Austausch zum syrischen Recht

Hamburger MPI beschäftigt geflüchtete Juristen – die gemeinsame Arbeit nützt auch den Behörden

Wird eine Ehe, die syrische Bürger vor ihrer Flucht im Machtbereich des Terrorregimes Islamischer Staat geschlossen haben, in Europa anerkannt? Um Fragen wie diese besser erforschen zu können, unterstützen geflüchtete syrische Juristen ein neues Forschungsprojekt des MPI für ausländisches und internationales Privatrecht. Parallel helfen die Wissenschaftler bei Behördengängen und Anträgen. Unterstützung bei der Integration und wissenschaftlicher Mehrwert kommen so zusammen.

Wie viele ihrer Landsleute sind Ahmad Jarken, Hussam Al-Asmi und Bilal Hajjo aus Syrien geflohen – und versuchen nun, in Deutschland Fuß zu fassen. In der Heimat hatten sie Jura studiert oder als Anwalt gearbeitet. Qualifikationen, die in Deutschland wenig nützen, da die Juristen zwar das syrische Recht kennen, aber nicht das deutsche.

Anders beim neu ins Leben gerufenen Forschungsprojekt zum Familienrecht in Syrien. Hier wird genau dieses Wissen um das geltende Recht in Syrien gebraucht. Seit Ende Januar 2016 unterstützen die drei Syrer die Max-Planck-Forschungsgruppe „Das Recht Gottes im Wandel“. Sie erhalten ein Praktikumsentgelt, sind halbtags am Institut – damit, wie bei Bilal Hajjo, Zeit bleibt, um extern angebotene Deutschkurse zu besuchen. Noch spricht der 31-Jährige, der mit Frau und Kind geflüchtet ist und nun in einer eigenen Wohnung in Hamburg lebt, lieber Englisch, das gehe flüssiger, aber „mein Deutsch wird besser“, sagt Hajjo und ergänzt: „Ich bin sehr froh über diese Chance, meine Erfahrungen hier einbringen zu können.“

Auf drei Monate ist das Praktikum vorerst angelegt, es soll für die Akademiker ein Baustein sein, um eine eigene Perspektive zu finden, und ihnen gleichzeitig die Möglichkeit bieten, ihr Wissen aktiv zu nutzen. „Der Zustrom von Flüchtlingen stellt die europäischen Behörden und Gerichte vor sehr konkrete Fragen zum gegenwärtig geltenden Recht in Krisengebieten wie Syrien und dem Irak“, erklärt Nadjma Yassari, die Leiterin der Forschungsgruppe. Familienbeziehungen, die im Zuge des Asylverfahrens nachgewiesen werden müssen, könnten dort sowohl unter dem staatlichen Recht als auch in autonomen, fremdbeherrschten Gebieten zustande gekommen sein. Wie geht man nun mit Dokumenten um, die in diesen autonomen Gebieten ausgestellt wurden? Wie sind rein religiöse Eheschließungen zu beurteilen, wie die Zivilehe, die jüngst in den kurdischen Gebieten „eingeführt“ worden ist? Können polygame Ehen anerkannt werden, und gelten Kinder aus solchen Ehen als ehelich? „All diese Informationen sind wichtig, wenn es darum geht, den Familiennachzug festzustellen. Zugleich geben sie den Behörden Einblick in eine Rechtsordnung, die ihnen sehr fremd erscheinen mag. Die syrischen Kollegen sind dabei nicht nur Übermittler von Daten, sondern auch Mittler eines fremden Rechtsverständnisses“, unterstreicht Yassari.

Ein Kalender als Quelle

Allein die Daten aber sind schon ein Problem, denn üblicherweise betreiben die Wissenschaftlerinnen um Yassari, deren Arbeit von der Max-Planck-Förderstiftung finanziell unterstützt wird, Feldforschung vor Ort. So können sie Unterschiede zwischen Rechtstext und gelebter Rechtspraxis ermitteln. Da Urteile aus Syrien zurzeit kaum zugänglich sind, bringt nun Bilal Hajjo sein Wissen als Anwalt ein. „Anhand seines Anwaltskalenders rekonstruiert und verschriftlicht er die Fälle, die er in Syrien bearbeitet hat“, sagt Yassari. Ahmad Jarken und Hussam Al-Asmi führen ergänzende Recherchen zum rechtlichen Flickenteppich in Syrien durch. Mittelfristig sollen die Forschungsergebnisse auf einer Webseite veröffentlicht werden. Dabei sollen relevante Rechtsgebiete wie das Internationale Privatrecht, Familien- und Erbrecht sowie das Verfahrensrecht systematisch aufgearbeitet und für ein breites Publikum zugänglich gemacht werden. Im Idealfall erhalten so Gerichte wie Behörden Lösungsansätze für Entscheidungen. Gutachtenanfragen zum Thema sind am Institut längst eingegangen.

STA/JE

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