Forschungsbericht 2023 - Max Planck Florida Institute for Neuroscience

Ein molekularer Anker für das Gedächtnis

Autoren
Rangaraju, Vidhya
Abteilungen
Department of Neuroenergetics
Zusammenfassung
Mitochondrien, unsere biologischen Kraftwerke, sind in der Nähe neuronaler Synapsen verankert, um deren Umbau während der Gedächtnisbildung zu unterstützen. Es war jedoch ein Rätsel, wie die Mitochondrien dort lokal stabilisiert werden. Wir haben entdeckt, dass das mit ALS - Amyotrophe Lateralsklerose, einer Erkrankung der Motoneuronen - verbundene Protein VAP ein molekularer Anker ist, der Mitochondrien in der Nähe von Synapsen hält und so die Gedächtnisbildung unterstützt. Diese Erkenntnis eröffnet neue Wege für die Erforschung von kognitiven und motorischen Störungen bei ALS.

Gedächtnisbildung: Immer noch Terra Incognita?

Jede neue Erfahrung führt zu einer schnellen Umgestaltung sowohl der Struktur und Funktion unserer Neuronen als auch ihrer Verbindungen untereinander. Diese synaptischen Plastizität ist entscheidend für unser Lernen und unsere Anpassungsfähigkeit. Allerdings erfordern diese raschen Veränderungen eine Menge Energie. Glücklicherweise sind unsere Neuronen darauf angepasst, diese Veränderungen zu fördern. Biologische Kraftwerke, sogenannte Mitochondrien, werden strategisch in der Nähe der Schauplätze dieser synaptischen Umstrukturierung platziert, um eine lokale und effiziente Energieversorgung zu gewährleisten. Jedoch wie genau diese Mitochondrien in Synapsennähe verankert werden, war bisher unklar.

Vor kurzem haben wir einen molekularen Anker namens VAP (vesicle-associated membrane protein-associated protein) identifiziert, der Mitochondrien in der Nähe von Synapsen stabilisiert. Die Identifizierung von VAP als molekularen Anker ist von besonderer Bedeutung, da eine Mutation in VAP zu ALS (Amyotrophe Lateralsklerose), einer fortschreitenden Erkrankung der Motoneuronen, führt (Abb. 1; [1]).

Wir haben diese Studie eingangs begonnen, um die grundlegenden Eigenschaften der Gedächtnisbildung im Allgemeinen zu verstehen. Unsere überraschenden Ergebnisse aber haben wichtige neue Richtungen für unsere Forschung eröffnet. Wir werden nun vorrangig die bisher kaum erforschten zellulären Mechanismen der kognitiven Symptome untersuchen, die häufig zusammen mit den motorischen Symptomen der ALS auftreten. Wir nehmen an, dass die von uns dafür entwickelten Forschungsansätze ganz neue Erkenntnisse im Bereich der Gedächtnisbildung liefern werden.

Stabile Mitochondrien unterstützen die Plastizität von Synapsen in Dendriten

Neuronen haben eine umfangreiche, komplexe Morphologie und werden ständig umstrukturiert. Um diese Veränderungen mit Energie zu versorgen, werden Mitochondrien in neuronalen Dendriten in der Nähe von Synapsen verankert. Durch diese Stabilisierung kann die von den Mitochondrien produzierte Energie die lokale Plastizität, also die strukturelle und funktionelle Umgestaltung von Synapsen, während der Gedächtnisbildung effizient unterstützen. Wie jedoch die Mitochondrien in der Nähe von Synapsen stabilisiert werden, war bisher unklar.

Die Suche nach einem molekularen Anker

Um diese Wissenslücke zu schließen, haben wir einen unvoreingenommenen Ansatz gewählt, um Proteine zu identifizieren, die als Anker zur Stabilisierung dendritischer Mitochondrien dienen könnten. Zuerst verwendeten wir ein chemo-genetisches Werkzeug, das alle Proteine außerhalb der Mitochondrien chemisch markiert. Fortschritte in der modernen Proteomik erlaubten uns dann, die markierten Proteine zu identifizieren. Bei diesem Screening wurden über 100 Proteine identifiziert, die als Kandidaten für die Verankerung der Mitochondrien in Frage kommen (Abb. 2).

Wir grenzten nachfolgend unsere Suche ein, indem wir nur noch Proteine berücksichtigten, die mit dem Aktin-Zytoskelett interagieren könnten. Das Aktin-Zytoskelett ist ein Netzwerk aus Proteinfilamenten, das unter anderem in der Nähe von Synapsen in Dendriten lokalisiert ist und dazu beiträgt, die synaptische Struktur zu definieren und umzugestalten. Unsere früheren Untersuchungen hatten gezeigt, dass die Stabilität der Mitochondrien in Dendriten von Aktin abhängt. Die Beschränkung auf aktinbindende Proteine hat unsere Suche schließlich nur noch auf eine Handvoll Kandidaten eingegrenzt.

Um festzustellen, ob diese Proteine für die Stabilisierung der Mitochondrien unerlässlich sind, entfernten wir sie nacheinander genetisch aus den Neuronen und untersuchten die Stabilität der Mitochondrien in den Dendriten. Was wir fanden, war verblüffend.

Das ALS-assoziierte Protein VAP stabilisiert Mitochondrien, um Plastizität zu fördern

Als wir ein bestimmtes Protein namens VAP entfernten, wurden die dendritischen Mitochondrien destabilisiert. Die Interaktion der Mitochondrien mit Aktin war reduziert, und die Mitochondrien selbst waren kleiner als gewöhnlich. Hinzu kam, dass die Mitochondrien mit der Zeit von den Synapsen davondrifteten.

Zuletzt untersuchten wir, ob die synaptische Plastizität durch die mitochondriale Instabilität nach dem Entfernen von VAP beeinträchtigt war. Dazu induzierten wir in einer Gruppe von unveränderten Synapsen gezielt Umstrukturierungen und verglichen die strukturellen Veränderungen mit Neuronen, denen VAP fehlte. In Neuronen ohne VAP waren die synaptischen Veränderungen drastisch eingeschränkt. Sie konnten außerdem die induzierten Veränderungen im Aufbau der Synapsen in Abwesenheit von VAP nicht aufrechterhalten.

Die Entdeckung, dass VAP als mitochondrialer Anker dient und die Gedächtnisbildung unterstützt, ist von besonderer Bedeutung. Eine einzige Mutation in VAP verursacht eine vererbbare Form von ALS, eine fortschreitende Degeneration der Motoneuronen. Diese von uns beobachtete Bindung der Mitochondrien an das Zytoskelett weist darauf hin, dass die Stabilisierung dieser Bindung durch VAP ein kritisches Element für die neuronale Funktion ist. Wir sind hoch motiviert, unseren Forschungsschwerpunkt auf die Frage auszuweiten, was im Gehirn passiert, wenn die mitochondriale Energieversorgung gestört ist. Dieser Schwerpunkt hat das Potenzial, gemeinsame Mechanismen der Neurodegeneration bei ALS und anderen neurologischen Erkrankungen zu finden.

Literaturhinweise

Bapat, O.; Purimetla, T.; Kruessel, S.; Shah, M.; Fan, R.; Thum, C.; Rupprecht, F.; Langer, J. D.; Rangaraju, V.
VAP spatially stabilizes dendritic mitochondria to locally support synaptic plasticity
Nature Communications 15: 205 (2024)
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