Heißes Wasser in kalten Kometen

Wasser entsteht in Kometen auf einem ungewöhnlichen Weg

6. September 2010

Im Wasser liegt der Ursprung des irdischen Lebens. Deswegen sind Astronomen im Universum auf der Suche nach diesem Molekül. Sie entdeckten es auf dem Mars, in interstellaren Wolken und den Gasscheiben junger Sterne, in denen sich Planeten bilden. Wasser ist auch ein Hauptbestandteil von Kometen, weswegen es die Vermutung gibt, dass diese in der Frühzeit des Sonnensystems zumindest einen Teil des Lebenselixiers auf die Erde brachten. Einer internationalen Forschergruppe um Andreas Wolf vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg gelang es jetzt, die Entstehung von Wassermolekülen im Detail zu entschlüsseln. Überraschend stellten sie dabei fest, dass die Wassermoleküle in den ultrakalten Kometen als 60 000 Grad heiße Teilchen entstehen. Für ihre Forschung verwendeten die Physiker indes kein Teleskop, sondern einen Teilchenbeschleuniger (Physical Review Letters, 3. September 2010).

In den Kometen und interstellaren Wolken ist der Ausgangsstoff des Wassers das positiv geladene Hydronium-Ion H3 O+ . Dieses Teilchen lässt sich von der Erde aus mit Teleskopen nachweisen. In den kosmischen Wolken fliegen normalerweise auch negativ geladene Elektronen umher, so dass es häufig zu Zusammenstößen kommt. Damit wird das Hydronium-Ion zwar zu dem neutralen Molekül H3O, aber es ist noch kein Wasser. Die Natur hat jedoch dafür gesorgt, dass H3O instabil ist und sofort zerfällt. "Hierfür stellt sie drei Möglichkeiten zur Wahl", erklärt Andreas Wolf: "Entweder entsteht H2O plus H, OH plus H2 oder OH plus zwei H-Atome." Ein Ziel der aktuellen Forschung ist es herauszufinden, mit welcher Häufigkeit die drei Zerfallsarten auftreten und Wasser entsteht.

Wolf und Kollegen gehen dieser Frage nach, indem sie die Elektronenanlagerung im Labor nachstellen. Hierfür verwenden sie den Heidelberger Testspeicherring, eine Art Rennbahn mit 55 Metern Umfang, auf der geladene Teilchen von Magneten geführt herumrasen.

In diesen Ring speisen die Forscher Hydronium-Ionen ein, genauer D3O+, also Hydronium-Ionen aus Deuterium, schweren Wasserstoffatomen. Den schweren Wasserstoff verwenden sie aus experimentellen Gründen, die Interpretation ihrer Versuche beeinträchtigt das aber nicht. An einer Stelle im Ring strömen zudem von außen Elektronen hinein, die die Ionen auf einem knapp zwei Meter langen Teilstück begleiten und dann den Ring wieder verlassen. Das geschieht bei jedem Umlauf, also mehrere hunderttausend Mal pro Sekunde.

In einem von sechs Fällen entsteht beim Zerfall Wasser

In dem Elektronenbad lagern sich nun - fast so wie im Weltraum - Elektronen mit Hydronium-Ionen zu Molekülen zusammen, die sofort zerfallen. Die Bruchstücke sind aber elektrisch neutral. Sie reagieren deswegen nicht auf das Magnetfeld und fliegen aus dem Speicherring heraus. An dieser Stelle hat Wolfs Gruppe einen Detektor installiert, der die auftreffenden Teilchen registriert. Dieses empfindliche Gerät entstand in Zusammenarbeit mit Kollegen des israelischen Weizmann-Instituts in Rehovot.

Mit bis zu tausend "Bildern" pro Sekunde registriert der Detektor Molekülmassen und Impulse aller Zerfallsprodukte. Aus diesen Daten lassen sich die Vorgänge beim Anlagern der Elektronen und anschließenden Auseinanderbrechen des Moleküls exakt rekonstruieren.

Das erste wichtige Ergebnis: Bei der Elektronen-Anlagerung zerfällt das Hydronium zu 16,5 Prozent - also in einem von sechs Fällen - zu Wasser. "Das ist ein recht hoher Wert", sagt Wolf. "Wahrscheinlich ist die Elektronenanlagerung an Hydronium-Ionen der wichtigste Wasserproduktionsweg in interstellaren Wolken und Kometen."

Die Moleküle schwingen mit maximaler Energie

Am häufigsten, nämlich zu 71 Prozent, zersplittert das Hydronium-Ion jedoch in die drei Bestandteile OH plus zwei H-Atome. Warum das so ist, können die Forscher jetzt erklären. Wenn sich das Elektron an dem Ion anlagert, wird dabei Bindungsenergie frei. Diese nimmt das gesamte Molekül auf und fängt an zu schwingen, ähnlich wie eine Spiralfeder, die man spannt und loslässt. "Wir haben zur Überraschung aller herausgefunden, dass die Moleküle mit der maximal möglichen Energie schwingen", sagt Wolf. Damit ist jedes Molekül bei der Elektronenanlagerung kurz vor dem Zerreißen und zerbricht eben eher in drei als in zwei Teile.

Die hohe Schwingungsenergie lässt sich auch in eine Temperatur umrechnen. Dabei kommen die Physiker auf 60 000 Grad Celsius: Wasser kommt also heiß in die Welt.

Die neuen Erkenntnisse haben noch weitere Auswirkungen. Zum einen gehen sie als Parameter in Computermodelle ein, mit denen das komplexe Reaktionsnetz in interstellaren Wolken berechnet wird. Zum anderen erklären sie rätselhafte Merkmale, die Astronomen in Infrarotspektren einiger Kometen beobachtet hatten: Die neu geborenen Wassermoleküle hören schrittweise auf zu schwingen, und bei jeder weiteren "Abregungsstufe" senden sie Infrarotstrahlung aus. Und nicht zuletzt geben die neuen Messergebnisse ungeahnt detaillierte Aufschlüsse über die elektronischen Vorgänge in einem Hydronium-Ion und dienen so als Input für quantenmechanische Modelle dieser Moleküle.

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