Forschungsbericht 2022 - Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz (Standort Martinsried)

Gerüche und Erinnerungen – Auf Spurensuche im Zebrafischgehirn

Autoren
Frank, Thomas
Abteilungen
Forschungsgruppe „Olfaktorisches Gedächtnis“
Zusammenfassung
Wir nehmen Gerüche nicht immer gleich wahr. Stattdessen bestimmen frühere Erfahrungen, Umstände und innere Zustände wie Hunger oder Stress unsere Geruchswahrnehmung– und damit gegebenenfalls auch, mit welcher Verhaltensäußerung wir reagieren. Was dabei im Gehirn geschieht, untersucht unsere Arbeitsgruppe am Modell des Zebrafisches. Im transparenten Gehirn der Tiere können wir die sensorischen, assoziativen und motorischen Schaltkreise untersuchen, die zusammenwirken, um geruchsgesteuertes Verhalten hervorzubringen.

Einleitung

Unser Geruchssinn ist in vielerlei Hinsicht besonders. Zum Beispiel reicht oft ein vertrauter Duft, um lebhafte Erinnerungen hervorzurufen – an schöne Orte oder Ereignisse aus der Kindheit, oder auch traumatische Erlebnisse. Die Geruchswahrnehmung ist somit eng mit dem Erinnerungssystem und unseren Emotionen verknüpft. Bestimmte Düfte wirken entspannend, andere dagegen erfrischend. Darüber hinaus haben Gerüche oft auch einen direkten Einfluss auf das Verhalten. Der Geruch von Essen oder Parfüm verdreht uns buchstäblich den Kopf, während uns ein Hauch von Fäkalien voller Ekel zurückschrecken lässt.

Die neuronalen Grundlagen dieser engen Verbindungen zwischen Geruchswahrnehmung und dem Gedächtnis, der Emotion und dem Verhalten sind bisher jedoch kaum verstanden [1].
Wie unterschiedliche Gerüche im Kontext der Futtersuche, des Paarungs- oder Fluchtverhaltens eingeordnet und mit den entsprechenden motorischen Programmen verknüpft werden, untersuchen wir am Modell des Zebrafisches (Danio rerio). Dieser zeigt eine Vielzahl von Verhaltensweisen und Reaktionen, die - ähnlich wie bei anderen Wirbeltieren - von Gerüchen beeinflusst werden. Die jungen Fischlarven sind zudem nahezu transparent, sodass neuronale Aktivität leicht mit optischen Methoden erfasst werden kann. Eine Vielzahl an genetischen Werkzeugen ermöglicht es zudem, einzelne Nervenzellen und Schaltkreise gezielt zu manipulieren und ihre Rolle bei der Geruchswahrnehmung zu untersuchen.

"Gute" und "schlechte" Gerüche

Tiere müssen laufend beurteilen, ob ein Reiz "gut" oder "schlecht" ist, um angemessen zu reagieren – zum Beispiel mit Annäherung, Ignorieren oder Flucht. Bestimmten Reizen einen "Wert" (Valenz) zuzuordnen ist daher ein wesentlicher Bestandteil ihrer Umwandlung in gebührende Verhaltensreaktionen. So werden viele Reize bereits angeboren als anziehend oder abstoßend wahrgenommen.
Sowohl bei Menschen als auch bei Tieren stellt die Valenz das wichtigste Klassifizierungsmerkmal von Gerüchen dar [2]. Die Kodierung dieses Merkmals im Wirbeltiergehirn ist jedoch bislang kaum verstanden.

In früheren Studien konnten unser Forscherteam zeigen, dass das Zebrafisch-Äquivalent des olfaktorischen Kortex eine tierspezifische "Landkarte" der Geruchs-Valenz enthält [3].
An der Berechnung der Valenz ist ein komplexes Netzwerk verschiedener kortikaler und subkortikaler Bereiche beteiligt, darunter der Riechkolben, der olfaktorische Kortex, und der präfrontale Kortex [4]. Um zu verstehen, wie einem bestimmten Geruch die jeweilige Valenz zugeordnet wird, muss der Fluss der Geruchsinformationen somit über die einzelnen Hirnareale hinaus im gesamten Netzwerk untersucht werden.

Für diese Untersuchungen haben wir zuerst das Verhalten junger Zebrafische in Antwort auf verschiedene Gerüche charakterisiert. So konnten wir Gerüche identifizieren, die auf die Tiere anziehend oder abstoßend wirkten. Da die jungen Fische optisch transparent sind, lässt sich unter dem Mikroskop beobachten, wie und wo sich die neuronale Aktivität im gesamten Gehirn während des geruchsgesteuerten Verhaltens ändert. Die Untersuchungen zeigten, dass die Valenz eines Geruchsreizes die Zellaktivität in den gehirnweiten Netzwerken deutlich beeinflusst. Die Nervenzellantworten auf angenehme bzw. abstoßende Gerüche unterschieden sich klar voneinander (Abb. 1).
Interessanterweise findet sich diese Unterscheidung nach Valenz in vielen, aber nicht in allen Teilen des Gehirns. Die Aktivität einzelner Gehirnregionen spiegelt nicht die Valenz wieder, sondern das tatsächlich geäußerte Verhalten als Antwort auf die Präsentation eines Geruchs.

Basierend auf den gewonnenen Erkenntnissen untersuchen wir nun die Mechanismen der Valenzkodierung in den entsprechenden Gehirnregionen. Das Ziel ist es, die Funktion der beteiligten Schaltkreise besser zu verstehen: Wie beeinflussen beispielsweise die Anwesenheit anderer Geruchsreize oder vorherige Erfahrungen diesen Prozess? Und wie werden diese Informationen in den nachfolgenden Schaltkreisen verarbeitet?

`Stopp und Go` im olfaktorischen Kortex

Der olfaktorische Kortex gilt als bedeutender Schaltkreis für die erfahrungsabhängige Wahrnehmung von Gerüchen. Eine wichtige Rolle spielt dabei sein dichtes Netzwerk rückkoppelnder, erregender Synapsen. Durch die ausgeprägte Veränderbarkeit dieses synaptischen Netzwerks können Gerüche im Gedächtnis "abgespeichert" werden, beispielsweise um diese anschließend besser von ähnlichen, aber nicht identischen Gerüchen unterscheiden zu können. Gleichzeitig ermöglicht dieses Netzwerk auch das Vervollständigen der Geruchserinnerung: So wird ein erlernter Geruch wiedererkannt, selbst wenn er etwa in einem anderen Kontext oder in leicht abgewandelter Form auftritt.

Aufgrund der für die Funktion benötigten erregenden, rückkoppelnden Synapsen läuft das Netzwerk aber stets Gefahr, durch Verstärkung seiner eigenen Aktivität in einer Art Rückkopplungsschleife außer Kontrolle zu geraten. Netzwerke wie der olfaktorische Kortex sind daher besonders anfällig für das Auftreten krankhafter Aktivitätsmuster, die unter bestimmten Bedingungen epileptische Anfälle hervorrufen können. Damit dies vermieden wird, spielen hemmende Zellen und Schaltkreise eine wichtige Rolle.

Tatsächlich konnten wir einen hemmenden Schaltkreis im Zebrafisch-Äquivalent des olfaktorischen Kortexes identifizieren, der eine wichtige Rolle beim Vermeiden solcher pathologischen Aktivitätsmuster spielt (Abb. 2). Weitere Untersuchungen zeigten, dass dieser Schaltkreis Aktivitätsmuster, die sich ähneln – analog zu neuronalen Repräsentationen ähnlicher Gerüche, wie zum Beispiel die zweier Zitrusfrüchte, Orangen und Zitronen – besonders stark diversifiziert. Damit trägt der Schaltkreis spezifisch dazu bei, ähnliche Gerüche verlässlich zu unterscheiden. Diese neue Erkenntnis zeigt, dass die Aufgaben hemmender Schaltkreise über die bisher angenommene, unspezifische Funktion der Aktivitätsunterdrückung im olfaktorischen Kortex hinausgehen [4].

Literaturhinweise

Brann, D.H.; Datta, S.R.
Finding the Brain in the Nose
Annual Review of Neuroscience 43, 277–295 (2020)
Secundo, L.; Snitz, K.; Sobel, N.
The perceptual logic of smell
Current Opinion in Neurobiology, Theoretical and Computational Neuroscience 25, 107-115 (2014)
Frank, T.; Mönig, N.R.; Satou, C.; Higashijima, S.; Friedrich, R.W.
Associative conditioning remaps odor representations and modifies inhibition in a higher olfactory brain area
Nature Neurosciecnce 22, 1844–1856 (2019)
Wang, P.Y.; Boboila, C.; Chin, M.; Higashi-Howard, A.; Shamash, P.; Wu, Z.; Stein, N.P.; Abbott, L.F.; Axel, R.
Transient and Persistent Representations of Odor Value in Prefrontal Cortex
Neuron 108, 209-224.e6 (2020)
Poo, C.; Isaacson, J.S.
Odor Representations in Olfactory Cortex: “Sparse” Coding, Global Inhibition and Oscillations
Neuron 62, 850–861 (2009)
Zur Redakteursansicht