Kurzsichtig durch ein Netz von Farben

Wissenschaftler aus Göttingen entwickeln einen Computer-Algorithmus, um bisher unlösbare Abzählprobleme zu knacken

6. Februar 2009

Wie viele unterschiedliche Sudokus gibt es? Auf wie viele verschiedene Weisen lassen sich die Länder auf einer Landkarte einfärben? Und wie verhalten sich die Atome in einem Festkörper? Forscher vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen und der Cornell University (Ithaca, USA) haben nun eine neuartige Methode entwickelt, mit der sich diese Fragen schnell beantworten lassen. Prinzipiell war bisher zwar ein Lösungsweg bekannt. Doch für die meisten Anwendungen konnten Computer die Lösung nicht bestimmen. Die nötige Rechenzeit war zu lang. In der neuen Methode schauen die Wissenschaftler nun nur einzelne Ausschnitte des Problems an und arbeiten diese nacheinander ab. Bislang hatten sie in jedem Rechenschritt etwa die gesamte Landkarte oder das gesamte Sudoku im Blick. Viele Fragestellungen aus Physik, Mathematik und Informatik lassen sich so erstmals beantworten. (New Journal of Physics, 4. Februar 2009)

Ob Sudoku, Deutschlandkarte oder Festkörper - in allen Fällen geht es darum, Möglichkeiten zu zählen. Beim Sudoku sind es die erlaubten Lösungen, beim Festkörper die möglichen Anordnungen der Atome. Und im Fall der Landkarte stellt sich die Frage, auf wie viele Weisen sich die Karte einfärben lässt, so dass benachbarte Länder stets verschiedene Farben tragen. Abzählprobleme dieser Art stellen Wissenschaftler als Netz aus Linien und Knoten dar. Beantworten müssen die Forscher dann nur eine Frage: Auf wie viele Weisen lassen sich die Knoten einfärben, wenn eine bestimmte Anzahl von Farben vorgegeben ist? Einzige Bedingung: Knoten, die durch eine Linie verbunden sind, dürfen nicht dieselbe Farbe haben. Je nach Anwendung kommt der "Farbe" eines Knotens dabei eine völlig andere Bedeutung zu. Im Fall der Landkarte ist mit "Farbe" tatsächlich die Farbe gemeint, beim Sudoku entsprechen den "Farben" verschiedene Ziffern.

"Der bisherige Algorithmus kopiert bei jedem Rechenschritt das gesamte Netz und ändert dabei jeweils nur einen Aspekt", erklärt Frank van Bussel vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation. Mit zunehmender Anzahl von Knoten nimmt die Rechenzeit deshalb dramatisch zu. Für ein quadratisches Gitter von der Größe eines Schachbretts etwa beträgt sie schätzungsweise viele Milliarden Jahre. Der neue Algorithmus, den die Wissenschaftler aus Göttingen entwickelt haben, ist deutlich schneller. "Unsere Rechnung für das Schachbrett-Gitter dauert nur sieben Sekunden", führt Denny Fliegner vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation aus.

Der Trick: Mit der neuen Methode hangeln sich die Forscher von Knoten zu Knoten durch das Netz. Als sei das Computerprogramm kurzsichtig, berücksichtigt es stets nur den nächsten Knotenpunkt. Das gesamte Netz hat es nicht im Blick. Am ersten Knotenpunkt etwa, kann es zwar noch keine Farbe endgültig auswählen. Denn dafür müsste es wissen, wie alle anderen Knoten miteinander verbunden sind. Doch anstatt diese Frage sofort zu klären, notiert das Programm für den ersten Gitterpunkt eine Formel, die diese Unwägbarkeit als unbekannte Größe enthält. Beim Fortschreiten durch das Netz werden nach und nach alle Verbindungen sichtbar und die Unbekannten entfallen. Am letzten Knotenpunkt angekommen, kennt das Programm dann das gesamte Netz.

Diese neue Methode ist auf deutlich komplizierte Fälle anwendbar als der bisherige Standard-Algorithmus. "Wir können nun viele Fragen aus Physik, Graphentheorie und Informatik beantworten, die bisher praktisch unlösbar waren", sagt Marc Timme vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation. "Unsere Methode lässt sich beispielsweise auch auf antiferromagnetische Festkörper anwenden", fügt er hinzu. In diesen Festkörpern besitzt jedes Atom einen inneren Drehimpuls, den so genannten Spin, der verschiedene Werte annehmen kann. Die atomaren Spins richten sich in der Regel so aus, dass benachbarte Atome verschiedene Spins aufweisen. Die Anzahl der möglichen Anordnungen ist nun auch in der Praxis berechenbar. Daraus können Physiker auf grundlegende Eigenschaften der Thermodynamik von Festkörpern schließen.

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