Forschungsbericht 2020 - Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb

Datenzugang, Verbraucherinteressen und Gemeinwohl

Autoren
Scheuerer, Stefan
Abteilungen
Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb, München
Zusammenfassung
Datenzugang erscheint als zentrale Voraussetzung für Innovation und Gemeinwohl in der digitalen Wirtschaft. Die Erarbeitung eines adäquaten Regulierungsrahmens steht daher im Zentrum der aktuellen Forschungstätigkeit des Max-Planck-Instituts für Innovation und Wettbewerb, das die vielfältigen Fragen interdisziplinär aus rechts- und wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive durchdringt. Vor diesem Hintergrund übernahm das Institut die wissenschaftliche Betreuung der vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz veranstalteten Verbraucherrechtstage 2019.

Datenzugang als zentrale Regulierungsaufgabe der digitalen Wirtschaft

Daten sind Grundlage, „Treibstoff“ und „Infrastruktur“ der Digitalisierung in verschiedensten Bereichen – vom Gesundheitssektor bis zu intelligenten Transportsystemen. Datenzugang erscheint deswegen als zentraler Parameter für Innovationsförderung und Wohlfahrtssteigerung in der digitalen Wirtschaft. Nur wenn dieser Zugang gewährleistet ist, lässt sich das Potenzial von „Künstlicher Intelligenz“, die etwa in gigantischen Datensätzen neue Zusammenhänge entdecken kann, ausschöpfen. Auch für das „Internet of Things“, in dem physische Gegenstände zur „Smart Factory“ oder „Smart City“ vernetzt werden, sind Daten die unabdingbare Grundlage. Fragen des Datenzugangs stehen demgemäß im Zentrum sowohl des akademischen Interesses als auch aktueller rechtspolitischer Initiativen auf nationaler und europäischer Ebene.

Die zentrale regulatorische Ausgangsfrage ist dabei, ob es überhaupt (neuer) Regeln bedarf oder ob die Märkte selbst in der Lage sind, hinreichenden Datenzugang sicherzustellen. Wirtschaftswissenschaftlich liegt die Herausforderung in der Ermittlung, ob und inwieweit ein Marktversagen auf Datenmärkten identifiziert werden kann. Aus rechtswissenschaftlicher Perspektive tritt als Komplexitätsfaktor hinzu, dass Datenzugang als Querschnittsmaterie eine Vielzahl von Rechtsgebieten tangiert. Einem systematisch kohärenten Regelungsrahmen kommt damit besondere Bedeutung zu.

Schon seit einigen Jahren stehen diese Fragen daher auf der Forschungsagenda des Max-Planck-Instituts für Innovation und Wettbewerb ganz oben. Das Institut sorgt nicht nur für die grundlagenwissenschaftliche Fundierung der denkbaren Lösungsansätze in theoretischer Hinsicht, sondern engagiert sich hierauf aufbauend zugleich aktiv im rechtspolitischen Diskurs, um Wissenschaft in Praxis zu übersetzen und die Regulierung der Datenwirtschaft auf unabhängiger, objektiver Basis gemeinwohlorientiert mitzugestalten.

Wissenschaft trifft Politik: Verbraucherrechtstage 2019 im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz

Ein zentrales Projekt des Instituts in diesem Rahmen war die wissenschaftliche Konzeption der Verbraucherrechtstage des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) im Dezember 2019 in Berlin zum Thema „Datenzugang, Verbraucherinteressen und Gemeinwohl“. Dort wurden namhafte Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft und Politik zusammengeführt. Zum Kreis der Referenten gehörten auch drei Wissenschaftler des Instituts.

Anknüpfend an Ergebnisse einer von ihm 2018 für den europäischen Verbraucherverband BEUC angefertigten Studie, widmete sich der Geschäftsführende Direktor des Instituts, Josef Drexl, möglichen Zugangsansprüchen von Verbraucherinnen und Verbrauchern im Hinblick auf „Smart Products“ [1]. Er führte aus, dass hier komplementär zu vertragsrechtlichen, kartellrechtlichen und sektorspezifischen Zugangsregimen weitergehender Regelungsbedarf bestehe. Neue Ansprüche sollten die optimale Nutzung eines vernetzten Gerätes ermöglichen und einen über Portabilität hinausgehenden „Anspruch auf Vernetzung“ begründen. Rechtssystematisch biete sich eine Verortung im europäischen Lauterkeitsrecht an.

Jörg Hoffmann erörterte, wie sektorspezifische Zugangsregime ausgestaltet sein sollten, um die vom Wettbewerb getriebene Innnovationskraft der Märkte für datengetriebene Innovationen zu gewährleisten [2]. Sektorspezifische Lösungsansätze seien unerlässlich, um passgenauere Antworten bei technisch, ökonomisch und rechtlich unterschiedlichen Marktgegebenheiten zu liefern. Als illustratives Beispiel führte Hoffmann die überarbeitete europäische Zahlungsdiensterichtlinie „PSD 2“ an. Deren differenziert zu beurteilendes „data governance“-Regime für digitale Bezahlsysteme könne als Referenzpunkt für weitere Datenzugangsregulierung dienen. Heiko Richter befasste sich mit Zugangsansprüchen des Staates zu Daten der Privatwirtschaft [3; 4]. Diese könnten sowohl zur Erfüllung bestehender als auch zur Übernahme neuer staatlicher Aufgaben nötig sein. Als Gestaltungsprinzipien für solche Ansprüche könne man das Staatlichkeitsprinzip, das Ganzheitlichkeitsprinzip, das Verantwortungsprinzip und das Näheprinzip formulieren. Weitere Mitarbeiter des Instituts protokollierten die Veranstaltung und veröffentlichten einen deutschsprachigen Tagungsbericht in einer open access zugänglichen juristischen Fachzeitschrift [5]. Die wissenschaftlichen Beiträge erschienen darüber hinaus in einem englischsprachigen Tagungsband.

Ausblick: Datenzugang bleibt zentrale Schnittstelle der künftigen Institutsforschung

Die rechtswissenschaftliche Untersuchung von Fragen des Datenzugangs prägte die Institutsforschung auch im Jahr 2020 maßgeblich. Insbesondere die Forschungsgruppe „Regulierung der digitalen Wirtschaft“, die sich derzeit schwerpunktmäßig mit den Implikationen Künstlicher Intelligenz für das Immaterialgüterrecht beschäftigt, hat die Frage nach Zugang zu den für „Maschinelles Lernen“ essenziellen Daten stets im Blick. Die Klärung des Verhältnisses wettbewerbspolitischer Strategien und etwaiger neuer Zugangsregime zu bestehenden Schutzrechten stellt insoweit eine besonders dringliche Herausforderung für den europäischen Rechtsrahmen dar. Neben der Arbeit der Forschungsgruppe, die aus den beiden Direktoren der juristischen Abteilung des Instituts (Josef Drexl und Reto M. Hilty), wissenschaftlichen Referentinnen und Referenten sowie wissenschaftlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen besteht, widmen sich auch individuelle Dissertations- und Forschungsprojekte Fragen des Datenzugangs. Auf dieser Grundlage wird das Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb auch in den kommenden Jahren die (nicht nur) den Datenzugang betreffende europäische Rechtsentwicklung und Rechtspolitik unterstützen und begleiten.

Literaturhinweise

Drexl, J.
Connected Devices – An Unfair Competition Law Approach to Data Access Rights of Users

Max Planck Institute for Innovation & Competition Research Paper No. 20-22 (2020)

Hoffmann, J.
Safeguarding Innovation through Data Governance Regulation: The Case of Digital Payment Services
Max Planck Institute for Innovation & Competition Research Paper No. 20-08 (2020)
Richter, H.
The Law and Policy of Government Access to Private Sector Data (‘B2G Data Sharing’)

Max Planck Institute for Innovation & Competition Research Paper No. 20-06 (2020)

Richter, H.
Zugang des Staates zu Daten der Privatwirtschaft

Zeitschrift für Rechtspolitik 53 (8), 245–248 (2020)

Globocnik, J.; Scheuerer, S.
Datenzugang, Verbraucherinteressen und Gemeinwohl – Bericht über die Verbraucherrechtstage 2019 des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz in Berlin, 12. und 13. Dezember 2019

Journal of Intellectual Property, Information Technology and Electronic Commerce Law 11 (2), 228–240 (2020)

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