"Alle Macht dem Markt? Fallstudien zur Abwicklung der Deutschland AG"

Wissenschaftler des MPI für Gesellschaftsforschung analysieren Reaktionen deutscher Unternehmensleitungen auf die Globalisierung.

2. Juli 2003

Die Deutschland AG, das Netzwerk aus kooperierenden und vor Einflussnahme von außen geschützten Großunternehmen, ist in Auflösung begriffen. Der deutsche Finanzsektor wandelt sich zu einer im Bereich des Investmentbankings international operierenden Industrie. Gleichzeitig werden Shareholder-Value-Konzepte zunehmend auf deutsche Unternehmen übertragen. In diesem Band wird analysiert, wie deutsche Unternehmensleitungen auf diese Entwicklung reagieren.

Anhand unternehmensbezogener Fallstudien behandeln die Autoren des Bands die Auflösung zentraler Wesensmerkmale der deutschen Spielart des organisierten Kapitalismus. Ausgangspunkt der Beiträge ist das Spannungsverhältnis zwischen einzelwirtschaftlich-betriebswirtschaftlichen und öffentlichen Interessen. Die "Deutschland AG" war, so die Autoren, durch Macht zerstreuende Unternehmensverfassungen auf einzelwirtschaftlicher Ebene, durch Querverbindungen zwischen Unternehmen unterschiedlicher Sektoren, durch staatliche Interventionen sowie durch Abschottung vor Einflussnahme von außen gekennzeichnet. Eine Schlüsselstellung nahm dabei der deutsche Finanzsektor ein, der als finanz- und strukturpolitische Exekutive fungierte und Merkmale einer Institution bzw. einer gesamtwirtschaftlichen Infrastruktur aufwies.

Die Autoren legen dar, dass sich die besonders hinsichtlich ihrer Verflechtungsstrukturen im internationalen Vergleich eigentümliche deutsche Spielart des Kapitalismus in den neunziger Jahren deutlich verändert und in Bezug auf viele ihrer Merkmale dem angloamerikanischen Marktmodell angenähert hat. Die Indizien hierfür sind vielfältig. Sie reichen von der Auflösung des Verflechtungsnetzwerks über den rückläufigen Zugriff der Politik auf Finanzunternehmen und die Investmentbank-Strategien der Großbanken bis zur Entdeckung der Aktionärsinteressen durch große Industrie-, Dienstleistungs- und Finanzunternehmen. In ihren Fallstudien gehen die Autoren den Ursachen und Konsequenzen dieser Entwicklungen nach.

Einführend stellen Streeck und Höpner die Wesensmerkmale der deutschen Spielart des organisierten Kapitalismus dar, diskutieren Richtung und Ursachen des Wandels und stellen die Beiträge des Bandes vor. In ihrer Fallstudie zum Niedergang der AEG verweisen Ipsen und Pfitzinger auf die spezifischen Schwachstellen des deutschen Systems der Unternehmenskontrolle. Dasselbe gilt für Hassel, die Praxis, Krise und Ende des gemeinwirtschaftlichen Sektors behandelt. Die Veränderungen im deutschen Finanzsektor, allen voran der Deutschen Bank, der Dresdner Bank und der Allianz, analysiert Beyer. Höpner und Jackson vergleichen die Versuche, den Reifenhersteller Continental, den Stahlkonzern Thyssen und den Mischkonzern Mannesmann feindlich zu übernehmen. Drei Analysen von Eckert, Vitols und Becker beschäftigen sich mit Shareholder-Value-Strategien von Unternehmen der deutschen Chemie- und Pharmaindustrie. Zugöher vergleicht die Rolle der Mitbestimmung bei den Umstrukturierungen von e.on und Siemens, und Rehder untersucht Standortvereinbarungen als neues Instrument, mit dem Unternehmensleitungen und Betriebsräte versuchen, sich an neue Umweltbedingungen anzupassen.

Inhalt

Vorbemerkung

Einleitung: Alle Macht dem Markt?
Wolfgang Streeck und Martin Höpner

Krise in der Deutschland AG: Der Fall AEG
Dirk Ipsen und Jens Pfitzinger

Wer beherrschte die Gemeinwirtschaft? Unternehmenskontrolle in politischen Unternehmen
Anke Hassel

Deutschland AG a.D.: Deutsche Bank, Allianz und das Verflechtungszentrum des deutschen Kapitalismus
Jürgen Beyer

Entsteht ein Markt für Unternehmenskontrolle? Der Fall Mannesmann
Martin Höpner und Gregory Jackson

Auf dem Weg zur Aktionärsorientierung: Shareholder Value bei Hoechst
Stefan Eckert

Viele Wege nach Rom? BASF, Bayer und Hoechst
Sigurt Vitols

Der Einfluss des Kapitalmarkts und seine Grenzen: Die Chemie- und Pharmaindustrie
Steffen Becker

Kapitalmarktorientierung und Mitbestimmung: Veba und Siemens
Rainer Zugehör

Corporate Governance im Mehrebenensystem: Konfliktkonstellationen im Investitionswettbewerb
Britta Rehder

Die Autorinnen und Autoren

Herausgeber
Prof. Dr. Wolfgang Streeck ist Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln und Apl. Professor im Fach Soziologie an der Universität zu Köln.

Dr. Martin Höpner war von 1999 bis 2001 Doktorand und ist seit 2002 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung.

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