Forschungsbericht 2024 - Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie

Alte Genome enthüllen Verbreitungsgeschichte der Malaria

Ancient genomes reveal origin and spread of malaria

Autoren
Michel, Megan; Warinner, Christina; Krause, Johannes
Abteilungen

Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, Leipzig

Zusammenfassung
Forschende der Abteilung für Archäogenetik am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig haben die Evolutionsgeschichte und die globale Ausbreitung der Malaria in den letzten 5.500 Jahren rekonstruiert und dabei Handel, Krieg und Kolonialismus als wichtige Katalysatoren für ihre Verbreitung identifiziert.
Summary
Researchers at the Department of Archaeogenetics at the Max Planck Institute for Evolutionary Anthropology in Leipzig, Germany, have reconstructed the evolutionary history and global spread of malaria over the past 5,500 years, identifying trade, warfare, and colonialism as major catalysts for its dispersal.

Malaria, eine der tödlichsten Infektionskrankheiten der Welt, wird durch einzellige Parasiten verursacht, die durch den Stich infizierter Anopheles-Mücken übertragen werden. Trotz umfangreicher Kontrollmaßnahmen lebt noch immer fast die Hälfte der Weltbevölkerung in Malaria-Risikogebieten. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass Malaria jährlich fast 250 Millionen Infektionen und mehr als 600.000 Todesfälle verursacht. Noch vor einem Jahrhundert erstreckte sich das Verbreitungsgebiet des Erregers über die Hälfte der Erde, darunter Teile der nördlichen USA, Südkanadas, Skandinaviens und Sibiriens. Genvarianten, die für verheerende Blutkrankheiten wie die Sichelzellanämie verantwortlich sind, überleben bis heute in menschlichen Populationen, vermutlich weil sie eine partielle Resistenz gegen Malariainfektionen verleihen.

Ursprung und Verbreitung der beiden tödlichsten Malariaerreger, Plasmodium falciparum und Plasmodium vivax, sind jedoch bis heute rätselhaft. Malariainfektionen hinterlassen an menschlichen Skelettresten keine sichtbaren Spuren. Jüngste Fortschritte im Forschungsfeld „Alte DNA“ haben jedoch gezeigt, dass Zähne Spuren von Erregern enthalten können, die zum Zeitpunkt des Todes im Blut einer Person vorhanden waren. So ist es uns in Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen aus 80 Institutionen und 21 Ländern gelungen, Plasmodium-Genomdaten von 36 Malaria-Infizierten aus 5.500 Jahren Menschheitsgeschichte und fünf Kontinenten zu rekonstruieren.[1]

Biomolekularen Brotkrumen auf der Spur

Malaria ist heute in den tropischen Regionen Amerikas endemisch. Forschende diskutieren seit Langem, ob die Malariaart P. vivax, die an gemäßigte Klimazonen angepasst ist, mit der Besiedlung des Kontinents über die Beringstraße oder im Zuge der europäischen Kolonisation nach Amerika gelangt sein könnte. Um die Reise des Parasiten nach Amerika zu rekonstruieren, analysierten wir alte DNA eines mit Malaria infizierten Individuums aus Laguna de los Cóndores, einem hoch gelegenen Ort in den abgelegenen Nebelwäldern der östlichen peruanischen Anden. Die Genomanalyse ergab eine bemerkenswerte Ähnlichkeit zwischen dem P. vivax-Stamm von Laguna de los Cóndores und alten europäischen P. vivax-Stämmen. Demnach haben europäische Siedler diese Form der Malaria wahrscheinlich zu Beginn der Kolonialzeit nach Amerika gebracht.

Während auf dem amerikanischen Kontinent die Rolle des Kolonialismus bei der Ausbreitung der Malaria offensichtlich ist, haben auf der anderen Seite des Atlantiks militärische Aktivitäten die regionale Verbreitung der Infektionskrankheit beeinflusst. Der Friedhof der gotischen St.-Rombout-Kathedrale im belgischen Mechelen lag in unmittelbarer Nähe eines der ersten Militärhospitäler (1567-1715) des frühneuzeitlichen Europas. Durch die Analyse alter menschlicher DNA und Erreger-DNA konnten die Forschenden P. vivax bei Vertretern der lokalen Bevölkerung nachweisen, die vor dem Bau des Hospitals auf dem Friedhof begraben wurden. Bei nach dem Bau des Hospitals dort begrabenen Personen fanden sich Fälle des virulenteren P. falciparum. Diese Plasmodiumart gedieh vor ihrer Ausrottung vor allem im mediterranen Klima, war aber nördlich der Alpen nicht endemisch. Bei den bestatteten Männern handelte es sich vermutlich um Soldaten, die während des Achtzigjährigen Krieges aus Norditalien, Spanien und anderen Mittelmeerregionen rekrutiert wurden, um in der habsburgischen Armee in Flandern zu kämpfen.

Handelswege im Himalaya

Am anderen Ende der Welt entdeckten wir überraschend den ältesten bekannten Fall von P. falciparum-Malaria: in der Hochgebirgsstätte Chokhopani (ca. 800 v. Chr.) im Tal des Flusses Kali Gandaki im Distrikt Mustang in Nepal. Mit einer Höhe von 2.800 Metern über dem Meeresspiegel liegt die Stätte weit außerhalb des Lebensraums des Malariaerregers und der Anopheles-Mücke. Weder der Parasit noch die Mücken, die Malaria übertragen, können in dieser Höhe überleben. Wie konnte das Individuum aus Chokhopani dennoch an Malaria erkranken? Humangenetische Analysen ergaben, dass es sich bei dem Infizierten um einen Einheimischen handelte, dessen Erbgut an das Leben in großer Höhe angepasst war.

Archäologische Funde in Chokhopani und anderen nahegelegenen Fundorten deuten darauf hin, dass diese Himalaya-Population aktiv am Fernhandel beteiligt war. Kupferartefakte, die in den Grabkammern von Chokhopani gefunden wurden, zeigen, dass die damaligen Bewohner von Mustang Teil eines größeren Handelsnetzwerkes waren, das auch Nordindien umfasste. Sie mussten nicht weit reisen, um in die tiefer gelegenen, schlecht entwässerten Regionen des nepalesischen und indischen Terai zu gelangen, wo Malaria heute endemisch ist. Wir gehen davon aus, dass der Mann wahrscheinlich in ein tiefer gelegenes Malariagebiet reiste, vielleicht zu Handels- oder anderen Zwecken, bevor er nach Chokhopani zurückkehrte oder dorthin zurückgebracht wurde, wo er später begraben wurde.

Vergangenheit und Zukunft einer dynamischen Krankheit

Die Erfahrungen der Menschen mit Malaria stehen heute an einem Wendepunkt. Dank Fortschritten bei der Mückenbekämpfung und konzertierten Gesundheitskampagnen ist die Zahl der Todesfälle durch Malaria in den 2010er Jahren auf einen historischen Tiefstand gesunken. Doch das Auftauchen von Parasiten, die gegen Malariamedikamente resistent sind, und von Vektoren, die gegen Insektizide resistent sind, drohen, die jahrzehntelangen Fortschritte zunichtezumachen. Wir hoffen, dass alte DNA und die daraus gewonnenen Erkenntnisse ein zusätzliches Werkzeug zum Verständnis und somit zur Bekämpfung dieser Bedrohung für die öffentliche Gesundheit sein können.

Literaturhinweise

Michel, M.; Skourtanioti, E.; Pierini, F.; Guevara, E. K.; Mötsch, A.; Kocher, A.; Barquera, R.; Bianco, R. A.; Carlhoff, S.; Coppola Bove, L.; Freilich, S.; Giffin, K.; Hermes, T.; Hiß, A.; Knolle, F.; Nelson, E. A.; Neumann, G. U.; Papac, L.; Penske, S.; Rohrlach, A. B.; Salem, N.; Semerau, L.; Villalba-Mouco, V.; Abadie, I.; Aldenderfer, M.; Beckett, J. F.; Brown, M.; Campus, F. G. R.; Chenghwa,T.; Cruz Berrocal, M.; Damašek, L.; Duffett Carlson, K. S.; Durand, R.; Ernée, M.; Fântăneanu, C.; Frenzel, H.; García Atiénzar, G.; Guillén, S.; Hsieh, E.; Karwowski, M.; Kelvin, D.; Kelvin, N.; Khokhlov, A.; Kinaston, R. L.; Korolev, A.; Krettek, K.-L.; Küßner, M.; Lai, L.; Look, C.; Kerttu, M.; Mandl, K.; Mazzarello, V.; McCormick, M.; de Miguel Ibáñez, P.; Murphy, R.; Németh, R. E.; Nordqvist, K.; Novotny, F.; Obenaus, M.; Olmo-Enciso, L.; Onkamo, P.; Orschiedt, J.; Patrushev, V.; Peltola, S.; Romero, A.; Rubino, S.; Sajantila, A.; Salazar-García, D. C.; Serrano, E.; Shaydullaev, S.; Sias, E.; Šlaus, M.; Stančo, L.; Swanston, T.; Teschler-Nicola, M.; Valentin, F.; Van de Vijver, K.; Varney, T. L.; Vigil-Escalera Guirado, A.; Waters, C. K.; Weiss-Krejci, E.; Winter, E.; Lamnidis, T. C.; Prüfer, K.; Nägele, K.; Spyrou, M.; Schiffels, S.; Stockhammer, P. W.; Haak, W.; Posth, C.; Warinner, C.; Bos, K. I.; Herbig, A.; Krause, J.
Ancient Plasmodium genomes shed light on the history of human malaria
Nature 631, 125-133 (2024)
DOI: 10.1038/s41586-024-07546-2
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