Forschungsbericht 2011 - Max-Planck-Institut für molekulare Genetik

Nutrigenomik: Natürliche Modulation der Genexpression

Autoren
Sauer, Sascha
Abteilungen
Forschungsgruppe Nutrigenomik & Genregulation
Otto-Warburg-Laboratorium
Zusammenfassung
Der wissenschaftliche Schwerpunkt der Forschungsgruppe liegt auf der systematischen Analyse der Modulation der Gen- und Proteinexpression. Dieser Prozess kann durch die Interaktion von Genen und natürlich vorkommenden Substanzen, wie sie in Nahrungsmitteln vorkommen, gezielt beeinflusst werden. Wir untersuchen, ob und durch welche Mechanismen Naturstoffe mit Genen und Genprodukten wechselwirken. Die Ergebnisse können für den optimierten Einsatz von Naturstoffen zur Verbesserung verschiedenster Stoffwechselprozesse von Nutzen sein.

Einleitung

Naturstoffe haben ein großes Potenzial für die Modulation molekularer Genexpressionsprozesse. Sie können daher zur effektiven Prävention und Behandlung von Volkskrankheiten wie zum Beispiel Altersdiabetes eingesetzt werden. Viele molekulare Interaktionen zwischen strukturell reichen Naturstoffen und genregulatorischen Proteinen werden jedoch nach wie vor nur unzureichend verstanden.

Nukleare Rezeptoren

Liganden-aktivierte Transkriptionsfaktoren, so genannte nukleare Rezeptoren, können die Genexpression in Anpassung an wechselnde Umweltfaktoren, wie zum Beispiel bei Nahrungsaufnahme, regulieren. Das Interesse der Forschungsgruppe konzentriert sich insbesondere auf die Peroxisomen-Proliferator- und Leber-X-aktivierten Rezeptoren (PPARs und LXRs). Diese Proteine gehören zur Familie der nuklearen Hormonrezeptoren. Durch Fettsäuren aus der Nahrung sowie deren metabolische Derivate regulieren solche Rezeptoren durch gezielte Genexpression unter anderem den Energiestoffwechsel, den Glukose- und Lipidtransport und die Glukose- und Lipidspeicherung. Zudem haben sie wichtige Funktionen beim Entzündungsgeschehen, der Wundheilung und der Embryonalentwicklung.

Der nukleare Rezeptor PPARγ wird vor allem im Fettgewebe und in den Makrophagen exprimiert. Synthetische PPARγ-Agonisten sind beispielsweise Thiazolidindione (TZDs) wie Rosiglitazon oder Pioglitazon, die zur Therapie des Typ-2 Diabetes mellitus eingesetzt werden. TZDs sind spezifische, sehr wirksame PPARγ-Liganden, die den Blutglukosespiegel signifikant senken und die Insulinsensitivität deutlich verbessern. Aufgrund unerwünschter Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme, Flüssigkeitsretention, Ödemen, Knochendichteverlust und Herzinsuffizienz ist ihr Einsatz jedoch limitiert.

LXRα wird vor allem in der Leber und in Makrophagen exprimiert. Insbesondere die durch LXRα regulierte Genexpression in den Makrophagen kann anti-arteriosklerotische und anti-inflammatorische Effekte haben. Trotz seiner interessanten genregulatorischen Wirkung gibt es für LXR bisher jedoch noch keine breit angewandten Substanzen, um beispielsweise Arteriosklerose effizient zu behandeln.

Neue natürlich vorkommende Moleküle gegen Altersdiabetes und Arteriosklerose

Um die von bekannten Agonisten geschilderten Nebenwirkungen - bei gleichzeitiger Gewährleistung der gewünschten gesundheitsfördernden  Wirkungen - möglichst gering zu halten, ist es wünschenswert, Substanzen zu identifizieren und zu optimieren, die PPARγ und LXRα selektiv modulieren. Dies erfordert die Entwicklung neuer Substanzen, die gezielt zur Expression von wichtigen Ziel-Genen führen. Darüber hinaus sind die Forscher nicht nur daran interessiert, die medikamentöse Behandlung komplexer Erkrankungen wie Altersdiabetes oder Herz-Kreislauf- Erkrankungen zu verbessern. Ihr Ziel ist es vor allem, mithilfe molekularer Intervention bereits deren Entstehung wirkungsvoll zu verhindern.

Der Schwerpunkt im Gesundheitsmanagement komplexer metabolischer Erkrankungen wird künftig vor allem in der Prävention liegen. Dies kann zum Beispiel durch eine Behandlung mit milden und für den individuellen Patienten optimierten Heilmitteln oder durch optimierte Nahrungsergänzungsmittel pflanzlichen Ursprungs unterstützt werden. Unter Ausnutzung einer strukturell reichen Naturstoff-Bank hat die Forschungsgruppe dank eines von ihr entwickelten, auf Massenspektrometrie beruhenden Screenings neue natürliche Substanzen aus essbaren pflanzlichen Bestandteilen identifiziert, die die genannten nuklearen Rezeptoren PPARγ und LXRα gezielt aktivieren. Die selektive Aktivierung dieser regulatorischen Proteine führt zu spezifischen Genexpressionsmustern, die in verschiedenen metabolischen Mausmodellen zu gesundheitsfördernden Wirkungen wie der Verringerung der Insulinresistenz und der Prävention der durch Fehlernährung erzeugten Lebersteatosis sowie der Verbesserung einer Reihe von weiteren metabolischen und inflammatorischen Parametern führt (Abb. 1). Die Prävention von metabolischen Erkrankungen wie der Insulinresistenz ist entscheidend für die Verbesserung der Volksgesundheit. Naturstoffe, die aus essbaren Pflanzenbestandteilen stammen, können nicht nur für die klassische Entwicklung von Medikamenten oder pflanzenbasierter Medizin zur Behandlung der Insulinresistenz, sondern auch für die Entwicklung von entsprechender funktioneller Nahrung eingesetzt werden. Zur weiteren Verwertung der Ergebnisse arbeiten wir mit verschiedenen, zum Teil weltweit operierenden Firmen aus diesem Bereich zusammen.

Genomische Analyse des Leber X-Rezeptors und Beiträge zum Verständnis der Genregulation bei der Entstehung von arteriosklerotischen Plaques

Der Leber X-Rezeptor (LXR) spielt eine wichtige Rolle bei der Regulation des Fettstoffwechsels. Unter anderem ist er am reversen Cholesterin-Transport der Makrophagen beteiligt, um überschüssiges Cholesterin in der Leber abzubauen. Der komplexe Prozess beinhaltet eine Reihe von Genexpressionsprozessen. Er ist wichtig zur Verhinderung der Bildung von arteriosklerotischen Plaques in den Arterien, die einen entscheidenden Risikofaktor bei der Entstehung von Herz-Kreislauferkrankungen darstellen. Durch systematische Ansätze zur genomweiten Bestimmung von LXR-Bindungen auf genomischer DNA sowie verschiedene Chromatinmodifikationen können die Netzwerk gesteuerten Mechanismen der Aktivierung von LXR und damit einhergehender Genexpression deutlich besser als zuvor verstanden werden. Dies ermöglicht, die Wirkung von natürlichen und synthetischen Liganden des nuklearen Rezeptors zukünftig effizienter zu kontrollieren. Dadurch können auch gezielte Behandlungsmöglichkeiten bei kardiovaskulären Erkrankungen entwickelt werden.

Die magische Substanz aus dem Rotwein: Resveratrol

Wissenschaftler sind seit einiger Zeit sehr daran interessiert, den potenziellen gesundheitlichen Nutzen von Resveratrol, einer lebensverlängernden und metabolisch wertvollen Substanz aus dem Rotwein, zu untersuchen. Die Entdeckung von Resveratrol hat unter anderem zu Spekulationen darüber geführt, ob sich durch diesen Naturstoff das Phänomen erklären ließe, dass in Frankreich trotz ähnlich fettreicher Ernährung wie in anderen Staaten üblich verhältnismäßig niedrige Raten an Herz-Kreislauferkrankungen zu verzeichnen sind. Man nimmt heute an, dass Resveratrol ein deazetylierendes Enzym aktiviert, das beim Menschen als „Sirtuin 1“ bezeichnet wird. Die Aktivierung von Sirtuin 1 führt zu einer Reihe von gesundheitsfördernden Effekten; es gehört daher zu den intensiv erforschten Targets für die Entwicklung von diätischen Therapien. Die molekularen Mechanismen der Sirtuin-Aktivierung sind jedoch immer noch heftig umstritten beziehungsweise unklar. Dies liegt unter anderem an der großen Zahl von Interaktionspartnern des Sirtuin 1, die dazu führen, dass seine Aktivierung vielfältige Effekte nach sich zieht. Mittels systematischer funktioneller Genom- und Metaboliten-Analysen konnten wir zeigen, dass die Wirkung von Resveratrol unter physiologischen Bedingungen auf der Bildung geringer Mengen reaktiver Sauerstoffspezies beruht. Tatsächlich führt eine Resveratrol-Behandlung zu mildem zellulären Stress, der als molekulares „Training“ angesehen werden und letztendlich zur Stärkung der Robustheit der Zelle führen kann. Zum Beispiel wird durch Resveratrol über die Aktivierung von Sirtuin 1 eine Reihe von Genen reguliert. Dies kann unter anderem dazu führen, dass aus der Nahrung aufgenommene überschüssige Energie in Wärme umgewandelt sowie die Zellabwehr gestärkt wird. Diese durch Resveratrol ausgelöste systemische zelluläre Antwort kann im Organismus über sehr komplexe Prozesse sowohl zur lebens- beziehungsweise gesundheitsverlängernden Wirkung wie auch zur Vermeidung metabolischer Erkrankungen führen. Durch das neue massenspektrometrische Verfahren konnten zudem neue Substanzen identifiziert werden, die ein dem Resveratrol ähnliches Wirkpotenzial aufzeigen.

Proteom-Analyse zur präklinischen Untersuchung potenzieller Medikamente sowie zur interzellulären und Bakterien-Wirtszellen- Kommunikation

Um mögliche Wirkungen und Nebenwirkungen von Medikamenten möglichst früh einschätzen zu können, sind in vielen Fällen Tiermodelle noch immer ein entscheidendes Kriterium für die Entwicklung neuer Medikamente. In der Regel finden gezielte Tests statt, die jedoch viele mögliche Wirkungen nicht detektieren können. Um die präklinische Testung von Substanzen in Tiermodellen wie der Maus zu verbessern, wurden neue Methoden entwickelt, um auf der funktionellen Proteinebene möglichst umfassend die Wirkung neuer Substanzen zu erfassen. Durch den Einsatz modernster flüssigkeitschromatographischer und massenspektrometrischer Methoden sind wir in der Lage, Tausende Proteine quantitativ zu erfassen. Diese Information dient dazu, mögliche Wirkungen und Nebenwirkungen sehr sensitiv zu detektieren. Unter anderem haben die Ergebnisse im Bereich der Diabetesforschung Nebenwirkungen von bekannten Medikamenten wie Rosiglitazon aufgedeckt, die man unmittelbar nicht auf der Ebene der Nukleinsäuren oder mit anderen, konventionellen Methoden hätte entdecken können.

Neben diesen neuen präklinischen Verfahren wurden Methoden entwickelt, um Proteom umfassend die Kommunikation von Zellen untereinander zu untersuchen. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Proteomanalyse der Makrophagen-Adipozyten-Interaktion, da diese wesentlich für die chronisch-entzündliche Entstehung von Insulinresistenz ist. Insulinresistenz ist eine der komplexen Hauptursachen vieler metabolischer Erkrankungen, für die es derzeit keine hinreichend effizienten Präventions- oder Behandlungsmöglichkeiten gibt. Ein genaueres molekulares Verständnis der Entstehung metabolischer Dysregulierung kann hierzu neue Wege öffnen. Ähnliche Strategien erlaubten es uns bereits, erfolgreich die Interaktion von Bakterien mit ihrem Wirt zu analysieren, um ein vertieftes und umfassendes Verständnis von grundlegenden relevanten Infektionswegen und Wirtsabwehrmechanismen zu erlangen.

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