Digitale Wiedergeburt des „geschickten Menschen“

Rekonstruktion des berühmten Homo habilis wirft ein neues Licht auf die menschliche Evolution

4. März 2015

Mithilfe modernster bildgebender Verfahren rekonstruierte ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Fred Spoor vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und dem University College London das Originalfossil von Homo habilis. Die Rekonstruktion zeigt diesen bisher stets kontrovers diskutierten menschlichen Vorfahren jetzt in einem neuen und unerwarteten Licht. Die Ergebnisse offenbaren, das Homo habilis sich von anderen frühen menschlichen Arten unterscheidet und, dass seine evolutionären Wurzeln noch weiter zurück reichen als bisher gedacht. Die Forschung wurde von der Max-Planck-Gesellschaft unterstützt und in Zusammenarbeit mit den Nationalen Museen von Tansania durchgeführt.

Im Jahre 1964 verkündeten Anthropologe Louis Leakey und seine Kollegen die Entdeckung der neuen Menschenart Homo habilis („geschickter Mensch”) als damals frühesten bekannten Vertreter unserer evolutionären Abstammungslinie. Im Mittelpunkt stand damals wie heute das Fossil Olduvai Hominid 7 (kurz OH 7): Es besteht aus einem Unterkiefer, Teilen einer Schädeldecke und den Handknochen eines einzelnen Individuums. Diese versteinerten Knochen waren in den 1,8 Millionen Jahre alten Gesteinsschichten in der Olduvai-Schlucht in Tansania gefunden worden.

In den letzten 50 Jahren bestand die Herausforderung für die Evolutionsforschung darin, herauszufinden, welche anderen Fossilien ebenfalls zu Homo habilis gehören. Der Zustand des Originalfossils OH 7 stellte dafür allerdings ein Hindernis dar: Der Unterkiefer war verzogen und vom Gehirnschädel waren nur Fragmente des Scheitelbeins erhalten. Die Forscher nahmen sich dieses Problems mit Hilfe modernster bildgebender Verfahren an. Sie digitalisierten die Fundstücke mittels Computertomografie (CT), lösten die verschobenen Einzelteile voneinander und setzten diese dann virtuell am Computer wieder neu zusammen.

Nach Wochen mühevoller Rekonstruktionsarbeiten überraschte die „wiedergeborene“ Version des OH 7 die Forscher mit einer unerwarteten Mischung von Merkmalen. Der Unterkiefer hat eine äußerst primitive Form und besteht aus einer langen und engen Zahnreihe, die eher der viel älteren Art Australopithecus afarensis („Lucy“) ähnelt als näher verwandten Arten, wie z.B. Homo erectus. Dagegen zeigt die rekonstruierte Gehirnkapsel von OH 7, dass das Gehirnvolumen von Homo habilis größer war als bisher angenommen und damit dem des Homo erectus ähnelt. Die Forscher konnten nun erstmals den entzerrten OH 7 mit anderen menschlichen Fossilien vergleichen und kamen dabei zu zwei wichtigen Erkenntnissen.

Zum einen zeigen große Gestaltunterschiede des Unterkiefers zwischen frühen Fossilien der menschlichen Linie, dass vor 2,1 bis 1,6 Millionen Jahren drei verschiedene menschliche Arten nebeneinander existierten: Homo habilis, Homo erectus und Homo rudolfensis. „Komplexe statistische Analysen zeigen Gestaltunterschiede zwischen den Unterkiefern verschiedener Frühmenschenarten, die manchmal so groß sind wie die Unterschiede zwischen Schimpansen und heute lebenden Menschen”, sagt Philipp Gunz vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, der an der aktuellen Studie maßgeblich beteiligt war. In der Vergangenheit wurden Unterschiede hinsichtlich des Gehirnvolumens häufig als ein wichtiges Kriterium zur Charakterisierung früher Arten der Gattung Homo herangezogen. Die neuen Untersuchungen zeigen aber, dass sich die drei Arten nicht anhand ihres Gehirnvolumens voneinander unterscheiden lassen, sondern anhand ihrer Gesichter.

Des Weiteren liefern die Ergebnisse neue Einblicke in die evolutionären Ursprünge der menschlichen Linie. Bisher gingen Forscher davon aus, dass ein 2,3 Millionen Jahre altes Fossil aus Äthiopien (der Fund mit der Nummer AL 666-1) entweder einem Vorfahren oder frühen Repräsentanten der Art Homo habilis gehörte. Anhand der neuen Daten ist aber jetzt ersichtlich, dass die Gestalt dieses äthiopischen Oberkiefers eher der eines modernen Menschen ähnelt, und dass der Träger des Kiefers damit als Vorfahre des viel ursprünglicheren Homo habilis ausscheidet. Stattdessen scheinen dieses Fossil aus Äthiopien und OH 7 aus Tansania unterschiedliche evolutionäre Linien zu repräsentieren, die sich vermutlich vor 2,3 Millionen Jahren voneinander getrennt hatten. Ihr gemeinsamer Vorfahre war jedoch bis zu dieser Woche völlig unbekannt.

In der Fachzeitschrift Science berichtet ein anderes Forscherteam zeitgleich mit Spoor und Kollegen über die Entdeckung eines 2,8 Millionen Jahre alten Unterkiefers aus Ledi-Geraru in Äthiopien, welcher nun den frühesten Beleg für die Gattung Homo liefert (Science Express, 5. März 2015). Das neue Fossil LD 350-1 könnte möglicherweise einem Vorfahren von Homo habilis und anderen Arten der Gattung Homo gehört haben. „Die digitale Neuentdeckung von Homo habilis und seinem wahren Aussehen ließ uns Rückschlüsse ziehen, wie sein Vorfahre ausgesehen haben mag — doch bis heute waren keine solchen Fossilien bekannt“, sagt Fred Spoor, der am University College London und am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie forscht. „Jetzt tauchte — fast wie bestellt — der Ledi-Geraru-Kiefer auf und liefert uns ein plausibles evolutionäres Bindeglied zwischen Australopithecus afarensis und Homo habilis.

SJ, PG

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