Wann macht Stress krank?

Die molekulare Beschaffenheit einer Glutamat-Bindungsstelle im Gehirn bestimmt, ob jemand auf Stress sensibel reagiert

16. Dezember 2010

Sowohl Menschen als auch Tiere reagieren auf Stress unterschiedlich. Während manche bei Dauerbelastung Krankheitssymptome zeigen, sind andere gegen Stress resistent und werden nicht krank. Warum dies so ist, war lange Zeit unklar. Nun haben Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in Studien an Mäusen die molekulare Beschaffenheit einer im Zentralnervensystem weit verbreiteten Bindungsstelle, den AMPA-Rezeptor, als mögliche Ursache für die Unterschiede identifiziert. An diesen Rezeptor bindet der Botenstoff Glutamat, der für die Vermittlung von Nervenimpulsen verantwortlich ist. Die Entdeckung könnte in Zukunft dabei helfen, das individuelle Risiko für stressassoziierte Krankheiten zu ermitteln. (Journal of Neuroscience, Online-Vorabpublikation, 15. Dezember 2010)

Jeder reagiert anders auf Stress: Während anhaltende Belastung oder auch eine einmalige, starke Stresssituation - beispielsweise ein traumatisches Erlebnis - beim Einen eine psychiatrische Erkrankung wie eine Depression oder eine Posttraumatische Belastungsstörung auslöst, entwickeln Andere keine Krankheit. Die individuelle Stresstoleranz ist dabei im Wesentlichen von der biologischen Konstitution abhängig. Die molekularen Mechanismen sind jedoch bisher weitgehend unbekannt.

Eine Forschergruppe um Matthias Schmidt am Münchner Max-Planck-Institut für Psychiatrie hat nun im Experiment an Mäusen herausgefunden, dass die Fähigkeit zum Umgang mit Stress von der Zusammensetzung des AMPA-Rezeptors im Gehirn beeinflusst wird. Der Rezeptor besteht aus vier Untereinheiten, GluR1 bis GluR4, und dient als Bindungspartner für den Nervenbotenstoff Glutamat. Als Ionenkanal vermittelt er die Weiterleitung von elektrischen Impulsen zwischen Nervenzellen und kann somit Wahrnehmung, Empfinden, Reaktionen und Verhalten beeinflussen. Für die Zusammensetzung des AMPA-Rezeptors sind sowohl genetische als auch epigenetische, also umweltbedingte Faktoren verantwortlich.

Die spezifische Zusammensetzung aus den Untereinheiten GluR1 und GluR2 ist wichtig für die Fähigkeit des Rezeptors, Kalzium-Ionen in die Zelle fließen zu lassen und einen elektrischen Impuls auszulösen. Dies verändert die neuronale Kommunikation im Gehirn. Wie die Forscher nachwiesen, ist bei den stressempfindlichen Mäusen der GluR1-Anteil gering und der GluR2- Anteil hoch. Stressresistente Mäuse zeigen hingegen nur einen geringen Anteil von GluR2.

Für ihre Studie setzten die Wissenschaftler junge Mäuse mehrere Wochen lang sozialem Stress aus. Hierfür konfrontierten sie die in Kleingruppen lebenden Tiere alle drei bis vier Tage mit neuen Artgenossen, so dass diese die hierarchischen Strukturen innerhalb der Gruppe immer wieder neu ausfechten mussten. Dies führt zu einer hormonell messbaren Stressreaktion, die bei den stressresistenten Tieren am Ende der chronischen Belastung wieder abklingt. Bei stressempfindlichen Tieren jedoch sind die Stresshormone dauerhaft erhöht, ähnlich wie beispielsweise auch bei Patienten mit Depression.

Interessanterweise zeigten Verhaltensstudien, dass die Zusammensetzung des AMPA-Rezeptors und damit die Stressresistenz mit messbaren Änderungen im Kurzzeitgedächtnis korreliert. So führt ein GluR2-reicher AMPA-Rezeptor in der Maus auch ohne Stresseinwirkung zu veränderter neuronaler Aktivität sowie zu schlechteren Gedächtnisleistungen. Ließe sich diese Korrelation beim Menschen als Biomarker nutzen, um auf die Beschaffenheit des AMPA-Rezeptors zu schließen, so könnte dies helfen, das individuelle Risiko für stressassoziierte Krankheiten zu ermitteln. Darüber hinaus sollen weitere Studien prüfen, ob sich eine spezifische Wirkverstärkung des AMPA-Rezeptors in Zukunft therapeutisch nutzen lässt.

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