Forschungsbericht 2009 - Bibliotheca Hertziana - Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte
Hitler in Rom 1938
Hitler in Rome, 1938
Vom 3. bis 9. Mai 1938 besuchte Adolf Hitler den Duce des italienischen Faschismus Benito Mussolini in Italien. Es handelte sich hierbei um den einzigen offiziellen Staatsbesuch, den der Führer und Reichskanzler während seiner Herrschaft antrat, daher hatte der Aufenthalt eine außerordentlich hohe symbolische Bedeutung. Tatsächlich waren keinerlei diplomatische Verhandlungen vorgesehen, allein die Eintracht und Verbrüderung der beiden totalitären Systeme, die sich innerhalb der Weltpolitik zunehmend isoliert sahen, sollten demonstrativ zur Schau gestellt werden. Entsprechend umfangreich kamen visuelle Medien zum Einsatz. Hatte Hitler bereits im Vorjahr Mussolini durch einen mehrtägigen Empfang im Reich geehrt, so oblag es nun dem Duce, seinem Verbündeten sowie dem italienischen und deutschen Volk die Errungenschaften, Traditionen und das Selbstverständnis seines faschistischen Imperiums vorzustellen, das er nach dem siegreichen Feldzug gegen Abessinien (3. Oktober 1935–9. Mai 1936) ausgerufen hatte. Wie noch nie zuvor wurde der Besuch in Text, Bild und Film dokumentiert. Fast zeitgleich konnte die gesamte Welt das Geschehen verfolgen.
Die kunstwissenschaftliche Analyse der Bilder, die dem Gast, den Delegationen und den Zuschauern vor Ort präsentiert wurden, bietet neue Erkenntnisse zum Selbstverständnis der faschistischen Diktatur sowie zu deren Einschätzung des Führers und seiner Herrschaft. Dabei ist der Begriff „Bild“ weit gefasst und bezeichnet nicht nur im traditionellen Sinn die bemalte Tafel, sondern auch den inszenierten Blick auf die Stadt und auf die antiken Monumente sowie die Lichtinstallationen, Propagandaausstellungen, Militärparaden und vieles mehr, die dem Betrachter dargeboten und in Fotografien und Druckmedien verbreitet wurden. Alle visuellen Botschaften werden in ihrer Bedeutung als historisches Dokument ernst genommen.
Hitlers Ankunft in Rom zwischen Moderne und Antike
Im Zentrum der Reise stand ein mehrtägiger Aufenthalt in Rom. Da Adolf Hitler mit dem Zug nach Italien fuhr, konnten die Massen bereits die Fahrt miterleben und feiern. Wie sehr man dabei den antiken Einzug eines Triumphators mit modernen Mitteln zu imitieren suchte, zeigt nicht zuletzt die Tatsache, dass man den Diktator außerhalb der antiken Mauern empfing. Ein extra errichteter Pavillon, dessen kalte und ornamentlose Formensprache die Faszination für die nationalsozialistischen Bauten nördlich der Alpen kaum verleugnen kann, wurde mit neuester Beleuchtungstechnik bestückt, um die Architektur hell vor der dunklen Nacht erstrahlen zu lassen (Abb. 1). Nur wenige Hundert Meter entfernt katapultierte man Hitler jedoch zurück in die Vergangenheit: Der Platz vor der antiken Porta Ostiense wurde nur von hohen Fackeln auf dem Stadttor und den anschließenden Mauern beleuchtet. Da Hitler offiziell Gast des italienischen Staatsoberhauptes und damit des italienischen Königs und Kaisers von Abessinien Vittorio Emanuele III. war, bestieg er mit diesem eine vierspännige Kutsche, die ihn durch die Stadt zum Quirinalspalast brachte. Die beiden Pole Antike und Modernität, zwischen denen sich das Selbstverständnis des italienischen Faschismus bewegte, sollten den ersten Eindruck des Gastes bestimmen.
Hitler als Opernheld
Da man Adolf Hitler in den Süden der Stadt geleitet hatte, musste die Einzugsroute durch nur spärlich bebautes Gebiet und dann vor allem durch das antike Zentrum der Stadt um den Palatin, das Kolosseum, das Forum Romanum sowie die Kaiserforen führen. Man erachtete es für weniger wichtig, auf der nächtlichen Fahrt weitere Bauprojekte Mussolinis darzubieten.
Tatsächlich beabsichtigte man, einen synästhetischen, überwältigenden ersten Eindruck beim Betrachter zu erzeugen. Man beauftragte einen Bühnenbildner, der zuvor an der römischen Oper tätig war, mit dem Schmuck der Stadt. Dessen Entwürfe zeigen in ihrer zentralperspektivischen Anlage mit dramatischen Tiefenzügen und Beleuchtungseffekten (Abb. 2), dass er die urbanistischen Gegebenheiten als eine Abfolge von Bildern verstand, in denen Rom dem Gast in einzelnen Akten vor Augen geführt wurde. Jede Skizze konnte ebenso gut als Bühnenszene umgesetzt werden, wodurch eine komplexe Situation von Bild und Raum entstand. Denn Hitler blieb nicht Zuschauer, er war der Protagonist einer performativen Aufführung, der das Dargebotene im Erleben aktiv mitgestalten sollte. Man reagierte mit dieser ins Fiktive tendierenden Darstellung bewusst auf die Persönlichkeit Adolf Hitlers, dessen Wunsch, ein Staatsmann zu sein, bereits in jungen Jahren durch die Opern Richard Wagners gefördert wurde. Sein noch im Geburtsort Linz geäußertes Verlangen, ein neuer Rienzi, ein Tribun, zu werden, ging in Rom suggestiv in Erfüllung.
Die Inszenierung der Antike
Die Kulissen für den Einzug bot dort, wo nicht Fahnenwände das unregelmäßig bebaute Land verschleierten, die Antike. Dabei manifestieren sich mehrere spezifische Arten des Umgangs mit den Relikten der Kaiserzeit. Flankiert von kolossalen Kandelabern, an denen mehrere Gasflammen leuchteten, fluchtete die 1936 nach der Ausrufung des faschistischen Imperiums angelegte Via dei Trionfi im hell angestrahlten Konstantinsbogen. Im 19. Jahrhundert hatte man das Monument infolge des aufkommenden Denkmalkultus durch eine Umfriedung von der Umgebung abgesetzt, um es als historisches Zeugnis dem Blick des gebildeten Betrachters auszusetzen. Jetzt band man es gemeinsam mit dem Kolosseum in die Gestaltung eines größeren Platzes ein (Abb. 3). Dieser wurde komplett gepflastert, störende antike Monumente in der Nähe des Bogens entfernt und das Niveau angeglichen, bis ein Durchmarsch möglich war. Mit der Monumentalisierung des Konstantinsbogens wurde also das Monument reaktiviert. Man machte das antike Siegeszeichen zum Bestandteil der Gegenwart und nutzte es in althergebrachter Weise als Auszeichnung für den Durchschreitenden. Dadurch erweckte man den Anschein einer ungebrochenen Kontinuität von der Kaiserzeit bis in die faschistische Zeitrechnung.
Mit dem Kolosseum verfuhr man anlässlich des Einzugs von Adolf Hitler ganz anders. Während der Konstantinsbogen Bestandteil des Weges war, griff man hier auf eine theatralische, geradezu irreale Szenerie zurück. Im Inneren des Amphitheaters wurden Bengalische Feuer entzündet, wobei die Außenfassade im Dunkeln blieb. In einer Umkehr der architektonischen Struktur, die extrem geschwächt wurde, waren nur die Fensteröffnungen und durch sie treibende Nebelschwaden sichtbar. Man legte keinen Wert darauf, Hitler bei seiner Ankunft den Inbegriff römischer Antike in dokumentarischer Weise zu präsentieren.
Ähnlich kulissenhaft wurde der Höhepunkt des Einzuges über die Via del Impero gestaltet. Mittels kolossaler Dreifüße, die Feuerschalen trugen, steigerte man das Vokabular ins Sakrale. Eine Auswahl antiker Gebäude, die man von der „Straße des Imperiums“ entweder von oben oder von unten betrachten konnte, wurde zusätzlich durch helle Spots gegen den dunklen Nachthimmel hervorgehoben. Fassadenhaft und unzugänglich erschienen sie als verehrungswürdige Reliquien, deren Erkundung und Berührung nicht vorgesehen war. Ihre bildhafte Inszenierung zeigt, dass man bereits beim Schmuck der Stadt daran dachte, das Geschehen im Medium der Fotografie zu verbreiten.
Dem Führer wurden neben Militärparaden, Manövern und italienischem Brauchtum Teile der antiken Ara pacis, das Museum der Villa Borghese und vor allem die Mostra Augustea della Romanità gezeigt. Ohne originale Fundstücke dokumentierte und systematisierte die Ausstellung die Antike anhand von Modellen und Abgüssen. Zugleich verknüpfte und überblendete man die Leistungen der Cäsaren mit den Errungenschaften des Faschismus als legitimem Erben. Auch hier nutzte man visuelle Strategien und Bilder zur Vermittlung und Identitätsstiftung. Der Höhepunkt dürfte wohl die Rekonstruktion der Pflugschar gewesen sein, mit der Romulus 753 v. Chr. den Umriss der späteren Stadt Rom zog (Abb. 4). Hitler wünschte, die Ausstellung ein zweites Mal zu sehen.
Die Wirkung des Besuches
Die vielfältige Sprache der Bilder spielte für die Propaganda der Diktatur eine außerordentlich bedeutende Rolle. Kein anderes Medium konnte den Betrachter so direkt fesseln und subtil überwältigen. Hitlers spätere Äußerungen und Taten zeigen, wie sehr ihn sein erster und letzter Besuch in der Ewigen Stadt beeindruckt hat. Die Idee, den Führer durch eine Vielzahl ästhetischer Eindrücke zu übermannen und zu begeistern, die teilweise tief in der italienischen Kunst und Kultur wurzelten, aber auch auf nationalsozialistische Theatralik rekurrierten, entfaltete eine verheerende Wirkung. Die megalomane Planung von Berlin als Welthauptstadt „Germania“ und das Museum in Linz sowie die dafür veranlassten Raubzüge sind vor dem Hintergrund des Staatsbesuches zu sehen. Auch der fatale Wunsch nach einem großdeutschen Reich und die Bereitschaft, durch einen bedingungslosen Krieg den Siedlungsraum zu vergrößern, dürften von der in Rom demonstrierten Verschmelzung antiker Größe mit faschistischer Modernität genährt worden sein.