Forschungsbericht 2015 - Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb

Standardessentielle Patente: Die Rolle von Standardsetzungsorganisationen

Standard essential patents: The role of standard setting organizations

Autoren
Conde Gallego, Beatriz; Drexl, Josef; Harhoff, Dietmar
Abteilungen
Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht
Zusammenfassung
Rechtsstreitigkeiten zu standardessentiellen Patenten (SEPs) beschäftigen seit Jahren die Gerichte weltweit. Neben ihren beachtlichen wirtschaftlichen Schäden wirken Patentkriege besonders im Telekommunikationsbereich innovationshemmend. Als Garanten des Standardisierungsprozesses kommt Standardisierungsorganisationen (SSOs) eine Schlüsselrolle bei der Lösung von SEP-bezogenen Problemen zu. Juristen und Ökonomen untersuchen am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb gemeinsam, wie der rechtliche Rahmen der Selbstregulierung durch SSOs auszugestalten ist.
Summary
During the last years standard essential patents (SEPs) have been subject to intensive litigation worldwide. Apart from their significant economic harm, patent wars, especially in the information and telecommunication sector, have a negative impact on innovation. As key players in the standard setting context, standard setting organizations (SSOs) can contribute considerably to solve SEP-related problems. The Max Planck Institute for Innovation and Competition explores in the framework of an interdisciplinary project how the legal framework for a self-regulation by SSOs should be designed.

Patente und Standards

Gerade in Hochtechnologiebereichen, die sich schnell entwickeln, wie etwa dem Telekommunikationssektor, spielen Standards eine entscheidende Rolle bei der Innovationsförderung. Indem sie eine einheitliche technologische Basis schaffen, ermöglichen Standards die Interoperabilität von Produkten. Sie senken Transaktionskosten, erleichtern den Marktzutritt neuer Anbieter und tragen zur Verbreitung neuer Technologien bei. Dabei hängt der Markterfolg eines Standards wesentlich von der Qualität der im Standard einbezogenen Technologien sowie von seiner breiten Implementierung ab. Soll ein Standard die zur Lösung der Standardisierungsaufgabe qualitativ hochwertigste Technologie aufnehmen, führt an der Integration patentgeschützter Technologien in den Standard oft kein Weg vorbei. Die Kontrolle des Standards über Patente birgt aber zugleich Risiken für seine Implementierung. Besteht nämlich ein Patent an einer Technologie, die essentieller Bestandteil des Standards ist, kann der Standard nicht mehr ohne Inanspruchnahme der geschützten Lehre genutzt werden. Der Inhaber eines standardessentiellen Patents (SEP) kann, gestützt auf sein Exklusivitätsrecht, die Nutzung der Technologie verbieten oder diese von für ihn günstigen Lizenzkonditionen abhängig machen. Wird andererseits das Patentrecht zu sehr eingeschränkt, kann ein SEP-Inhaber mit opportunistischem Verhalten der Standardnutzer konfrontiert sein, zum Beispiel wenn diese sich dauerhaft weigern, angemessene Lizenzgebühren zu entrichten. In beiden Fällen drohen lange Rechtsstreitigkeiten, die die Standardisierungsvorteile gefährden.

Das FRAND-System

Technologische Standards werden häufig konsensuell durch die betroffenen Marktteilnehmer im Rahmen von mehr oder weniger fest strukturierten Standardisierungsorganisationen (SSOs) festgelegt. Gegenüber einer De-facto-Standardisierung weist diese Standardisierungsform erhebliche Vorteile auf, zumal sich dadurch ein langwieriger und ressourcenintensiver Wettkampf um den Standard vermeiden lässt. Die SSOs sind sich der Risiken bewusst, die die Aufnahme patentgeschützter Technologien in den Standard mit sich bringt. Daher verfügen sie regelmäßig über interne Regelwerke zum Umgang mit geschützten Technologien. Auch wenn diese Intellectual Property Policies in ihrer genauen Ausgestaltung voneinander abweichen, teilen sie meist zwei Elemente. Standardisierungsteilnehmer werden zum einen aufgefordert, standardessentielle Patente offenzulegen. Eine umfassende Patentsuche sowie eine Prüfung hinsichtlich der Essentialität offengelegter Patente werden allerdings weder von den Standardisierungsteilnehmern noch von der SSO selbst durchgeführt. Zum anderen wird die Deklarierung von SEPs an die Selbstverpflichtung des Patentinhabers gekoppelt, Lizenzen zu fairen, zumutbaren und diskriminierungsfreien (fair, reasonable and non-discriminatory, FRAND) Bedingungen zu erteilen. Mit der FRAND-Selbstverpflichtung soll ein angemessener Ausgleich zwischen dem Interesse des SEP-Inhabers an einer gerechten Vergütung seiner Erfindung und dem Interesse des Standardnutzers an einem kostengünstigen und diskriminierungsfreien Zugang zum Standard ermöglicht werden.

Dieses FRAND-System vermag jedoch nicht, alle SEP-bezogenen Probleme zufriedenstellend zu lösen. So wirken die Offenlegungsbestimmungen den Gefahren einer Unter- beziehungsweise Überdeklarierung von SEPs nicht wirksam entgegen. Zwar sind Fälle eines Patenthinterhalts (patent ambush), bei denen ein SEP-Inhaber bewusst sein Patent nicht offenlegt und damit eine FRAND-Erklärung vermeidet, um anschließend nach Festlegung und Implementierung des Standards höhere Lizenzgebühren zu erpressen, zu keinem Massenphänomen geworden. Eine Überdeklarierung von SEPs scheint dagegen relativ verbreitet. Damit entsteht für Standardnutzer der Eindruck, sie benötigten zur Implementierung des Standards eine Lizenz für das als standardessentiell deklarierte Patent, obwohl dies gar nicht der Fall ist. Verstärkt wird das Problem, wenn für einen einzelnen Standard eine enorm hohe Zahl – oft mehrere Tausend – deklariert wurden, die sich noch dazu in den Händen unterschiedlicher Rechteinhaber befinden.

Die eigentlichen Schwächen des FRAND-Systems offenbaren sich allerdings gerade bei Sachverhalten, in denen ein SEP zutreffend deklariert wurde und sein Inhaber die FRAND-Selbstverpflichtung eingegangen ist. Das FRAND-System basiert darauf, dass sich Standardnutzer und SEP-Inhaber in bilateralen Vertragsverhandlungen – idealerweise noch vor Beginn der Nutzung – auf FRAND-konforme Lizenzkonditionen einigen. Scheitern solche Lizenzverhandlungen – wie es nicht selten der Fall ist –, bietet die unbestimmte FRAND-Selbstverpflichtung wenige oder gar keine Anhaltspunkte zur Bestimmung angemessener Lizenzbedingungen durch die Gerichte. Die Mehrdeutigkeit des FRAND-Begriffs lässt entsprechend Raum für opportunistisches Verhalten. Auch wenn in diesem Zusammenhang die strategische Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs durch den SEP-Inhaber, um monopolistische Lizenzgebühren zu erzwingen (sogenanntes patent hold-up), im Vordergrund steht, ist auch ein vorteilnehmendes Verhalten der Standardnutzer nicht auszuschließen.

Die notwendige Konkretisierung dessen, was unter FRAND zu verstehen ist, wirft gleichermaßen ökonomische und rechtliche Fragen auf. Stehen etwa die Determinierung und Kalkulation von FRAND-Gebühren im Fokus der ökonomischen Forschung, so haben Rechtswissenschaft und Rechtsprechung unterschiedliche Ansätze verfolgt, um die rechtlichen Konturen der FRAND-Selbstverpflichtung zu umreißen. Während man in den USA die Befugnisse des SEP-Inhabers gestützt auf das Patentrecht und das allgemeine Vertragsrecht beschränkt, steht in Europa das Kartellrecht im Mittelpunkt. Die Europäische Kommission und jüngst auch der EuGH (Urteil Huawei, C-170/13, ECLI:EU:C:2015:477) betrachten die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs gegen einen willigen Lizenznehmer nach vorheriger Abgabe einer FRAND-Selbstverpflichtungserklärung durch den SEP-Inhaber grundsätzlich als einen Kartellrechtsverstoß.

Die Rolle der SSOs zur Lösung von SEP-bezogenen Problemen

Auf beiden Seiten des Atlantiks werden schließlich die Stimmen immer lauter, die einen größeren Beitrag der SSOs zur Lösung von SEP-bezogenen Problemen fordern. SSOs spielen nicht nur eine Schlüsselrolle bei der Setzung technologischer Standards, indem sie die Entscheidung darüber treffen, welche Technologien als Standard gelten sollen. Sie vereinen oft auch unter einem Dach die an einer Standardisierung interessierten Marktakteure. Sowohl die Möglichkeit von SSOs, die Interaktion zwischen Standards und Immaterialgüterrechten frühzeitig und sozusagen an ihrer Quelle zu steuern, als auch ihr Potential, zwischen den zum Teil stark divergierenden Interessen verschiedener Standardisierungsteilnehmer zu vermitteln, sprechen dafür, dass sie sich als Problemlöser eignen.

Dabei unterscheiden sich SSOs erheblich in ihrer Zusammensetzung, Organisation sowie in der Art und Weise, wie sie den Standardisierungsprozess durchführen. Der Appell an eine verstärkte Einbringung der SSOs setzt daher das Verständnis voraus, wie SSOs unter Berücksichtigung des geltenden, teils selbst gesetzten Regelungsrahmens und ihrer unterschiedlichen Strukturen Standards setzen und welche sektorspezifischen, institutionellen und oder interessenbedingten Faktoren dabei eine Rolle spielen. Angesichts dieser Vielfalt wird man von keiner One-size-fits-all-Lösung ausgehen können.

Sollen SSOs einen möglichst guten Beitrag zu einer wohlfahrtsmaximierenden Standardisierung leisten, so geht ihre Aufgabe über die bloße Optimierung der FRAND-Selbstverpflichtung hinaus. Gewiss würden Reformen, die etwa die FRAND-Selbstverpflichtung unmissverständlich an zukünftige Nachfolger des SEP-Inhabers binden oder den Informationsstand der Standardisierungsteilnehmer über die Lizenzkonditionen verbessern, SEP-Konflikte reduzieren. Als Garanten des Standardisierungsprozesses haben SSOs aber vor allem auch dafür zu sorgen, dass sowohl ein innovationsfördernder Prä-Standardisierungswettbewerb als auch eine effiziente standardbasierte Innovation am Markt stattfindet, was Justierungen an anderen Stellschrauben als der FRAND-Selbstverpflichtung selbst erfordert.

Der rechtliche Rahmen zur effektiven Selbstregulierung durch SSOs

Zu denken ist etwa an SSO-getriebene Verfahren, die ein angemessenes Verhalten des SEP-Inhabers und des Standardnutzers beim Abschluss eines Lizenzvertrages festlegen, oder an alternative Verfahren zur Beilegung von FRAND-Streitigkeiten. Dabei würden aber auch neue Fragen aufgeworfen. So wäre der rechtliche Rahmen zu definieren, in dem SSOs ihre Selbstregulierungsaufgabe ausüben. Besonders zu beachten ist dabei die globale Dimension der Standardisierung. Andererseits sind SSOs keine völlig neutralen Stellen, sondern laufen Gefahr, den Interessen einer bestimmten Gruppe von Standardisierungsteilnehmern zu dienen. Daher sind Kontrollmechanismen – darunter auch kartellrechtliche – zu identifizieren, die eine effektive, die Interessen aller Betroffenen berücksichtigende Selbstregulierung der SSOs gewährleisten.

In einem interdisziplinären Projekt widmet sich das Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb diesen Fragen und leistet damit einen Beitrag zur Gestaltung einer innovationsfördernden Standardisierung.

Zur Redakteursansicht