Spiegel in Verschränkung

Die Eigenschaften von zwei Teilchen können voneinander abhängen, obwohl beide kilometerweit voneinander entfernt sind und keine Information austauschen. Was wie ein Spuk erscheint, nennen Physiker Verschränkung. Bei kleinen Teilchen haben sie das Phänomen bereits beobachtet, nun wollen sie zwei schwere Spiegel verschränken.

Text: Roland Wengenmayr

Klares, nüchternes Denken ist wohl das beste Rezept gegen die Irrwege, auf die selbst Physiker geraten können, sobald sie Quantenphysik in verständliche Bilder fassen wollen. Diesen Eindruck vermittelt jedenfalls Roman Schnabel, als er in seinem aufgeräumten Büro am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover geduldig erklärt, woran er forscht. Für modischen Quanten-Mystizismus jedenfalls hat der junge Professor für Experimentalphysik nichts übrig. Dabei scheut er durchaus nicht den Kontakt zu anderen Denkwelten. Kürzlich, erzählt er, habe er einen Vortrag über Quantenphysik auf einer Veranstaltung an einem Asien-Institut gehalten, die das Verhältnis zwischen Naturwissenschaften und Buddhismus beleuchtete.

„Anders als in der dort vorgestellten buddhistischen Lehre gibt es in der Quantenphysik zum Beispiel den echten Zufall“, erzählt Schnabel. Dass Dinge völlig ohne Grund passieren können, ist nur eine der Eigenheiten der Quantenwelt. Noch merkwürdiger mutet das Phänomen an, das der Wiener Quantenphysiker Erwin Schrödinger in den 1930er-Jahren Verschränkung taufte. Danach können zwei Teilchen ein Quantenobjekt formen, selbst wenn sie weit voneinander entfernt sind.

Hinzu kommt, dass in der Quantenwelt jede Messung das gemessene Objekt verändert. Misst man also an einem Teilchen die Quanteneigenschaft, über die es mit anderen Teilchen verschränkt ist, dann legt das schlagartig dieselbe Eigenschaft für jedes der beteiligten Teilchen fest. Dabei ist es egal, wie weit diese voneinander entfernt sind. Bei verschränkten Lichtquanten (Photonen) in Luft funktioniert das noch über 144 Kilometer Entfernung, wie österreichische Physiker 2007 zeigten.

Solche spektakulären Demonstrationen gehen auf Gedankenexperimente aus den 1930er-Jahren zurück. Damals stritten sich die hellsten Köpfe der Physik heftig um die Konsequenzen der noch jungen Quantenmechanik. Vor allem Albert Einstein wollte die vermeintlichen Schwächen messerscharf sezieren. Mittlerweile können Experimentatoren diese Gedankenexperimente realisieren – und siehe da: Die Natur ist exakt so verrückt, wie es die Quantentheorie beschreibt.

Starke Laser sollen zwei massive Spiegel verschränken

Seit den 1970er-Jahren entwickelt sich die experimentelle Quantenphysik zu einem faszinierenden Forschungsfeld, dessen besonderer Fokus sich auf die Verschränkung richtet. Dieses Phänomen beschreibt die Quantenmechanik zwar mathematisch präzise. Doch seine Konsequenzen widersprechen jeglicher Erfahrung, die wir im Alltag machen. In unserer Umwelt nehmen wir nur große Dinge wahr, für die subtile Quanteneffekte normalerweise in der Flut physikalischer Wechselwirkungen untergehen. Nur modernste Experimentierkunst kann die empfindliche Verschränkung präparieren und eine Weile aufrechterhalten.

Die Quantenmechanik setzt prinzipiell weder der räumlichen Distanz der miteinander verschränkten Objekte eine Grenze – noch deren Größe. Ob sich auch richtig große, schwere Objekte verschränken lassen, will nun Roman Schnabel mit Mitarbeitern seiner 18-köpfigen Forschungsgruppe untersuchen. Auch andere Arbeitsgruppen versuchen das nun mit größeren Objekten als Photonen oder atomaren Materiebausteinen, zum Beispiel mit Riesenmolekülen. Doch Schnabels Idee ist weitaus kühner: Starkes Laserlicht soll zwei massive Spiegel miteinander verschränken. Er will zunächst mit Spiegeln von „vielleicht hundert Gramm“ starten und dann das Gewicht auf gut ein Kilogramm steigern. Gelingt das, dann wäre die Verschränkung endgültig in unserer Welt großer, fassbarer Objekte angelangt.

Der Plan ist so gründlich durchdacht, dass die kritischen Gutachter von Physical Review Letters, der renommiertesten Physikzeitschrift, ihn abgesegnet haben. Sollte er gelingen, wäre das eine Sensation. Schnabel ist zuversichtlich, denn er kann eine einzigartige Präzisionstechnik einsetzen, die am Albert-Einstein-Institut für das große Gravitationswellen-Experiment GEO600 entwickelt wurde.

Auf die Frage, wie er seinem Friseur die Verschränkung erklären würde, muss Schnabel herzlich lachen. Verständliche Bilder zu finden ist nicht einfach. Einen ersten Eindruck vermittelt ein Gedankenexperiment mit zwei Spielern, die sich gegenseitig nicht sehen können. Ein Schiedsrichter legt zwei Würfel in einen Becher und schüttelt sie. Das Besondere: Es sind Quantenwürfel, und das Schütteln verschränkt sie miteinander. Nun gibt der Schiedsrichter jedem Spieler einen Würfel. Diese werfen ihn und notieren die gefallenen Zahlen. In der Quantenwelt entspricht allerdings der Wurf einer Messung, die die Verschränkung zerstört. Deshalb sammelt der Schiedsrichter nach jeder Runde die Würfel wieder ein, verschränkt sie und verteilt sie erneut. Nach einigen Runden beendet er das Spiel.

Erst eine Messung legt eine Eigenschaft verschränkter Objekte fest

Nun schauen die drei sich zunächst einen der beiden Notizzettel an: Wie erwartet sehen sie eine Reihe zufällig gefallener Zahlen. Doch als sie beide Notizen nebeneinanderlegen, entdecken sie etwas Verblüffendes: Beide Zahlenkolonnen sind identisch! Offenbar haben beide Quantenwürfel zwar Zufallszahlen produziert, aber in exakt gleicher Reihenfolge. Dafür muss die Verschränkung verantwortlich sein, denn der erfahrene Schiedsrichter hat alle Tricks und heimlichen Verständigungswege zwischen den Spielern ausgeschlossen. Zudem waren die Würfel weder gezinkt noch übten sie aufeinander verborgene Kräfte aus.

Solche Quantenwürfel gibt es zwar (noch) nicht, aber verschränkte Quantenteilchen verhalten sich ähnlich: Zwischen ihnen scheint eine seltsame Verbindung zu bestehen. Allerdings führt schon dieses Bild auf Glatteis, denn physikalische Kräfte sind nicht im Spiel. Zudem sind immer nur bestimmte Eigenschaften verschränkt. Das kann zum Beispiel bei Lichtquanten die sogenannte Polarisation sein, die man sich als kleinen Zeiger vorstellen kann. Präpariert man zwei miteinander verschränkte Photonen auf eine bestimmte Art, dann gilt, dass die Polarisationen beider Photonen in exakt die gleiche Richtung zeigen müssen.

Diesem strengen „Erhaltungssatz“ müssen sich die beiden Photonen nun zwar unterwerfen, aber die Quantenwelt lässt offen, in welche Richtung die Polarisationen in Bezug zu ihrer Umwelt zeigen. Das ist eine weitere Eigenheit der verschränkten Quantenwelt: Solange man eine Eigenschaft nicht misst, ist sie bei dem betrachteten Objekt nicht festgelegt. Erst wenn jemand an einem der beiden Photonen eine Polarisationsmessung macht, verpasst er ihm eine Zeigerrichtung relativ zur Umgebung. Sofort muss nun auch die Polarisation des anderen Photons in die gleiche Richtung zeigen, egal wie weit es weg ist.

In der Physik heißt dieser Vorgang Verschränkungskollaps. Seiner Geschwindigkeit, mit der er alle verschränkten Teilchen erfasst, setzt die Quantenmechanik keinerlei Tempolimit. Angesichts solcher Merkwürdigkeiten kritisierte Albert Einstein, dass das so sei, als gäbe es eine „geisterhafte Fernwirkung“. „Die gibt es natürlich nicht, dieses Bild wäre physikalisch komplett falsch“, betont Roman Schnabel. Kürzlich konnten Genfer Physiker zeigen, dass der Kollaps sich tatsächlich mindestens zehntausend Mal schneller als Licht ausbreitet. Das wirft die Frage auf, ob jemand durch Messungen am ersten Photon einem Empfänger mit dem zweiten Photon Informationen mit Überlichtgeschwindigkeit morsen könnte. Das würde Einsteins Spezieller Relativitätstheorie fundamental widersprechen, denn diese setzt allen physikalischen Wechselwirkungen das absolute Tempolimit der Lichtgeschwindigkeit.

An der Grenze zwischen Quanten- und Relativitätstheorie

Diese Situation rettet ausgerechnet die Quantentheorie, obwohl die theoretische Physik seit über siebzig Jahren vergeblich versucht, sie mit der (Allgemeinen) Relativitätstheorie zu vereinen. Hier klafft die größte Baulücke im Gebäude der modernen Physik. Die Quantentheorie hält sich auf höchst merkwürdige Weise an die Verkehrsregeln der Relativitätstheorie. Sie unterbindet nämlich jeglichen Verschränkungschat mit Überlichtgeschwindigkeit, indem sie den Zufall – gewissermaßen als Störsender – einbaut. Würde jemand zum Beispiel versuchen, über die Polarisation verschränkter Photonen einem Kommunikationspartner Informationsbits zu morsen, dann müsste er folgenden ärgerlichen Effekt feststellen: Jede Messung am eigenen Photon produziert kein gezieltes Bit, sondern ein völlig zufälliges Resultat, wie reine Würfelei. Daran scheitert jegliche sinnvolle Informationsübermittlung.

Die gravierende Lücke zwischen Quanten- und Relativitätstheorie haben Roman Schnabel und seine Kollegen im Blick, wenn sie schwere Objekte verschränken wollen. Bei diesen kommt nämlich die Gravitationskraft ins Spiel. Sie ist die einzige der vier Grundkräfte der Physik, die sich einer quantentheoretischen Beschreibung bislang hartnäckig entzieht. Dafür ist sie eng mit der Allgemeinen Relativitätstheorie verheiratet: Gravitation entsteht durch Verkrümmungen der Raumzeit, die Objekte mit ihrer Masse verursachen. Schnabels Spiegel, die schon recht schwer sind, sitzen demnach in einer kleinen, aber womöglich folgenreichen Raumzeit-Delle.

Der bekannte englische Theoretiker Sir Roger Penrose von der University of Oxford warf die Frage auf, ob diese Delle die hochempfindliche Verschränkung zerstören könnte. „Die meisten Physiker denken wie ich, dass das den Quantencharakter nicht verändern wird“, erklärt Schnabel. Die Verschränkung der Spiegel sollte also gelingen, aber der empfindliche Quantenzustand könnte tatsächlich Gravitationseffekte spüren. Das würde vielleicht einen völlig neuen, experimentellen Zugang zu einer noch unbekannten Quantengravitation eröffnen, die die Lücke zwischen Quanten- und Relativitätstheorie schließt. „Wenn wir die Gravitationskraft und quantenphysikalische Phänomene in solchen Experimenten miteinander verheiraten könnten, wäre das phänomenal“, sagt Schnabel begeistert: „Dann könnten wir vielleicht etwas Neues über den Zusammenhang zwischen diesen Kräften herausfinden.“

Um zu verstehen, wie die Gravitation die Verschränkung beeinflussen könnte, muss man sich das von Schnabel geplante Experiment zunächst genauer anschauen. Vor allem stellt sich die Frage, in welchen Eigenschaften man zwei so große Objekte wie die Spiegel miteinander verschränken kann. Bei mikroskopischen Quantenteilchen nutzen Physiker gerne Zerfallsprozesse, um daraus verschränkte Systeme zu gewinnen. „Die Teilchen sind dann völlig neu da und haben zunächst noch keinerlei Informationsaustausch mit dem restlichen Universum“, erklärt Schnabel. Sie haben aber eine enge Beziehung zueinander, die sich in ihrer Verschränkung äußert.

„Es ist, als würden die beiden Teilchen anfangs nur voneinander wissen“, sagt Schnabel. Erst allmählich wirken von außen vielerlei Kräfte auf sie und legen damit ihre Eigenschaften in Bezug zur Umgebung fest. Dann erst tauchen sie sozusagen in unserem Kosmos richtig auf. Dabei verlieren sie ihre quantenhafte Verschränkungsbeziehung untereinander und werden zu einzelnen Teilchen mit individuellen Eigenschaften.

Die Spiegel sind dagegen anfangs isolierte, individuelle Objekte, die nichts voneinander wissen. Also muss Schnabels Team umgekehrt vorgehen: Es muss die störenden Einflüsse der Umgebung auf die zu verschränkenden Eigenschaften zurückdrängen und die Spiegel so zu einem Quantenobjekt machen. Die Hannoveraner wollen die Spiegelschwerpunkte über einen starken Laserstrahl verschränken, dessen Photonen auf die Spiegel einen Lichtdruck ausüben. Dank dieser Kraft wirkt der Laser wie eine mechanische Feder.

„Der Ort und die Geschwindigkeit des einen Spiegelschwerpunkts soll dann nur noch durch die entsprechenden Eigenschaften des anderen Spiegelschwerpunkts bestimmt sein“, erläutert Schnabel. Ort und Geschwindigkeit beziehen sich hier auf die Achse zwischen beiden Schwerpunkten. Die Spiegel sollen also in einer Raumdimension verschränkt werden, wozu sie wie Pendel an haarfeinen Quarzfäden hängen. Eine Technik, die von GEO600 stammt. Bei kleinen Pendelausschlägen sind sie in der Achsenrichtung praktisch so frei beweglich, als würden sie schweben.

Ort und Geschwindigkeit lassen sich nicht exakt bestimmen

Wenn das Experiment gelingt, sollten die Orte und die Geschwindigkeiten der Spiegelschwerpunkte in Achsenrichtung scheinbar verschwinden. Sie lösen sich im Ungefähren auf und sind erst im Moment einer Messung wieder zu erkennen, wobei das Ergebnis einer Messung sich nur vage vorhersagen lässt. Im Schwebezustand vor der Messung sind die Spiegel miteinander verschränkt. Nach dem Abschalten des Laserlichts, das ja wie bei den Quantenwürfeln keine geheime Verbindung zwischen den Spiegel halten darf, sollte die Verschränkung theoretisch etwa eine hundertstel Sekunde überleben. In der Physik ist das eine wunderbar lange Zeit zum Experimentieren.

Der Präzisionslaser dient nicht nur der Verschränkung, sondern auch ihrem Nachweis. Denn sein Licht lässt sich als superfeines Lineal nutzen, mit dem sich die Bewegung der Spiegelschwerpunkte extrem genau vermessen lässt. Selbst Pendelausschläge von nur einem Attometer können die Physiker noch registrieren, also unvorstellbar winzige 0,000000000000000001 oder 10–18 Meter. „Das ist ein Tausendstel eines Protonendurchmessers“, betont Schnabel stolz.

Ob die Spiegel miteinander verschränkt sind, werden zwei Messergebnisse beweisen, die einander scheinbar widersprechen. Paradoxerweise sind sie im Sinne der Quantenmechanik völlig korrekt. Um das zu erklären, beschreibt Schnabel ein etwas eigenwilliges Quantenautorennen: „Stellen Sie sich dazu drei Autos auf einer dreispurigen Autobahn vor.“ Der Beobachter sitzt in einem Quantenpolizeiwagen, der mit konstant 100 km/h auf der rechten Spur fährt. Auf den linken Spuren fahren auf gleicher Höhe die beiden anderen Autos, die den zwei Spiegeln entsprechen: Sie sollen versuchen, ebenfalls exakt 100 km/h zu fahren. Der Beobachter kann die Bewegung der zwei mit einer Radarpistole erfassen. Er stellt zunächst fest, dass sie Schwankungen unterliegen: Offenbar schaffen sie es nicht, ständig exakt auf gleicher Höhe mit ihm zu sein. Nun fällt ihm etwas Merkwürdiges auf. Mit einer Einstellung seiner Radarpistole, mit der sich die genaue Position der Autos bestimmen lässt, misst er, dass die beiden Autos synchron vor- und zurückpendeln. „Sie sind also gemeinsam mal vor ihm, mal hinter ihm“, erklärt Schnabel. Über die Geschwindigkeit der Autos besagt diese Messung aber nichts.

Die zweite Messeinstellung zeigt dem Polizisten die Summe der Geschwindigkeiten an: Trotz der Schwankungen fahren beide Autos zusammengenommen immer exakt 200 km/h! Das lässt nur einen Schluss zu: Sobald der eine Wagen schneller wird, muss der andere entsprechend langsamer werden – oder umgekehrt. Demnach machen die zwei Autos also eine asynchrone Pendelbewegung gegeneinander. Doch wie groß im Augenblick dieser Geschwindigkeitsmessung der Abstand zwischen ihnen ist, verrät die Messung nicht.

Beide Messungen widersprechen einander, aber welche ist richtig? Die verblüffende Antwort lautet: beide! Es kommt nur darauf an, mit welcher Einstellung der Radarpistole der Polizist misst. Der Grund: Die zwei Autos sind in dieser Bewegungsrichtung verschränkt.

Genau so ein widersprüchliches Pendelverhalten erwartet Schnabel bei den verschränkten Spiegeln. Zwei Detektoren werden diese Spiegelbewegung in Achsenrichtung überwachen, das Laserlicht übernimmt die Rolle der Radarwellen. Ein Detektor misst präzise die Geschwindigkeit, mit der sich die Spiegel relativ zueinander bewegen, der andere Detektor die Distanz der Schwerpunkte relativ zueinander – auf Attometer genau. Die Geschwindigkeitsmessung wird eine perfekt asynchrone Pendelbewegung ergeben, die Ortsmessung dagegen ein perfektes Synchronpendeln.

Die Hannoveraner wollen damit ein berühmtes Gedankenexperiment realisieren, das Albert Einstein 1935 an der amerikanischen Princeton University zusammen mit Boris Podolsky und Nathan Rosen erdachte. Die drei Wissenschaftler wollten damit zeigen, dass die Quantenphysik unvollständig ist. Ihr Experiment führt nämlich scheinbar zu dem Schluss, dass die Orte und die Geschwindigkeiten von zwei verschränkten Objekten zugleich exakt messbar sind.

Ein erster Blick auf die Quantengravitation

Bei unserem Quantenautorennen würde zwar jede Radarmessung die Verschränkung der beiden Autos zerstören, sie lässt sich aber auf genau die gleiche Weise wieder präparieren. Also kann der Quantenpolizist frei entscheiden, ob er mal eine Orts- und dann eine Geschwindigkeitsmessung macht: Durch so eine Messreihe könnte er also im Prinzip die Orte und die Geschwindigkeiten der verschränkten Autos präzise bestimmen, wenn auch nur für das Gesamtsystem, nämlich den Abstand der Autos zueinander und ihre relative Geschwindigkeit.

Das scheint der vielfach bestätigten Heisenberg’schen Unschärferelation zu widersprechen: Nach dieser können Ort und Geschwindigkeit eines Objekts niemals zugleich präzise bestimmt werden. Aus diesem Dilemma gibt es nur einen radikalen Ausweg, der innerhalb der Quantenmechanik vollkommen schlüssig ist. Tatsächlich lässt sich in dem Quantenautorennen über den Ort und die Geschwindigkeit jedes einzelnen Autos nichts Genaues sagen. „Die verschränkten Objekte, bei uns die beiden Spiegel, besitzen bezüglich Ort und Geschwindigkeit keine individuellen Eigenschaften mehr“, erläutert Schnabel.

Einstein akzeptierte diese Sichtweise nicht, weil sie seiner Auffassung von einer physikalischen Realität widersprach: Jedes Einzelsystem des verschränkten Objekts – also hier jeder Spiegel oder jedes Auto – sollten demnach eine Geschwindigkeit und einen Ort haben, auch wenn diese nicht gleichzeitig präzise bestimmbar sind. Offenbar muss die Physik sich jedoch von diesem Ein­stein’schen Realitätsbegriff verabschieden – jedenfalls solange es keine bessere Interpretation gibt. Bislang ist nur eines sicher: Die Quantentheorie beschreibt hier die Natur ohne Widerspruch zu allen bisherigen Experimenten.

Nun lässt sich Roger Penroses Frage zur Eigengravitation verstehen, die zur Verknüpfung von Quanten- und Relativitätstheorie beitragen könnte: Wenn ein verschränkter Spiegel keinen genauen Aufenthaltsort mehr hat, dann kann er gewissermaßen neben seine eigene Raumzeit-Delle geraten – deren Aufenthaltsort die Allgemeine Relativitätstheorie nämlich exakt beschreibt. Also sollte er seine eigene Gravitation zu spüren bekommen. Sollte sich das auf seinen Quantenzustand auswirken, könnten die Experimentalphysiker erstmals einen Blick auf Quantengravitationseffekte erhaschen.

Über die Welt der Quantengravitation können die Theoretiker bislang nur spekulieren, zum Beispiel in Form der Stringtheorie. Allerdings wird es noch einige Jahre dauern, bis das Spiegelexperiment realisiert ist. Es wird jedenfalls die Vorhersagen der Quantenphysik bestätigen, davon ist Schnabel überzeugt: „Sie ist halt in einer Art und Weise richtig, wie es Einstein nicht haben wollte.“

Weitere interessante Beiträge

Zur Redakteursansicht