereinheit. Das PTC ist ausschließlich aus 23S-rRNA-Nukleotiden aufgebaut. Dieser Bereich des Ribosoms ist phylogenetisch konserviert, das heißt alle Organismen weisen im Wesentlichen dieselbe Struktur des katalytischen Zentrums auf. Strukturelle Untersuchungen an bakteriellen Ribosomen geben daher nicht nur Aufschluss über die ribosomale Proteinsynthese von Mikroorganismen, sondern lassen sich direkt auf höhere Organismen bis hin zum Menschen übertragen.

Der Aufbau des PTC ergibt sich direkt aus der 50S-Struktur von Deinococcus radiodurans [1]. Der präzise katalytische Mechanismus war jedoch spekulativ und verschiedene, widersprüchliche Vorschläge über den Ablauf der enzymatischen Reaktion wurden in den vergangenen zwei Jahren publiziert. Um einen besseren Einblick zu erhalten, haben Frank Schlünzen, Jörg M. Harms und Ada Jonath Komplexe mit unterschiedlichen PTC-Substraten strukturell untersucht. Es hat sich gezeigt, dass die Wahl des Substrates entscheidenden Einfluss auf die Wechselwirkungen mit dem Ribosom hat. Nur solche Substrate, die ausreichend strukturelle Ähnlichkeit mit der transfer-RNA (tRNA) haben, binden in produktiver Weise. So weisen sehr kleine Substrate eine falsche, unproduktive Orientierung auf. Anhand dieser Untersuchungen konnte die Arbeitsgruppe zeigen, dass die primäre Funktion der 50S-Untereinheit in der korrekten Positionierung der Substrate und nicht so sehr in einer aktiven Katalyse liegt [2,3,4].

Als wesentliches Element erwies sich dabei eine ausgedehnte symmetrische Region innerhalb der 50S-Untereinheit, die zwei tRNA-Bindungsstellen strukturell miteinander verknüpft [4,5]. Die Bestimmung der Symmetrie war nur anhand der Bindung des Substratanalogs möglich, da andere Substrate die Symmetrie nicht erfüllen, was wiederum ein Indiz für die Bedeutung des Aufbaus des Substrates ist. Dafür spricht auch die universelle Konservierung des 3’-Endes aller tRNA-Moleküle sowie praktisch aller symmetrischen 23S-rRNA-Nukleotide.

Regelmechanismen im ribosomalen Tunnel

Die Wissenschaftler gingen lange davon aus, dass der ribosomale Tunnel ein statisches Element innerhalb des Ribosoms darstellt und sich primär durch ein Fehlen spezifischer Wechselwirkung mit dem entstehenden Protein auszeichnet. Dieser Tunnel durchläuft fast die gesamte 50S-Untereinheit und schützt das neu erzeugte, wachsende Protein vor vorzeitigem Abbau. In neueren Untersuchungen konnte die Arbeitsgruppe "Ribosomenstruktur" zeigen, dass die Produktion spezifischer Protein-Sequenzen innerhalb des Tunnels reguliert wird. Die Versuche an einem Makrolid-Antibiotikum, Troleandomycin, eröffnen neue Einblicke in den regulativen Charakter des ribosomalen Tunnels [6]. Troleandomycin induziert eine Konformationsänderung im phylogenetisch konservierten Bereich des ribosomalen Proteins L22. Diese Konformationsänderung führt zu einer Beschränkung des Durchgangs durch den ribosomalen Tunnel. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Regulierung von Proteinen wie SecM (Secretory Monitoring Protein M) durch genau diesen Mechanismus erfolgt. Aktuelle kristallographische Untersuchungen an ribosomalen Komplexen, die zum einen den Trigger-Faktor, zum anderen kurze, innerhalb des ribosomalen Tunnels gebundene Peptid-Ketten enthalten, scheinen diese Annahme zu unterstützen.

Wirkungsweise verschiedener Antibiotika

Wie erwähnt, konnten die Wissenschaftler am DESY die Strukturen einer Vielzahl verschiedener D50S-Antibiotika-Komplexe aufklären, herausragend dabei die Struktur von D50S mit 3 verschiedenen Makroliden, Chloramphenicol und Clindamycin [7]. Die Makrolide binden am Eingang des ribosomalen Tunnels. Da sie nicht direkt im PTC wirken, kann das Ribosom auch in der Anwesenheit der Makrolide noch eine Anzahl von Peptid-Bindungen erzeugen, also ein Protein-Fragment von 3-7 Aminosäuren, bevor die Biosynthese zum Erliegen kommt. Die Bindungsstellen der Makrolide unterliegen einigen Variationen. Es zeigt sich, dass die hydrophoben Wechselwirkungen die Bindungsstelle bestimmen, die verschiedenen funktionellen Gruppen der Makrolide die präzise Orientierung. So sind zum Beispiel Azalide und Ketolide semi-synthetische Varianten des Erythromycin, die wesentliche Modifikationen aufweisen. Das Einfügen von Azo- oder Keto-Gruppen in den Lacton-Ring führt zu einer Veränderung der Kontakte mit dem Ribosom. Obwohl die Position der wichtigsten funktionellen Gruppe, des Desosamine-Zuckers, praktisch unverändert bleibt, wird die Konformation und Orientierung der Antibiotika vergleichsweise stark beeinflusst. Im Falle von Azithromycin wurden sogar zwei Bindungsstellen gefunden, was die Forscher bis zu dem Zeitpunkt aufgrund biochemischer Daten nicht erwartet hatten. Die zweite Bindungsstelle basiert stark auf der Wechselwirkung zwischen den beiden Molekülen, induziert durch die Azo-Gruppe.

Die in Zusammenarbeit mit der Firma Enanta untersuchten Makrolide (EP1112,1304,1350,12398) weisen im Vergleich zu anderen Makroliden - mit Ausnahme von Azithromycin - eine Besonderheit auf: es finden sich mehrere Bindungsstellen innerhalb des ribosomalen Tunnels. Dies bestätigt zum einen die unerwarteten Ergebnisse in Bezug auf Azithromycin und ist zum anderen im Einklang mit neueren pharmakokinetischen und magnetresonanz-spektroskopischen (NMR) Untersuchungen. Auf der Basis der strukturellen Analysen entwickelten die Forscher Vorschläge für neue Antibiotika, deren Realisation zurzeit untersucht wird.

Strukturelle Untersuchungen an Ribosomen aus Deinococcus radiodurans und Haloarcula marismortui haben inzwischen die Wirkungsweisen praktisch aller Antibiotika, die die 50S-Untereinheit angreifen, aufgeklärt. Die neueste dieser Untersuchungen befasst sich mit der einzigartigen synergistischen Wirkung der Streptogramine [8]. Streptogramine bestehen genau genommen aus zwei chemisch nicht verwandten Komponenten, die üblicherweise als Streptogramin A und B bezeichnet werden. Beide Komponenten werden von Streptomyces-Bakterien produziert. So wurde Pristinamycin bereits vor rund 40 Jahren als Stoffwechselprodukt von Pristinae spiralis isoliert. Die Besonderheit der Streptogramine, bisweilen auch als Synergimycine bezeichnet, ist ihre synergistische Wirkung: Die beiden Komponenten können wechselseitig ihre Wirkung potenzieren und sind dadurch sogar in der Lage, weitgehend resistente Erreger zu eliminieren. Die potentesten Vertreter der Streptogramine sind Dalfopristin und Quinupristin, halbsynthetische Derivate der Pristinamycine. In einer 30:70-Mischung stehen sie seit einigen Jahren unter dem Handelsnamen Synercid® zur Verfügung. Aufgrund der synergistischen Wirkung durchbricht Synercid® die zunehmende Resistenz von Enterococcus faecium gegen das Reserveantibiotikum Vancomycin. Ebenso ist es indiziert bei schweren Staphylokokken-Infektionen (einschließlich Methicillin-Resistenz).

Bemerkenswert ist zunächst, dass es eine enge Wechselwirkung zwischen den beiden Molekülen gibt. Diese Wechselwirkung ist primär für die synergistische Wirkung der Antibiotika verantwortlich, denn um beide Antibiotika gleichzeitig an die 50S-Untereinheit zu binden, muss eine rRNA-Base (A2045) eine ganz spezifische Konformation einnehmen. Da beide Moleküle von dieser vergleichsweise kleinen Änderung der rRNA-Struktur profitieren, erhöhen sie auch wechselseitig ihre Affinität. Die Aktivitäten der beiden Moleküle ergänzen sich aber auch in ihren Angriffspunkten. Quinupristin (die Streptogramin-B-Komponente) bindet in ähnlicher Weise wie die Makrolide im Tunnel der 50S-Untereinheit, so dass ein Ribosom nur sehr kurze Polypeptidketten erzeugen könnte. Dalfopristin (die Streptogramin-A-Komponente) verhindert sogar dieses, denn es bindet direkt im Peptidyl-Transferase-Zentrum, sodass tRNA-Moleküle, die die Aminosäuren anliefern, nicht produktiv binden können. Von besonderer Bedeutung ist aber eine weitere Änderung der rRNA-Struktur, die in erster Linie von Dalfopristin verursacht wird. Eine rRNA-Base (U2585) wird unter der Wirkung der Antibiotika um 180 Grad geklappt. Es ist gerade diese Base, die für die Aktivität des Ribosoms bei der Bildung der Peptidkette von herausragender Bedeutung ist. Durch die induzierte Änderung kann die Base nicht mehr aktiv am Geschehen teilnehmen und hinterlässt ein inaktives Ribosom. Die Inaktivierung des Ribosoms ist sogar dann noch von Dauer, wenn das Streptogramin A schon nicht mehr gebunden ist. Abbildung 1 zeigt die beiden Streptogramine in ihrer lokalen Bindungstasche.

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