Wertewiderspruch in der Gesetzgebung ausschließen

Stellungnahme des Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft zur Diskussion um eine begrenzte Zulassung der Präimplantationsdiagnostik in Deutschland

14. April 2011

Die Präimplantationsdiagnostik (PID) ist ein in verschiedenen Ländern erfolgreich angewandtes Verfahren, das es ermöglicht, im Reagenzglas erzeugte Embryonen noch vor der Schwangerschaft auf schwere genetische Schäden zu untersuchen. Diese Technologie kann etwa bei Paaren zur Anwendung kommen, die Träger monogener Krankheiten sind und sich für eine künstliche Befruchtung mittels In-vitro-Fertilisation (IVF) entschieden haben.

Die deutsche Politik regelt die rechtlichen Rahmenbedingungen für dieses Verfahren gerade neu; jede und jeder Bundestagsabgeordnete wird nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden müssen. Ich hielte es allerdings für fragwürdig, wenn die PID – nur weil es sich um ein neues wissenschaftliches Verfahren handelt – strengeren Regelungen unterworfen würde als ein Schwangerschaftsabbruch.

Die bereits seit Jahren geltende gesetzliche Regelung zum Schwangerschaftsabbruch (§ 218) ermöglicht es in Deutschland – unter bestimmten Voraussetzungen und unter Einhaltung bestimmter Vorgaben – eine Schwangerschaft straffrei abzubrechen. Damit wurde der Entscheidungsfreiheit und der Würde der Frau ein sehr hoher Stellenwert eingeräumt. Sie trägt aber gleichzeitig die Bürde der Gewissensentscheidung, die die Gesellschaft – und die Gesetzgebung – ihr nicht abnimmt.

Ein absolutes Verbot der PID wäre ein Wertewiderspruch zu dieser Regelung. Denn damit würde man einer Frau – nach der ohnehin enormen Belastung einer IVF – quasi eine „Schwangerschaft auf Probe“ zumuten. Käme bei den anschließenden Schwangerschaftsuntersuchungen eine schwerwiegende Erkrankung zutage, könnte die Frau die Schwangerschaft straffrei abbrechen. So hätte ein Embryo in einem noch aus wenigen Zellen bestehenden Stadium, der bei der PID untersucht und möglicherweise verworfen wird, einen höheren Schutz als das ungeborene Leben im Mutterleib. Zugleich bedeutet es für eine Frau eine ungleich stärkere seelische Belastung, einen vollständig entwickelten Fetus abzutreiben als zu entscheiden, einen Embryo aus der IVF-Behandlung am Beginn der Entwicklung nicht einpflanzen zu lassen. Ich kann mich hier nur der Stellungnahme der Akademien und dem Memorandum der Bundesärztekammer anschließen: Der Bundestag sollte diesen Wertewiderspruch in der Gesetzgebung ausschließen.

Selbstverständlich nehme ich die Bedenken sehr ernst, die mit der PID einen Dammbruch befürchten, in dessen Folge es etwa zur Selektion von Embryonen nach gewünschten Eigenschaften kommen könnte. Dass dies in großem Umfang der Fall werden wird, ist äußerst unwahrscheinlich. Denn die Entnahme von Eizellen und die nachfolgende Implantation ist eine mehr als unangenehme Prozedur, die kaum zu einem Standardverfahren der menschlichen Reproduktion werden wird. Zudem ist eine Selektion für komplexe Eigenschaften wie etwa die Intelligenz aus biologischer und medizinischer Sicht wohl in näherer Zukunft unmöglich. Eine Geschlechterauswahl ohne genetischen Krankheitsbezug hingegen ist machbar und sollte verboten werden.

Eine weitere nicht mindere Sorge betrifft die Auswirkungen auf das Selbstverständnis und auch die gesellschaftliche Akzeptanz von Behinderten. Daher wäre es sinnvoll, eine Ethikkommission als Voraussetzung zur Anwendung der Gendiagnostik am Embryo im Reagenzglas einzusetzen. In England beispielsweise sind behinderte Menschen Mitglieder der Kommissionen, die über jede einzelne PID befinden, ein ähnliches Modell könnte man für Deutschland in Erwägung ziehen. Zudem befürworte ich, die PID ausschließlich in zertifizierten Zentren zuzulassen.

Grundsätzlich sehe ich aber in der PID, wenn sie sorgfältig angewandt wird, ein wertvolles Verfahren, das Leid mindern kann und für einige Menschen eine große, wenn nicht die einzige Chance darstellt, Kinder zu bekommen. Ihnen diese Möglichkeit zu verwehren, hieße auch, die Freiheit solcher Paare einzuschränken, ihr Leben nach eigenen Vorstellungen zu gestalten.

Das Gesetz kann nur Rahmenbedingungen schaffen, in denen – wie bei der Abtreibung – die betroffene Frau oder das betroffene Elternpaar eine individuelle Gewissensentscheidung auf Basis ihrer Freiheit treffen kann.

Ich möchte aber noch einen anderen Aspekt beleuchten: Die derzeitige breite öffentliche Debatte zur PID und die rasante Entwicklung der Erkenntnisse über das menschliche Genom und die Lesbarkeit der individuellen genetischen Information machen deutlich, wie sehr die Lebenswissenschaften in unser Leben eingreifen. Wir sollten daher den offenen, informierten Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft kontinuierlich in Gang halten.

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