Forschungsbericht 2010 - Max-Planck-Institut für Biogeochemie
Quantifizierung des globalen Kohlenstoff-Kreislaufs
Quantification of the global carbon cycle
Max-Planck-Institut für Biogeochemie, Jena
Der Kohlenstoff-Kreislauf: Ein Schlüsselelement im Klimasystem
Der Anstieg der CO2-Konzentration in der Atmosphäre gilt als wichtigste Ursache des globalen Klimawandels, weil er den Treibhauseffekt verstärkt. Obwohl der CO2-Anstieg primär durch menschliche Aktivitäten wie der Verbrennung fossiler Energieträger, der Zementproduktion oder der Entwaldung verursacht wird, hängt die tatsächliche Menge atmosphärischen Kohlendioxids wesentlich auch von natürlichen Prozessen ab, die Kohlendioxid aus der Luft aufnehmen oder wieder abgeben. Zu diesen Prozessen gehören die Lösung und chemische Umsetzung von CO2 im Meerwasser ebenso wie die Photosynthese und der biologische Abbau organischen Materials im Erdboden. Weil dabei gegenwärtig insgesamt etwas mehr CO2 gebunden als freigesetzt wird, kompensieren diese Prozesse etwa die Hälfte der anthropogenen CO2-Emissionen.
Wie viel CO2 durch die verschiedenen Prozesse aufgenommen oder abgegeben wird, ist erheblichen Schwankungen unterworfen – zwischen Tag und Nacht, zwischen Sommer und Winter, und auch von Jahr zu Jahr. Der Grund für diese Schwankungen liegt hauptsächlich darin, dass die Prozesse empfindlich von Umwelteinflüssen abhängen. Langfristige Klimaänderungen führen daher zu Änderungen im Kohlenstoff-Kreislauf und somit zu einem Rückkopplungs-Effekt, der den Klimawandel erheblich verstärken oder abschwächen kann. In gegenwärtigen Klimasimulationen stellt diese Rückkopplung eine der größten Unsicherheitsfaktoren dar. Um die Rolle des Kohlenstoff-Kreislaufs im Klimasystem besser verstehen zu können, muss man ermitteln, wie stark die einzelnen Prozesse auf ihre Einflussfaktoren reagieren. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist die zahlenmäßige Erfassung der räumlichen und zeitlichen Veränderungen im CO2-Austausch zwischen Erdoberfläche und Atmosphäre.
Schätzungen des CO2-Austauschs: Die „Jena Inversion“
Im Max-Planck-Institut für Biogeochemie (MPI-BGC) in Jena werden hierfür Messdaten aus weltweiten Beobachtungsprogrammen zusammengetragen und in Modellrechnungen verarbeitet. Eine wichtige Informationsquelle über den CO2-Austausch ist die atmosphärische CO2-Konzentration selbst, die von verschiedenen Institutionen weltweit an über 100 Stationen regelmäßig gemessen wird. Darunter befinden sich auch die vom MPI-BGC eingerichteten und betriebenen Stationen in wichtigen Regionen wie Sibirien und Afrika (Abb. 1). Simuliert man den Transport von Spurengasen wie CO2 in der Atmosphäre mithilfe eines numerischen Modells, so kann man von räumlichen und zeitlichen Unterschieden in der CO2-Konzentration auf CO2-Quellen und -Senken an der Erdoberfläche schließen. Hierbei kommen die mathematischen Methoden der „Bayes'schen Inversion“ zum Einsatz. Als Ergebnis entstehen räumlich und zeitlich aufgelöste Schätzungen darüber, wie viel CO2 zwischen Erdoberfläche und Atmosphäre ausgetauscht wird. Diese Berechnungen werden am MPI-BGC regelmäßig aktualisiert und als „Jena Inversion“ auch anderen Forschungsgruppen zur Verfügung gestellt.
CO2-Austausch der Landoberfläche
Vergleicht man räumliche und zeitliche Muster der so geschätzten CO2-Quellen und -Senken mit Mustern in Klimadaten, können erste Schlussfolgerungen auf die zugrundeliegenden Mechanismen gezogen werden. So hatte die extreme Hitze und Trockenheit im Sommer 2003 in West- und Mitteleuropa eine verminderte CO2-Aufnahme zur Folge (Abb. 2): Im Hinblick auf ein zukünftiges wärmeres Klima deutet dies auf einen verstärkenden Rückkopplungseffekt hin. Auch das El Niño-Phänomen in den Tropen beeinflusst den Kohlenstoff-Kreislauf: In den El Niño-Jahren, wenn veränderte Wind- und Wasserströmungen den äquatorialen Pazifik aufwärmen und zur Trockenheit der angrenzenden tropischen Landmassen führen, wird dort mehr CO2 in die Atmosphäre abgegeben. Dies könnte durch eine verminderte Photosynthese-Leistung, die verstärkte Zersetzung organischen Materials oder vermehrte Vegetationsfeuer verursacht sein.
Um zu ermitteln, welche Rolle diese einzelnen Prozesse im Kohlenstoff-Kreislauf spielen, muss neben den atmosphärischen Messungen des Gesamt-CO2-Austauschs die Information weiterer Datenquellen genutzt werden. Hier bieten sich zum einen Fernerkundungs-Daten an, die den Zustand der Landvegetation beschreiben, zum anderen meteorologische Daten. Mithilfe empirischer Modelle kann man – wiederum mit inversen Methoden – den Zusammenhang des CO2-Austausches mit den klimatischen Einflüssen direkt bestimmen. Am MPI-BGC wird die Anwendung dieser Methode gegenwärtig getestet, mit dem Ziel, datengetriebene Aussagen über die Klimasensitivität des Kohlenstoff-Kreislaufs gegenüber Temperatur, Niederschlag oder Sonneneinstrahlung machen zu können.
CO2-Austausch des Ozeans
Während die Landvegetation unmittelbar auf Umwelteinflüsse reagiert und somit auf saisonaler und interannualer Zeitskala die Variabilität des atmosphärischen CO2-Gehalts dominiert, wird das Langzeitverhalten des Kohlenstoff-Kreislaufs vom Ozean bestimmt: Auf Zeitskalen von Jahrtausenden wird der größte Teil des anthropogen emittierten Kohlenstoffs vom Meer aufgenommen, ermöglicht durch die „Puffer-Eigenschaft“ des Ozeans infolge der Umwandlung des gelösten CO2 in Karbonat und Bikarbonat. Ozean-Modelle sagen jedoch vorher, dass sich die Aufnahmekapazität der Meere infolge des Klimawandels vermindern kann, wodurch ein verstärkender Rückkopplungseffekt entstünde. Um dies zu testen, wurden die Modellsimulationen mit den am MPI-BGC erstellten Schätzungen des CO2-Flusses zwischen dem Südlichen Ozean und der Atmosphäre verglichen. Analysen der Trends über die vergangenen drei Jahrzehnte legen nahe, dass eine solche Verminderung der ozeanischen CO2-Senke bereits begonnen haben könnte [1].
Grundsätzlich gestaltet sich die Quantifizierung des ozeanischen Kohlenstoff-Kreislaufs auf der Basis atmosphärischer CO2-Daten jedoch schwierig, weil die ozeanischen Signale von den terrestrischen Signalen teilweise überdeckt werden. Auch hier helfen weitere Datenströme. Da fast alle Prozesse des Kohlenstoff-Kreislaufs mit einer Aufnahme oder Abgabe von Sauerstoff verbunden sind, kann man beispielsweise Änderungen im atmosphärischen Sauerstoff-Gehalt heranziehen: Obwohl messtechnisch eine erhebliche Herausforderung, wird das atmosphärische O2/N2-Verhältnis seit 1990 weltweit an einer wachsenden Zahl von Stationen beobachtet, in den letzten Jahren auch durch das MPI-BGC. Da der Sauerstoff-Austausch des Ozeans nicht durch chemische Umwandlungen gepuffert wird, spiegelt er in unmittelbarer Weise die physikalischen und biologischen Prozesse im Meer wieder. In einer am MPI-BGC durchgeführten Studie wurden auf der Grundlage atmosphärischer Sauerstoff-Messungen die jährlichen Fluktuationen des ozeanischen Sauerstoff-Austausches der letzten 20 Jahre berechnet [2]. Die gefundenen Schwankungen sind größer als von gegenwärtigen biogeochemischen Simulationsmodellen vorhergesagt und können daher zur Verbesserung der Modelle beitragen. Gleichzeitig konnte eine signifikante Korrelation der tropischen Sauerstoff-Flüsse mit dem Auftreten von El Niño gezeigt werden (Abb. 3).
Derzeit werden am MPI-BGC weitere Datenströme in die Rechnung einbezogen – neben Messungen des im Wasser gelösten Kohlenstoffs und Sauerstoffs auch indirekte Größen wie Phosphatgehalt, Temperatur und Wärmeaustausch. Es zeigt sich, dass verschiedene, voneinander unabhängige Datenströme zu konsistenten Schätzungen des CO2-Austauschs führen und sich so gegenseitig bestätigen. Mithilfe empirischer Modelle wird wiederum versucht, die Rolle einzelner ozeanischer Prozesse noch direkter zu bestimmen. Die diagnostischen Modelle können auch verwendet werden, um die Vorhersagekraft geplanter Messstrategien zu bewerten.