Mauerblümchen des Erdsystems

Algen, Flechten und Moose binden riesige Mengen Kohlendioxid und Stickstoff aus der Atmosphäre und beeinflussen so auch das Klima

3. Juni 2012

In Städten sind Algen, Flechten und Moose meist nicht beliebt und werden oft von Dächern und Mauern entfernt. Sie nur als störend wahrzunehmen, tut den kryptogamen Schichten, wie der flächige Bewuchs wissenschaftlich bezeichnet wird, aber völlig Unrecht. Wie Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz jetzt herausgefunden haben, nimmt der meist unauffällig aussehende Bewuchs riesige Mengen Kohlendioxid und Stickstoff aus der Luft auf und fixiert diese an der Erdoberfläche. Er macht etwa die Hälfte der natürlichen Stickstofffixierung an Land aus und nimmt so viel Kohlendioxid auf, wie jährlich durch Waldbrände und Biomasseverbrennung entsteht. Die neuen Ergebnisse helfen dabei, globale Stoffkreislauf- und Klimamodelle zu verbessern, in denen die Kohlenstoff- und Stickstoffbilanz der kryptogamen Schichten bisher vernachlässigt wurde.

Welche Rolle Wälder und Meere für das Klima und den weltweiten Austausch von Sauerstoff, Kohlenstoff und Stickstoff spielen, ist in zahlreichen wissenschaftlichen Studien dokumentiert. Die Bedeutung von an Land wachsenden Algen, Flechten, und Moosen für die Stoffkreisläufe und damit auch für die Kohlendioxid-Bilanz wird jedoch meist wenig beachtet. Dabei bedecken die kryptogamen Schichten einschließlich der Blaualgen (Cyanobakterien) schätzungsweise 30 Prozent der weltweiten Landflächen, wozu auch die Oberflächen von Pflanzen gehören. Zu den Kryptogamen gehören Lebewesen, die ihre Energie durch Photosynthese gewinnen, aber keine Blüten haben. Man findet sie nicht nur auf Dächern, Bäumen oder Mauern, sondern in allen Ökosystemen. Auch Felsen und Böden in Trockengebieten sind oftmals mit kryptogamen Schichten bedeckt, die zu den ältesten Lebensformen auf unserem Planeten zählen. 

„Eigentlich wollten wir wissen, welche Stoffe die kryptogamen Schichten an die Luft abgeben“, sagt Wolfgang Elbert, der die Untersuchungen am Max-Planck-Institut für Chemie ins Rollen brachte. „Dabei haben wir festgestellt, dass es zwar schon zahlreiche Studien zur ökologischen Rolle dieser Lebewesen gibt, ihr Beitrag zur globalen Kohlenstoff- und Stickstoffbilanz aber bisher vernachlässigt wurde.“ Um der Bedeutung der kryptogamen Schichten auf die Spur zu kommen, analysierten die Chemiker in Zusammenarbeit mit Biologen und Geowissenschaftlern Daten aus mehreren hundert Studien zum Vorkommen und Stoffwechsel des kryptogamen Bewuchses. Ihre Bilanz: Algen, Moose und Flechten nehmen jährlich etwa 14 Milliarden Tonnen Kohlendioxid und etwa 50 Millionen Tonnen Stickstoff auf.

Kryptogame sind ökologisch wichtig, vor allem weil sie Stickstoff binden

Die Größe der Zahlen überraschte die Mainzer Forscher und ihre Kollegen von der Universität Kaiserslautern und vom Biodiversität und Klima Forschungszentrum der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung in Frankfurt. Denn die kryptogamen Schichten binden in etwa so viel Kohlendioxid, wie das Abbrennen von Wäldern und anderer Biomasse jährlich freisetzt.

Besonders erstaunlich ist die Stickstoffmenge, die von den kryptogamen Schichten fixiert und somit dem Boden und anderen Lebewesen zugeführt wird. „Sie entspricht der Hälfte des an Land natürlich fixierten Stickstoffs, was für die Entwicklung von Ökosystemen von besonders großer Bedeutung ist, da Stickstoff oft die limitierende Nährstoffkomponente darstellt. Auch die CO2-Aufnahme von Pflanzen ist häufig durch die Verfügbarkeit von Stickstoff begrenzt“, erläutert Ulrich Pöschl, Leiter der Mainzer Arbeitsgruppe.

Die Ergebnisse untermauern daher, dass kryptogame Schichten gerade in nährstoffarmen Ökosystemen und trockeneren Gebieten eine wichtige Stickstoffquelle sind und die Fruchtbarkeit und Festigkeit des Bodens fördern.

SB/PH

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