Peter Gruss: "Deutschland braucht eine starke außeruniversitäre Spitzenforschung"

Präsident der Max-Planck-Gesellschaft zieht positive Zwischenbilanz zum Pakt für Forschung und Innovation / Vertiefung der Zusammenarbeit mit Hochschulen und Forschungseinrichtungen

24. November 2005

Eine weitere Stärkung von Hochschulen und außeruniversitärer Spitzenforschung hat der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Prof. Peter Gruss, gefordert. Nur wenn jeder Bereich auch für sich genommen stark sei, könnten Hochschulen und außeruniversitäre Spitzeneinrichtungen gemeinsam den für die Zukunft Deutschlands wichtigen "Vorsprung durch Innovation" schaffen. Die dringend benötigte Aufstockung der staatlichen Hochschulförderung dürfe deshalb nicht zu Lasten der erfolgreichen außeruniversitären Forschung gehen. Die von der Großen Koalition angekündigte Erhöhung der Forschungsausgaben sowie die Bestätigung des Paktes für Forschung und Innovation und der Exzellenzinitiative bezeichnete Gruss als "ermutigende Signale". Anlässlich der Jahrespressekonferenz kündigten der Präsident und die Generalsekretärin der Max-Planck-Gesellschaft, Dr. Barbara Bludau, außerdem an, die Zusammenarbeit mit den Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen weiter zu vertiefen.

In den Jahren 1991 bis 2003 stiegen die Bruttoinlandsausgaben für Forschung und Entwicklung (BAFE) im Hochschulsektor um rund 49 Prozent (von 6,1 auf 9,1 Milliarden Euro). Bei den außeruniversitären Einrichtungen weist der aktuelle "Bundesbericht Forschung" hingegen eine Ausgabenerhöhung von 33 Prozent aus (1991: 5,5 Milliarden; 2003: 7,3 Milliarden Euro).

Bezogen auf die gesamten BAFE-Ausgaben in Deutschland - sie wuchsen im selben Zeitraum um rund 43 Prozent auf insgesamt 54,3 Milliarden Euro - zeigt sich hier eine Scherenentwicklung: Während die Ausgaben im Hochschulsektor anteilig von 16,2 auf 17,1 Prozent stiegen, sank der Anteil der Ausgaben der außeruniversitären Forschung von 14,4 auf 13,7 Prozent. Deshalb appellierte Präsident Gruss: "Die dringend benötigte finanzielle Stärkung der Hochschulforschung darf nicht zu Lasten der außeruniversitären Einrichtungen gehen".

Mit einem Anteil von unter 14 Prozent an der BAFE-Summe rangiert die außeruniversitären Forschung in Deutschland nicht höher als der europäische Durchschnitt; Frankreich liegt mit 17,9 Prozent der entsprechenden Ausgaben in diesem Sektor (2002) sogar deutlich darüber. In den USA ist der vergleichbare Anteil der Ausgaben für Forschungseinrichtungen außerhalb der Hochschulen sogar gewachsen - von 13,1 (1991) auf 14,4 Prozent (2003). Verlautbarungen, wonach die Hälfte der staatlichen Forschungsfinanzierung - und damit angeblich weit mehr als in vergleichbaren Industriestaaten - in die außeruniversitäre Forschung fließe, wies der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft daher zurück.

Außeruniversitäre Spitzenforschung - Schlüssel zum Erfolg

"Der internationale Vergleich mit führenden Wissenschaftsnationen zeigt: Die Existenz von international ausgewiesenen Forschungseinrichtungen außerhalb der Universitäten ist nicht das Problem, sondern ein Schlüssel zum Erfolg von nationalen Forschungssystemen. Wenn wir also außeruniversitäre Einrichtungen der Spitzenforschung wie die Max-Planck-Gesellschaft weiterhin als Garant für die weltweite Sichtbarkeit deutscher Wissenschaft haben wollen, muss sich dies auch im öffentlichen Bewusstsein und in den forschungspolitischen Prioritätenentscheidungen zeigen", unterstrich Peter Gruss.

Der Präsident verwies in diesem Zusammenhang auf die internationale Spitzenstellung der Max-Planck-Gesellschaft: Bei den wissenschaftlichen Zitationen in den Feldern Chemie, Physik oder den Materialwissenschaften belegt die Forschungsorganisation vor den USA oder Japan Platz eins. Das neu erschienene Jahrbuch 2005 weist für die Max-Planck-Institute über 12600 Veröffentlichungen aus. Mehr als ein Drittel aller deutschen Beiträge in den weltweit führenden Fachjournalen wie "Nature" oder "Science" stammt aus Max-Planck-Instituten. Dies erreicht die Max-Planck-Gesellschaft mit einem Etat, der mit 1,3 Milliarden Euro etwa dem von zwei großen deutschen Universitäten entspricht.

Den Pakt für Forschung und Innovation würdigte Peter Gruss als "ermutigendes Signal in Zeiten einer dramatischen Lage der öffentlichen Haushalte". Auch wenn die zugesagten jährlichen Haushaltssteigerungen für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen im internationalen Vergleich geringer ausfielen, gäbe das bis 2010 in Aussicht gestellte jährliche Plus von mindestens drei Prozent die für wichtige längerfristige Forschungsvorhaben notwendige finanzielle Planungssicherheit.

Intensive Kooperation mit den Hochschulen

Die zusätzlichen Einnahmen (etwa 30 Millionen Euro p.a.) wird die Max-Planck-Gesellschaft vor allem für neue wissenschaftliche Initiativen, aber auch für forschungspolitische Programme zur engeren Kooperation und damit Stärkung der Hochschulen einsetzen, denn: "Starke Hochschulen brauchen starke außeruniversitäre Kooperationspartner und umgekehrt" erklärte Peter Gruss. In diesem Zusammenhang legte der Präsident anlässlich der Jahrespressekonferenz eine erste Zwischenbilanz der Max-Planck-Gesellschaft vor. Hierzu zählen beispielsweise sechs weitere International Max Planck Research Schools, die 2006 an den Start gehen werden. In den bereits bestehenden 37 Schools sind derzeit rund 1.500 Doktoranden eingeschrieben, 60 Prozent von ihnen kommen aus dem Ausland. Diese Nachwuchswissenschaftler profitieren von den gemeinsamen Forschungs- und Ausbildungsmöglichkeiten, die Max-Planck-Institute gemeinsam mit ihren universitären Partnern in enger Kooperation anbieten.

Außerdem sollen in den nächsten Jahren bis zu zehn Universitätsprofessoren zu Max Planck Fellows ernannt werden. Damit bietet die Max-Planck-Gesellschaft besonders erfolgreichen Hochschullehrern die Möglichkeit, ihre Forschungsarbeiten an Universitäten durch die Leitung einer eigenen Arbeitsgruppe an einem Max-Planck-Institut fünf Jahre lang zu unterstützen. Beide Kooperationspartner profitieren, indem die Professoren zusätzliche Forschungsmöglichkeiten erhalten, die wiederum Synergien für die Aktivitäten der Max-Planck-Institute schaffen. 2006 werden die ersten Fellows ihre Arbeit aufnehmen.

Die Max-Planck-Gesellschaft will diesen Austausch zwischen ihren Instituten und den Universitäten auch künftig weiter vertiefen. In diesem Zusammenhang verwies Präsident Gruss auf das erfolgreiche Modell der Doppelberufung von Max-Planck-Direktoren. Das derzeit wohl prominenteste Beispiel gebe der designierte Nobelpreisträger für Physik des Jahres 2005, Professor Theodor Hänsch: Er lehrt an der Ludwig-Maximilians-Universität München und forscht am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching, wo ihm das für den Nobelpreis entscheidende Experiment gelungen ist.

Kooperation mit der Fraunhofer-Gesellschaft

Zusätzlich zu diesen Kooperationen mit Universitäten wird die Max-Planck-Gesellschaft neue Wege der Zusammenarbeit mit der Fraunhofer-Gesellschaft beschreiten. So werden das Max-Planck-Institut für Eisenforschung in Düsseldorf und das Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik (Freiburg) erstmals eine gemeinsame Arbeitsgruppe gründen. Dieses Projekt mit dem Titel "Simulation der Mechanik von Vielkristallen" wird in den kommenden drei Jahren mathematische Beschreibungen von Metallen aus der Grundlagenforschung mit der anwendungsorientierten Simulation von Fertigungsprozessen für die industrielle Praxis zusammenführen. Weitere Max-Planck-Institute beabsichtigen, auf den Gebieten der Mathematik und Informatik mit Fraunhofer-Instituten in zwei bis drei Schwerpunktregionen besonders eng zu kooperieren. Darüber hinaus besteht eine Vielzahl weiterer Kooperationsprojekte mit der Fraunhofer-Gesellschaft.

"Unser arbeitsteiliges Forschungssystem aus universitären und außeruniversitären Einrichtungen, aus Grundlagenforschung und angewandter Forschung hat sich bewährt. Ich bin überzeugt, dass es durch stärkere Vernetzung auch in Zukunft das erforderliche Potenzial für Innovation aufbringen kann", erläuterte Peter Gruss. Dabei sei eine förderliche politische Rahmensetzung wie etwa durch den Pakt für Forschung und Innovation wichtig. Die Umsetzung müsse jedoch nach wissenschaftsbasierten Gesichtspunkten durch die selbstverwalteten Forschungseinrichtungen erfolgen.

Über den Pakt hinaus werden die Institute der Max-Planck-Gesellschaft auch am Programm zur Förderung von Spitzenuniversitäten (Exzellenzinitiative) mitwirken. Nach derzeitigem Stand beabsichtigen 70 der insgesamt 78 Max-Planck-Institute, an mindestens einem Programm im Rahmen der Exzellenzinitiative für die Hochschulen teilzunehmen.

Anlässlich der Jahrespressekonferenz der Max-Planck-Gesellschaft unterstrich Peter Gruss auch die Forderung der großen deutschen Wissenschaftsorganisationen nach "Forschungspolitik aus einem Guss". Beim geplanten Ressortzuschnitt - die Zuständigkeit über wichtige Förderbereiche wie die Raumfahrt soll in das Wirtschaftsministerium wechseln - komme es darauf an, die institutionelle Grundförderung der Forschungseinrichtungen eng mit der ergänzenden Projektförderung im Sinne eines "maximalen Outputs für Innovation" zu verzahnen. Dies müsse auch Leitlinie bei der künftigen Neugestaltung der bundesstaatlichen Ordnung einschließlich der entsprechenden Koordinierungsgremien von Bund und Ländern sein.

Neues Denken in der Innovationspolitik

Dabei forderte Präsident Gruss auch neues Denken in der Innovationspolitik, denn: "Das lineare Wertschöpfungsmodell von der Grundlagen- über die angewandte Forschung und Entwicklung hin zu neuen Produkten hat ausgedient", sagte Gruss und verwies auf die vielen Beispiele in der Max-Planck-Gesellschaft, in denen Innovationen aus der Grundlagenforschung direkt entwickelt worden seien. Der Zusammenbruch des Neuen Marktes habe jedoch die Lücke zwischen Grundlagenforschung und Produktvorlaufforschung weiter vergrößert. Auch hier habe die Max-Planck-Gesellschaft mit ihrem "Innovationsfonds der Deutschen Forschung" ein entsprechendes Lösungskonzept vorgelegt.

Die Max-Planck-Gesellschaft wird damit auch ihre Kooperationen mit der Industrie weiter vertiefen. Bestätigt sieht sich der Präsident dabei von einer repräsentativen Umfrage des Allensbach-Instituts für Demoskopie unter Führungskräften aus forschungsintensiven Unternehmen. Demzufolge genießt die Max-Planck-Gesellschaft in Wirtschaftskreisen einen Bekanntheitsgrad von 95 Prozent. (In der Gesamtbevölkerung kennen 75 Prozent die Max-Planck-Gesellschaft; sie ist damit so bekannt wie keine andere Forschungsorganisation in Deutschland). Über 70 Prozent dieser Führungskräfte sind überzeugt, dass das Geld für die Max-Planck-Gesellschaft "gut angelegt" sei. Drei Viertel der befragten Unternehmen geben an, die Max-Planck-Gesellschaft helfe Arbeitsplätze in Deutschland zu sichern.

In diesem Zusammenhang appellierte Präsident Gruss an die Wirtschaft, den nötigen Beitrag zur Erreichung des Lissabon-Zieles auch weiterhin zu leisten, d.h. auch künftig zwei Drittel der BAFE-Summe zu finanzieren. Das Ziel der Großen Koalition, die BAFE-Ausgaben in Deutschland bis 2010 auf mindestens drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu steigern, nannte Gruss die wichtigste finanzpolitische Prioritätenentscheidung zugunsten von Wissenschaft, Forschung und Innovation. "Jetzt kommt es darauf an, dass Regierung und Parlamente dieses Ziel samt den neuen forschungspolitischen Programmen nicht nur in ihren Budgetentscheidungen unterstützen, sondern auch juristische Hürden für die Forschung weiter abbauen". Als Beispiele für solche Hürden nannte Gruss die Haftungsregelungen im (Grünen) Gentechnikgesetz sowie die derzeitige Fassung des Stammzellgesetzes, insbesondere hinsichtlich der Stichtagsregelung und der in Europa unterschiedlichen Strafbewehrungsregelungen.

Neue wissenschaftliche Initiativen

Erfreut zeigte sich der Präsident über die Ankündigung, das künftige Forschungsministerium werde die Erforschung der Alterung und die Therapie degenerativer Krankheiten zum Förderschwerpunkt machen. Hier bestünden bereits vielfältige Aktivitäten in der Max-Planck-Gesellschaft, ein "Max-Planck-Institut für die Biologie des Alterns" solle per Senatsbeschluss im Juni 2006 gegründet werden. Derzeit werde engagiert an der Konkretisierung des wissenschaftlichen Konzepts, der Auswahl künftiger Gründungsdirektoren und geeigneter Standorte gearbeitet.

Als "absolute Spitzenforschung", bei der sich auch die Max-Planck-Gesellschaft engagieren wird, bezeichnete Gruss das europäische Röntgenlaserprojekt XFEL (x-ray free-electron laser), das gemeinsam mit dem DESY-Forschungszentrum der Helmholtz-Gemeinschaft und der Universität Hamburg bis 2012 realisiert werden soll. Derzeit wird - im Sinne der Kooperationspolitik - mit Universität und Senat in Hamburg über die Gründung einer Max-Planck-Forschungsgruppe an der Universität bzw. im Center for Free Electron Laser Studies verhandelt. Sie soll dieses bahnbrechende Projekt maßgeblich unterstützen. Hierbei wird ein neuartiger Laser aus kurzwelligem Röntgenlicht mit sehr hoher Energie und milliardenfach höherer Leuchtstärke als heutige Röntgenquellen zum Einsatz kommen und neue Einblicke in naturwissenschaftliche Prozesse ermöglichen. Mit XFEL lassen sich beispielsweise Moleküle bei chemischen Reaktionen in Echtzeit beobachten, so dass selbst atomare Details erkennbar werden.

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